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Ann Coulter - meinungsstark und umstritten. (Archiv)
© Reuters/Jonathan Ernst

Auftritt von Ann Coulter: Warum in den USA für das Rederecht einer reaktionären Provokateurin gestritten wird

Ann Coulter bringt unzählige Amerikaner regelmäßig auf die Palme - von Linken bis hin zu moderaten Konservativen. Doch der Widerstand gegen ihre provokanten Thesen ist derart eskaliert, dass ihr nun auch Gegner beispringen.

Achtung! Was nun folgt, ist eine fake news. Aus sicherer Quelle wurde bekannt, dass die AfD für den Abend des 30. April auf dem Mariannenplatz in Berlin-Kreuzberg eine Kundgebung angemeldet hatte. Als Sprecherin war Beatrix von Storch vorgesehen. Die Partei berief sich auf die vom Grundgesetz geschützte Versammlungsfreiheit. Doch Berlins Polizei befürchtete schwere Krawalle. Mit dem Argument, die Sicherheit der Teilnehmer nicht gewährleisten zu können, verbot sie die AfD-Kundgebung

Prompt hagelte es Proteste aus allen politischen Lagern. Ralf Stegner von der SPD sprach von einem Angriff auf die Meinungsfreiheit. Linke, Piraten und FDP-Vertreter waren ebenfalls entsetzt. Josef Haslinger, der Präsident des PEN-Zentrums, verfasste eine Petition unter der Überschrift „Gesicht zeigen: Die Redefreiheit ist unteilbar“. Maybrit Illner witterte gar staatliche Zensur.

In den USA ist das anders

Wie gesagt: Alles fake news. Jedenfalls in Deutschland. Hier wäre eine solche Reaktion unvorstellbar. Hier hätte in so einem Fall offiziell die Zivilgesellschaft gesiegt. „Keinen Meter für Faschisten“ hätte die Parole geheißen. Denn das Lieblingslied der Deutschen heißt „Die Gedanken sind frei“. Aber eben nur die Gedanken. Die als verwerflich wahrgenommene Rede dagegen muss als Hate Speech verhindert werden. In den USA ist das, zum Glück, immer noch anders. Nicht, dass es dort weniger Bestrebungen gäbe, missliebige Ansichten gar nicht erst laut werden zu lassen. Aber der Widerstand gegen derartige Repressalien ist massiver als in Deutschland, weil gesellschaftlich fest verankert. Donald Trump hin, Donald Trump her.

Achtung, dies ist keine fake news. Ann Coulter ist eine erzreaktionäre Provokateurin. Sie lehnt die Evolutionstheorie ab, bedauert, dass der Oklahoma-Attentäter Timothy McVeigh nicht das Gebäude der „New York Times“ in die Luft gesprengt hat, meint nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima, radioaktive Strahlung sei ganz gut für die Gesundheit, und wertet die Fußball-Begeisterung ihrer Landsleute während der WM 2014 als „Zeichen für den moralischen Verfall“. Gemäßigte republikanische Politiker wie John McCain lehnt sie ab, für Trump dagegen warb sie früh.

„In Trump We Trust“ heißt der Titel ihres bereits im vergangenen Jahr erschienenen Buches über den US-Präsidenten. Kurzum: Die 55-Jährige bringt Linke, Liberale, Demokraten und moderate Konservative in Amerika regelmäßig auf die Palme. Manche nennen sie ein „Faschistin“. Nun steht Coulter erneut im Rampenlicht, und das kam so: Die Studentenorganisation der Republikaner an der University of California, Berkeley, hatte sie eingeladen, am 27. April auf dem Campus der Universität eine Rede zu halten.

Auftritt nach schweren Ausschreitungen abgesagt

Dazu muss man wissen, dass es im Februar in Berkeley zu schweren Ausschreitungen gekommen war, als eine anarchistische Gruppe durch Gewaltanwendung einen Auftritt von Milo Yiannopoulos verhinderte, auch er ein erzreaktionärer Publizist und Chef des rechtspopulistischen Blogs Breitbart. Fenster wurden eingeschlagen, Feuer gelegt, das Gebäude gestürmt, der Schaden beläuft sich auf 100.000 Dollar. Aus Angst vor einer Wiederholung solcher Szenen sagte die Universitätsleitung den Auftritt Coulters ab.

Einen Kompromissvorschlag, sie zu einem späteren Zeitpunkt reden zu lassen, an dem die Universität wegen diverser Examensvorbereitungen fast leer steht, lehnte wiederum Coulter ab. Sie spricht nicht nur gern, sondern inszeniert sich auch gern als Märtyrerin. Dennoch formiert sich seitdem eine immer größer werdende Koalition von Kräften, die die Entscheidung der Universität als Bedrohung der verfassungsrechtlich garantierten Meinungs- und Redefreiheit kritisieren. Sie besteht überwiegend aus Personen und Organisationen, die politisch von Coulter extrem weit entfernt sind. „Wovor habt ihr Angst – vor ihren Ideen?“ fragt spöttisch Bernie Sanders, der ehemalige linke Rivale von Hillary Clinton.

Der linke Fernsehmoderator Bill Maher und die demokratische Senatorin Elizabeth Warren aus Massachusetts streiten ebenso für das Rederecht Coulters wie die traditionsreiche Bürgerrechtsorganisation ACLU (American Civil Liberties Union). „Berkeley ist zu einem der intolerantesten Orte in Amerika geworden“, schreibt der Bürgerrechtsanwalt Marc J. Randazza in einem Kommentar für CNN. „Ich würde mich wohler fühlen, auf dem Land in Mississippi für die Einführung der Scharia zu werben, als in Berkeley die These von der geschlechtsspezifischen Ungleichheit beim Gehalt in Frage zu stellen.“

"Sie hat nie Steine auf Polizisten geschmissen"

In der „Huffington Post“ schreibt Amerikas PEN-Chefin, Suzanne Nossel: „Dass ethnische Minderheiten, Einwanderer, Frauen und LGBT-Menschen überproportional stark zum Opfer von Gewalt werden, kann in keiner Weise Gewalt legitimieren, die diese Gruppen vor übler Nachrede schützt.“ Die Unterdrückung einer Rede, bevor sie überhaupt gehalten wurde, widerspreche den Werten einer freien Gesellschaft.

„Coulter schmeißt zwar rhetorische Bomben“, meint der Kolumnist Rich Lowry in der Zeitschrift „National Review“. „Aber das ist etwas ganz anderes, als wirkliche Bomben zu schmeißen. Coulter hat nie versucht, einen Redner niederzubrüllen, dessen Ansichten sie nicht mochte. Sie hat nie Steine auf Polizisten geschmissen.“ Im Vergleich zu ihren gewaltbereiten Widersachern sei sie plötzlich die Liberale. „Wenn die Antifa bereit ist, die freie Rede durch illegale Gewaltanwendung anzugreifen, sollten die Behörden bereit sein, die freie Rede durch gesetzeskonformen Einsatz von Gewalt zu verteidigen. Falls notwendig: Ruft die Nationalgarde!“

Beatrix von Storch redet am Vorabend des 1. Mai in Kreuzberg: Für deutsche Gemüter ist das eine vollkommen verrückte Vorstellung. In Amerika gibt es Menschen, die freiheitsverliebt zurückfragen würden: Warum ist das verrückt?

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