Panorama: Blonder Giftpfeil
Bisher beschimpfte die US-Publizistin Ann Coulter Liberale und Schwule. Jetzt geht sie noch weiter
Da sitzt sie, die Beine überlang und spindeldürr, der schmale Körper in ein enges kleines Schwarzes gezwängt und die langen blonden Haare züchtig über das offenherzige Dekolleté gekämmt. Wer Ann Coulter nur vom Titelbild des „Time Magazine“ kennt, würde vermuten, sie sei eine züchtige junge Frau, ein bisschen steif vielleicht und ein bisschen zu dünn. Doch der Eindruck hält nur an, bis sie den Mund aufmacht. Oder in die Tasten ihres Computers greift. Dann wird aus ihr die Furie, die den extrem konservativen ehemaligen US-Senator Joseph McCarthy als ihr Vorbild angibt und Wortsalven auf die von ihr verhassten Liberalen abfeuert, dass die Funken nur so stieben. Dabei kennt Coulter keine Grenzen, oder, wie es die „New York Times“ kürzlich ausdrückte, „eine Serie von Wort-Kaskaden scheint aus ihrem Mund zu fliegen, von Gewissensbissen, Rechtschaffenheit oder Logik ungestört“. Dass sie in ihrem jüngsten Buch allerdings Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 aufs Korn nimmt, lässt selbst ihrem konservativen Fanclub den Atem stocken. Aber nur für einen kurzen Augenblick. Dann rennen sie in die Buchläden und kaufen Coulters jüngstes Machwerk „Godless: The Church of Liberalism“ (Gottlos: Die Kirche des Liberalismus), in dem sie unter anderem über die Frauen herzieht, die sie nur die „Jersey Girls“ nennt. Oder: „Die Hexen von East Brunswick“.
Diese vier Frauen verloren ihre Ehemänner, als die Türme des World Trade Centers nach den Anschlägen zusammenfielen. Doch statt leise zu trauern und weiterzumachen mit ihrem Leben, wollten sie mehr darüber wissen, wie es zu der Katastrophe kommen konnte. Und ob ihre Regierung sie nicht hätte besser schützen können. Sie waren es, die so viel öffentlichen Druck auf Washington entwickelten, dass der Senat nicht mehr umhin konnte, die 9/11-Kommission einzurichten. Im Zuge dessen wurden die Frauen Medienstars, ihre Schicksale hundertfach von den stets nach Emotionen gierenden TV-Stationen erzählt. Ann Coulter wirft ihnen nun vor, sich bereichert zu haben und ein fröhliches Prominentendasein auf Kosten ihrer Kinder zu führen. O-Ton Coulter: „Ich habe noch nie Frauen gesehen, die den Tod ihrer Männer so sehr genießen.“ Fakten, die dieses Statement untermauern, hat sie nicht. Aber warum auch, entscheidet sie sich doch im Zweifelsfall, wenn sie ihre Zeitungskolumnen kürzen muss, die im ganzen Land erscheinen, lieber für den Witz und lässt dafür die Tatsachen unter den Tisch fallen.
Ihre Gegner beschimpfen sie ebenfalls, als „amerikanischen Göring“ etwa oder „pferdegesichtige Zicke“, die „galligen Hexensaft serviert“. Dass Ann Coulter kein Blatt vor den Mund nimmt, weiß die Welt seit Erscheinen ihres ersten Buches „High Crimes and Misdemeanors: The Case against Bill Clinton“ (Verbrechen und Vergehen: Der Fall Bill Clinton). Darin stellt sie den damaligen Präsidenten als Vergewaltiger dar. Seither ist ihr Ton nur schärfer geworden.
Geboren in New York, aufgewachsen in einer gut situieren Familie im liberalen Connecticut, lernte sie auf den Eliteschulen an der Ostküste die Juristerei. Zu nächst arbeitete sie in einer Anwaltskanzlei, zu deren größtem Fall die juristische Beratung von Paula Jones gehörte, jener Frau also, die behauptete, mit Clinton ein Verhältnis gehabt zu haben. Danach zog Coulter nach Washington weiter, wo sie im Juristischen Komitee des Senats arbeite, bevor sie schließlich ihre Medienkarriere einschlug. Seitdem wird sie von den Liberalen gehasst und von den Konservativen geliebt.
Zum Beispiel für den Vorschlag, der Oklahoma-Bomber Timothy McVeigh hätte seinen Lastwagen mit der tödlichen Sprengladung statt vor einem Bürogebäude in Oklahoma lieber vor der „New York Times“ zünden sollen. Oder sie denkt laut darüber nach, welcher ihr nicht genehme Richter am Supreme Court vergiftet werden sollte. In „Godless“ schreibt sie, Liberalismus sei eine Doktrin, „die ansonsten vernünftige Leute dazu verführt vorzuschlagen, Kinder Masturbation zu lehren, Schwulen die Heirat zu erlauben, Mörder freizulassen und Kindern beizubringen, dass der Erdwurm zu ihren Vorfahren gehört“.
Nun sollte man glauben, mit solchen Aussagen wäre sie für die Medien untragbar, doch das Gegenteil ist der Fall. Die lieben die Schärfe und den Wortwitz Coulters und laden sie häufig zu Streitgesprächen ein. Und ihre Bücher verkaufen sich wie warme Semmeln. Nur ob sie wirklich alles glaubt, was sie so vehement öffentlich vertritt, darüber sind sich ihre Porträtisten nicht einig. Niemand bestreitet dagegen den Einfluss, den die „Paris Hilton der postmodernen Politik“ („Vanity Fair“) auf die öffentliche Debatte hat. Das „Time Magazine“ beschreibt ihn so: „Als Kongressangestellte half sie vor zehn Jahren, die Gesetze der Nation zu schreiben. Nun ist sie viel mächtiger: Sie hilft, den Ton der Nation zu bestimmen.“
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