CDU-Integrationspolitikerin Giousouf: "Armutszuwanderung müssen wir begrenzen"
Die CDU-Integrationspolitikerin Cemile Giousouf über Deutschland als Einwanderungsland - und einen neuen Begriff von Leitkultur. Ein Gespräch.
Im Wahlprogramm, mit dem die Union am 24. September gewinnen will, ist der Blick auf Migration und die Integration von Migranten tiefschwarz, es bezieht sich fast immer abwehrend auf Migration – „begrenzen“ - und im Zusammenhang mit Sicherheitspolitik. Ist das das Programm einer Integrationspolitikerin?
Es ist klar, dass wir nicht nochmal so viele Flüchtlinge in so einer kurzen Zeit aufnehmen können, wie es 2015 der Fall war. Eine gute Migrationspolitik ist die Kehrseite einer guten Integrationspolitik. Das sieht im Übrigen auch die politische Konkurrenz so. Aber im Mittelpunkt unseres Integrationskapitels steht nicht die Begrenzung, sondern Maßnahmen, wie wir Integration gut und schnell voranbringen, wie wir das seit 2005 im Übrigen tun.
Warum nicht darüber reden und sich auch positiv darauf beziehen? In Ihrem Programm ist Integration der allerletzte Punkt des letzten Kapitels, das „Zusammenhalt“ heißt. Und Sätze wie „Eine Einwanderung in die Sozialsysteme lehnen wir ab“ finden sich so ähnlich nur noch im Text der AfD.
Ich lehne jeglichen Vergleich mit diesen Populisten ab. Bleibeberechtigen werden wir weiter helfen, das ist keine Frage, aber die Armutszuwanderung müssen wir versuchen zu unterbinden. Das Phänomen der Armutszuwanderung kleinzureden ist Sozialromantik. Meine Heimatstadt Hagen wie viele andere Städte im Ruhrgebiet, die eh gebeutelt sind, leidet sehr stark darunter. Wir müssen den Ländern helfen, damit sie die Lebensverhältnisse der Menschen in ihrer Heimat ändern, wir können sie aber nicht alle aufnehmen. Im Übrigen: Das Programm hebt durchaus die Stärke von Vielfalt hervor, eine Vielfalt, an der – lesen Sie Seite 70 des Texts! – Gastarbeiter und auch Flüchtlinge, früher wie heute, ihren Anteil haben. Außerdem heißt es da, dass Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Ausländerhass, Intoleranz und Diskriminierung keinen Platz in Deutschland haben. Diese Sätze können Sie in einem AfD nicht so finden!
Aktiv dagegen tun will Ihre Partei aber nichts. Über Antidiskriminierungspolitik steht nichts im Programm.
Ein Regierungsprogramm ist kein Maßnahmenkatalog. Aber die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurde 2006 unter einer unionsgeführten Regierung eingeführt...
... weil die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie Deutschland wie alle andern Mitgliedsstaaten dazu verpflichtete ...
Alle weiteren Maßnahmen werden wir in den nächsten Koalitionsverhandlungen festlegen. Es ist völlig klar, dass dieses Programm stark aktuell geprägt ist, durch die Flüchtlinge und die Realität einer Serie von Terroranschlägen. Die Menschen erwarten da Antworten von uns.
Würden Sie Wählerinnen und Wählern mit Migrationshintergrund raten, Ihr Programm zu lesen?
Natürlich. Da steht auch drin, dass unser Land aus alten und neuen Deutschen besteht. Für mich ist es ein Bekenntnis zum neuen Deutschland.
Auch die Reizvokabel „Leitkultur“ ist zu lesen.
Natürlich, denn wir müssen am Zusammenhalt dieser Gesellschaft arbeiten! Nur darf der nicht von oben verordnet werden – dafür habe ich auch Friedrich Merz seinerzeit kritisiert – sondern das wird mit allen am runden Tisch ausgehandelt. Das ist inzwischen auch Konsens in der CDU.
Wenn das Programm allgemein ist, was wünschen Sie sich konkret für die nächste Legislaturperiode?
Wir müssen es endlich schaffen, dass junge Migranten gleiche Bildungschancen bekommen. Und ihre Integration in den Arbeitsmarkt muss besser werden. Außerdem setze ich auf ein Fachkräftezuwanderungsgesetz.
Steht im Programm und lässt ebenfalls stutzen. Warum bezieht sich ein Einwanderungsgesetz nur auf Fachkräfte? Das ist schließlich nicht die Masse derer, die kommen?
Für die haben wir doch schon viel auf den Weg gebracht: Wir verpflichten uns zu Sprachkursen und Integration. Inzwischen können auch Geduldete bleiben, wenn sie in der Ausbildung sind oder einen Arbeitsplatz haben. Das war ein großer Schritt für die Union. In der Umsetzung in den Ländern vor Ort müssen aber die bürokratischen Hürden stärker abgebaut werden.
Zurück zu Ihren Wünschen. Was sollte außerdem passieren?
Was leider noch nicht gut funktioniert, ist die Extremismusprävention. Das war bei den letzten Anschlägen zu merken. Bei allen waren die künftigen Täter bekannt. Aber wie wir verhindern können, dass junge Leute abdriften, darauf haben wir noch keine ausreichende Antwort. Nur die Sicherheitsbehörden aufzustocken, kann es nicht sein. Ich wünschte mir einen oder eine Extremismusbeauftragte, die bundesweite Maßnahmen koordiniert.
Mit welcher Partei als Koalitionspartnerin würden Sie das alles am ehesten umsetzen können?
Wir streben natürlich an, stärkste Kraft zu werden. Der Wähler entscheidet. Was ich definitiv nicht will, ist Rot-Rot-Grün.
Hier spricht die Wahlkämpferin. Ich formuliere um: Gibt es eine Partei, mit der sie das nicht umsetzen könnten?
Nein. Das wäre mit allen demokratischen Parteien möglich – außer mit der AfD und der Linken. Ich glaube, inzwischen haben wir alle verstanden, dass wir in einem Einwanderungsland leben.
Sie glauben, in der Integrationspolitik hätten Sie mit der Linken dasselbe Problem wie mit der AfD?
Nein, das ist zu simpel. Aber in der Sicherheits- und Integrationspolitik sind die Ideen der Linken meilenweit von der Realität entfernt. Leider hat auch die SPD, die in der letzten Legislatur das Thema federführend inne hatte, nichts vorzuweisen. In seiner letzten Rede zur Integration hat Kanzlerkandidat Schulz seine Rückwärtsgewandtheit der Partei präsentiert: Integration ist bei der SPD eine Einbahnstraße, Migranten sind Arbeiter, Leistungsempfänger und der Staat muss es richten. Dass es über 700.000 Unternehmer mit Migrationshintergrund in diesem Land gibt und die Menschen von ihrer eigenen Arbeit Lohn leben wollen und können, ist ihm anscheinend entgangen. Dieses Opferimage wird die SPD einfach nicht los.
Die Realität scheint auch über zwei berühmte Sätze der Kanzlerin von 2015 hinweggegangen zu sein: Ihr oft angefeindetes „Wir schaffen das“ und ihr Bekenntnis zur Hilfe für Menschen in Not, andernfalls sei „das nicht mein Land“. Oder?
Das sehe ich ganz anders. Wir bekommen gerade Vieles sehr gut hin, auch wenn nach wie vor Sprachlehrkräfte fehlen und die Integration in den Arbeitsmarkt besser werden sollte. Und mit dem Integrationsgesetz haben wir auch das Versprechen eingelöst, nicht die alten Fehler zu widerholen.
Das Gesetz hat nicht zuletzt Sanktionen verschärft, etwa die Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern eingeschränkt.
Die Wohnsitzauflage ist ein wichtiges Instrument, damit die Menschen gute Chancen bekommen. Wir wollen, dass anerkannte Flüchtlinge dorthin ziehen, wo es Sprachkurse, Wohnungen und Arbeit gibt. Mit dem Gesetz verpflichten wir uns aber auch, so schnell wie möglich Sprach- und Integrationskurse einzurichten. Das war, als meine Eltern nach Deutschland kamen, noch ganz anders. Wir denken nicht mehr, dass sich die Probleme von selbst lösen werden, sondern packen inzwischen an.
Cemile Giousouf wurde als Tochter von Einwanderern aus der türkischen Minderheit in Griechenland im Ruhrgebiet geboren. Seit 2013 ist die CDU-Politikerin Mitglied des Bundestags.
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