Anschlag von Straßburg: Warum ist die Suche nach dem Attentäter so schwierig?
Tagelang ist der Attentäter von Straßburg auf der Flucht. Warum ist die Fahndung nach dem Islamisten bisher erfolglos? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Der Attentäter von Straßburg bleibt verschwunden. Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt ist es Chérif Chekatt trotz seiner Schussverletzung gelungen, sich zu verstecken. Durch den Angriff starben zunächst zwei Menschen, inzwischen ist ein weiteres Todesopfer zu beklagen. Ein vierter Mann ist hirntot. Elf Opfer wurden verletzt.
Inzwischen werden Mängel im EUweiten Austausch von Informationen über gefährliche Islamisten sichtbar. Der Fall Chekatt zeugt offenbar von der Notwendigkeit, die Kooperation der Sicherheitsbehörden noch stärker auszubauen, als das bereits nach den schweren Anschlägen geschehen ist, die europäische Großstädte in den vergangenen Jahren getroffen haben.
Wie konnte Chekatt entkommen?
Obwohl der 29-jährige Islamist bei dem Anschlag am Dienstagabend offenbar hochemotional agierte, gelang ihm die Flucht. Chekatt schoss zunächst mit seiner Pistole kurz vor 20 Uhr im historischen Zentrum von Straßburg auf Besucher und Sicherheitskräfte, dabei rief er „Allahu akbar“. Soldaten, die zur Bewachung des Weihnachtsmarkts eingesetzt waren, schossen zurück und trafen Chekatt an einem Arm. Außerdem versuchten drei Passanten, darunter eine Frau, den Mann zu überwältigen.
Der Islamist stach mit einem Messer auf die Frau ein, lief weg und sprang in ein Taxi. Der Fahrer brachte den blutenden Mann zum Stadtteil Neudorf. Es ist nicht klar, ob der Taxichauffeur freiwillig Chekatt mitnahm oder von ihm gezwungen wurde. Chekatt habe geprahlt, zehn Menschen erschossen zu haben, sagte der Fahrer bei einer Vernehmung der Polizei.
In Neudorf verließ Chekatt das Taxi und traf wieder auf Polizisten. Möglicherweise hatte der Taxifahrer die Beamten alarmiert. Es habe eine weitere Schießerei gegeben, berichten französische Medien. Dennoch konnte Chekatt wieder entkommen. Die Fahndung nach dem Attentäter blieb trotz der aufwändigen Suche durch mehrere Hundert Polizisten erfolglos.
Floh der Attentäter nach Deutschland?
Die deutschen Sicherheitsbehörden halten das durchaus für möglich. Neudorf ist nur drei Kilometer vom Grenzübergang nach Kehl entfernt. Bei der deutschen Polizei gingen Hinweise von Personen ein, die Chekatt gesehen haben wollen.
Ob die Tipps aus der Bevölkerung die Suche nach dem Islamisten voranbringen, ist offen. Die Behörden äußern sich dazu aus ermittlungstaktischen Gründen nicht. Gefahndet wird auch nach Chekatts Bruder Sami, der 34 Jahre alt und ebenfalls radikalisiert ist.
Polizei und Verfassungsschutz prüfen zudem, welche Kontakte Chekatt in Deutschland haben könnte. Der Islamist befand sich, wie berichtet, von Januar 2016 bis Februar 2017 wegen Einbruchdiebstählen in Haft. „Wir schauen uns an, ob er zu ehemaligen Mithäftlingen in der JVA Konstanz und der JVA Freiburg Verbindungen hat“, hieß es am Donnerstag in Sicherheitskreisen.
Untersucht wird auch das mutmaßliche Facebook-Profil von Chekatt. Auf der Seite, die am Donnerstag nicht mehr zu erreichen war, nannte ein Chérif Chekatt aus Straßburg in der Rubrik seiner Freunde einen Nordafrikaner aus Konstanz. Der Mann posiert auf einem Foto mit einem Gewehr und hat propalästinensische Parolen gepostet.
Unklar bleibt, was ein Anruf aus Deutschland zu bedeuten hat, den Chekatt angeblich nicht annahm. Darüber hatte der RBB berichtet. Sicherheitskreise sagen, die Geschichte werde untersucht, bleibe aber mysteriös. Am Tattag soll um 8.48 Uhr eine Person vermutlich über ein Prepaid-Handy versucht haben, Chekatt zu erreichen.
Am Donnerstag hat sich die Bundesanwaltschaft in die Ermittlungen gegen Chekatt eingeschaltet. Es sei ein Verfahren wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung eingeleitet worden, sagte die Sprecherin der Behörde.
Wo könnte sich Chekatt versteckt halten?
Sicherheitskreise halten es für denkbar, dass Chekatt in Straßburg bei einem Verwandten oder Bekannten untergeschlüpft ist und „still hält“. Wie lange er das durchhalten könnte, hänge von der Schwere seiner Schussverletzung ab.
Sollte Chekatt einen Arzt benötigen, würde er vermutlich bald auffliegen. Chekatts Familie, sie stammt aus Algerien, lebt in Straßburg. Die Polizei vernahm bereits die Eltern und Geschwister. Zwei Brüder sind ebenfalls Intensivtäter, auch der Vater ist polizeibekannt.
Chérif Chekatt ist womöglich auch in Frankreich in einen anderen Ort geflüchtet. Bei dieser Variante könnten ehemalige Mithäftlinge ebenfalls eine Rolle spielen, sagen Sicherheitsexperten. In Frankreich war Chekatt ebenfalls wegen mehrerer Straftaten inhaftiert.
Die Schweizer Polizei ist in die Suche nach dem Attentäter eingebunden. Chekatt saß auch bei den Eidgenossen nach Einbruchdiebstählen im Gefängnis. Ein Gericht in Basel hatte ihn im Jahr 2013 zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt. Bei der Fahndung nach Chekatt ließ die Polizei im Kanton Aargau am Donnerstagmorgen den Zug von Basel nach Zürich stoppen. Eine Frau wollte den Attentäter in einem Waggon gesehen haben. Der verdächtigte Passagier war jedoch nicht einmal Nordafrikaner.
Chekatt war also offenbar in Frankreich, Deutschland, der Schweiz und in Luxemburg kriminell aktiv. Die französischen Behörden sprechen von 27 Verurteilungen und 67 Ermittlungsverfahren.
Was wussten deutsche Sicherheitsbehörden über den Islamisten?
Der Polizei war Chekatt nur wegen der Einbruchsdiebstähle in Mainz und Engen (Südbaden) bekannt. Von der islamistischen Radikalisierung hatten die deutschen Behörden offenkundig keine Ahnung. Folglich war Chekatt auch nicht im Informationssystem Nadis gespeichert, das der Verbund der Verfassungsschutzbehörden betreibt.
Es gebe allerdings auch keine Hinweise auf Kontakte deutscher Salafisten zu Chekatt, sagen Sicherheitskreise. Dennoch wäre es hilfreich gewesen, die Franzosen hätten Hinweise auf die islamistische Gesinnung übermittelt.
Chekatt soll sich 2015 in einem französischen Gefängnis radikalisiert haben. Im Januar 2016 kam er in Konstanz in Untersuchungshaft, wegen des Einbruchs in eine Apotheke in Engen. „Es wäre schon besser gewesen, die deutschen Behörden hätten angesichts der Probleme mit Islamisten in Haftanstalten gewusst, dass Chekatt auch einer ist“, sagen Sicherheitskreise. Wenn sich ein Intensivtäter wie Chekatt auch noch radikalisiere, hätte ein Hinweis aus Frankreich kommen müssen.
Der spätere Attentäter scheint allerdings in den Justizvollzugsanstalten Konstanz und Freiburg nicht als religiöser Fanatiker aufgefallen zu sein. Sein Anwalt berichtet nur, Chekatt habe den Konsum von Schweinefleisch, Alkohol und Drogen abgelehnt.
Woran krankt der Informationsaustausch zwischen Sicherheitsbehörden in Europa?
Das lässt sich am Fall Chekatt zumindest punktuell erkennen. Die französischen Behörden stehen bei den deutschen Partnern im Ruf, nur gebremst zu kommunizieren. Aber es gibt auch strukturelle Probleme.
„Die Schwachstelle ist der Datenaustausch innerhalb Europas in Sachen Terror“, sagt ein hochrangiger Sicherheitsexperte. Es fehle eine gemeinsame Datei, in der Islamisten aus den Ländern der EU automatisch gespeichert würden, sobald die Neigung zu Gewalt zu erkennen sei.
Bislang würden meist Hinweise europaweit lediglich verbreitet, wenn die Gefahr eines Anschlags gegeben sei. Das reiche nicht und sei zu spät, bemängelt der Experte. Ein europäisches FBI könnte eine Lösung sein. „Aber das so etwas kommt“, sagt der Fachmann, „werden Sie und ich nicht mehr erleben“.