Erfolg für „Fridays for Future“: Warum Konstanz den Klimanotstand ausruft
Die Stadt will einen Beitrag leisten, damit sich die Klimabilanz nicht weiter verschlechtert. Damit ist Konstanz Signal für andere Städte. Eine Analyse.
Was ist in Konstanz passiert? Leidet die 85.000-Einwohner-Stadt am Bodensee unter besonders katastrophalen klimatischen Bedingungen, so dass nur noch die Ausrufung eines Klimanotstandes der Stadtverwaltung die notwendigen außergewöhnlichen Vollmachten gibt, die Folgen dieses Notstandes zu mildern? Nein, nichts davon ist wahr – und trotzdem alles.
Konstanz ist eine mittelalterliche und gleichzeitig sehr moderne Stadt, die in einer traumhaften Landschaft liegt. Der Bodensee ist der größte Trinkwasserspeicher Europas. Vor 50 Jahren drohte die Wasserqualität durch die Einleitung ungeklärter Abwässer zu kippen. Nur ein Milliardenteures Programm zum Bau von Kläranlagen verhinderte die ökologische Katstrophe.
Seitdem zeichnet alle in der Kommunalpolitik aktive Parteien ein überaus waches Umweltbewusstsein aus. Ob der See genügend frisches Wasser erhält, ob der Rhein bei Schaffhausen am Rheinfall ein mächtiger Strom ist, oder ein wasserarmer Fluss, hängt von den Niederschlägen in der Alpenregion ab. Den Pegelstand des Sees immer im Augen zu haben, ist deshalb mehr als ein netter Spaß. Heute gibt es rund um den See sowohl umfangreiche Naturschutzgebiete, wie auch bedeutende Industriezentren.
Wahlpotenzial ernst nehmen
Der Fremdenverkehr und die Einkaufsströme aus der Schweiz tragen zum Wohlstand der Region bei. Gleichzeitig leidet die Stadt unter den Folgen dieses Tourismus. Viele, vor allem ältere, Konstanzer meiden am Wochenende inzwischen die eigene Stadt.
Vor diesem Hintergrund wird verständlicher, warum ausgerechnet Konstanz als erste deutsche Stadt den Klimanotstand ausgerufen hat. Mehr als 16.000 der 85.000 Konstanzer sind Studentinnen und Studenten. Dieses Wählerpotential muss jede Partei ernst nehmen. Rechnet man dann noch die Schülerinnen und Schüler dazu, die die „Fridays for Future“-Bewegung unterstützen, und die ja alle ihre Familien in Konstanz haben, lässt sich leicht ausrechnen, dass die Umweltbewegung in Konstanz eine politische Kraft hat, die Veränderungen bewirken kann.
Der 48 Jahre alte Oberbürgermeister Uli Burchardt, ein CDU-Mann, ist Konstanzer und studierter Forstwirt. Bei ihm traf die Jugendbewegung auf offene Ohren, er räumte Zoe Blumberg, einer Oberstufenschülerin, in der Gemeinderatssitzung am Donnerstagabend Rederecht ein, zur Begründung einer Resolution, die vom Gemeinderat dann auch, mit einigen Änderungen, einstimmig angenommen wurde.
Mehr als Schufenstererklärung
Diese Resolution ist deutlich mehr als eine Schaufenstererklärung, denn sie verpflichtet die Stadt, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass sich die deutsche Klimabilanz nicht weiter verschlechtert. Die Stadt Konstanz hat sich zum Ziel erklärt, durch klimaneutrale Energieversorgung und Sanierung bestehender Gebäude den CO2-Ausstoß pro Person bis 2050 um 75 Prozent zu reduzieren. Ab September müssen alle Beschlussvorlagen der Stadtverwaltung einen verpflichtenden Hinweis zu möglichen negativen oder positiven Auswirkungen auf den Klimaschutz enthalten.
Alle sechs Monate muss der Oberbürgermeister künftig öffentlich über Fortschritte oder Probleme bei der Reduktion der Emissionen berichten, erläutert der in Konstanz erscheinende Südkurier den Inhalt der Resolution. Ähnliches gilt für alle Unternehmen, an denen die Stadt beteiligt ist, also zum Beispiel die Energieversorger, den Bus- und den Fährverkehr über den Bodensee. Sie müssen dem Gemeinderat jährlich Bericht erstatten, ob und wie sie sich mit Klimaschutz auseinandersetzen.
Ob das nun alles nur Symbolpolitik oder der Beginn eines erfolgreichen Weges ist, muss die Zukunft zeigen. Ein Signal für andere deutsche Städte ist es auf jeden Fall.
Gerd Appenzeller