Nach dem Attentat in Straßburg: Zum Aushalten der Realität verdammt
Es ist schwer, die Bilder vom Terror zu ertragen. Aber es kommt darauf an, dennoch tolerant, zivil und optimistisch zu bleiben. Ein Kommentar.
Schüsse, Tote, Traumatisierte, ein Weihnachtsmarkt. Panik, Ausgangssperren, schwer bewaffnete Polizisten, eine Verfolgungsjagd. Und der mutmaßliche Täter, nein Mörder – ein in Straßburg geborener 29-jähriger radikalisierter muslimischer Franzose, der zuvor schon in Frankreich, Deutschland und der Schweiz im Gefängnis gesessen hatte. Insgesamt 27 Mal, heißt es, sei er verurteilt worden. Am Morgen des Attentats hätte er erneut verhaftet werden sollen. Doch statt seiner fanden die Polizisten nur eine Granate, eine Schusswaffe sowie Munition und Messer.
Die Bilder des Terroranschlags überlappen sich mit anderen, ähnlichen Bildern. Erinnerungen kommen hoch. An die Szenen vor zwei Jahren auf dem Breitscheidplatz in Berlin, an Nizza, die Synagoge in Pittsburgh, den Marathon in Boston, an Manchester, Brüssel, Paris, London, Madrid, Nine-Eleven. Da tröstet es weder, dass auf der Ängste-Tabelle der Deutschen die Gefahren des Terrorismus auf Platz fünf stehen, noch dass die allermeisten durch Terror Getöteten in Ländern zu beklagen sind, die bei uns allenfalls noch am Rande mit aufgeführt werden: Syrien, Nigeria, Afghanistan, Irak, Libyen, Pakistan, Jemen. Darauf hinzuweisen bleibt notwendig. Denn alle Menschen trauern gleich. Von „unseren Toten“ und „deren Toten“ zu sprechen, verbietet sich.
Worauf es ankommt
Auf Terroranschläge muss der Rechtsstaat mit voller Härte reagieren, sagt man. Aber was heißt das? Mehr Patrouillen, mehr Videoüberwachung, ein Verbot salafistischer Organisationen, Präventivhaft, Ausbau der Geheimdienste, Grenzkontrollen? An Vorschlägen mangelt es nicht. Die Diskussionen sind wichtig. Allerdings sollte Aktivität nicht mit Aktionismus verwechselt werden.
Auf die Anschläge vom 11. September 2001 folgten der Afghanistan- und der Irakkrieg sowie der Aufbau einer riesigen US-amerikanischen Heimatschutzbehörde. Hat das den Terrorismus entscheidend geschwächt? Al Qaida operiert längst dezentral, als neue Bedrohung entstand der „Islamische Staat“. Der Zorn darüber ist so richtig wie berechtigt, doch als Faustregel gilt: Je vollmundiger ihnen der Kampf angesagt wird, desto genauer muss geprüft werden, was wirklich sinnvoll ist – und was vorrangig der Beruhigung der aufgebrachten Bürger dient.
Die Gefahren des Terrors zu minimieren, verlangt kühle Köpfe. Denn von den Schreckensbildern geht eine Versuchung aus: Sie sollen verzweifelt, wahnsinnig oder radikal machen, die Menschen zwingen, ihr Verhalten zu ändern. Dieser Versuchung zu widerstehen, ist ein Reifezeugnis. Wer das als Glorifizierung der Tatenlosigkeit denunziert, hat nicht verstanden, worauf es Terroristen abgesehen haben – auf unsere Gefühle, unsere Seelen, unser Gleichgewicht. Deshalb sind wir zum Aushalten einer Realität verdammt, die zu ändern ohne Augenmaß nicht möglich ist. Die Bilder sehen und trotzdem tolerant, anständig, zivil und optimistisch bleiben: Darauf kommt es an.
Gelassenheitsgebet
Während des Zweiten Weltkriegs verfasste der amerikanische Theologe und Philosoph Reinhold Niebuhr das sogenannte Gelassenheitsgebet. Rasch wurde es populär. Die ersten, nicht ganz kitschfreien Zeilen finden sich auf Postkarten, Postern und Kalendern. Sie lauten: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Wer „Gott“ streicht, kann diesem Wunsch sicher auch als Atheist oder Humanist zustimmen.
Gelassenheit: Das ist eine stoische Tugend, wobei Niebuhr im Original um die „Gnade“ der Gelassenheit bittet. Mut: Das erfordert innere Kraft, Freiheit und Selbstständigkeit. Weisheit: Das geht über jedes Klugsein und Vernünfteln hinaus. Antrainieren lassen sich diese drei Charaktergaben wohl nicht. Sie wirken aber auch nicht zufällig in einem Menschen. Wer als Antwort auf den Terror weder verzweifelt noch wahnsinnig oder radikal werden will, kann sich an ihnen zumindest orientieren.
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