Revolution gegen Moreno: Warum Ecuador ins Chaos gestürzt ist
Die deutsche Wirtschaft sah Ecuador als Partner der Zukunft, Merkel wollte den Präsidenten empfangen. Aber in seinem Land herrscht nun Chaos. Stürzt Moreno?
In Ecuador tobt seit mehr als einer Woche ein Aufstand gegen Präsident Lenin Moreno Garces (66). Der Grund: Moreno hat im Gegenzug für einen Milliardenkredit des Internationalen Währungsfonds (IWF), wie gefordert, staatliche Ausgaben gesenkt und die Subventionen auf Benzin und Diesel gestrichen.
An der Spitze des Protests stehen Gewerkschaften und die indigene Bevölkerung. Eine Rolle spielt auch Ex-Präsident Rafael Correa, der zurück ins Amt drängt. Außerdem geht es um geopolitische und handfeste wirtschaftliche Interessen Chinas am Amazonas.
Auch die Bundesregierung beobachtet die Lage genau. Wegen der Unruhen in dem Land mit seinen 17 Millionen Einwohnern sagte Moreno eine für vergangene Woche geplante Reise nach Deutschland ab. Terminiert waren Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Die Absage war auch für die deutsche Wirtschaft misslich. Denn für den 70. Lateinamerika-Tag hatte man Ecuador zum Schwerpunktland auserkoren. Dabei sollte es auch um Milliarden-Investitionen gehen.
Was genau ist los am Äquator?
Immer wieder gehen zehntausende Ecuadorianer gegen ein Sparprogramm auf die Straße, das Präsident Moreno mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgehandelt hat. Im Gegenzug hat seine Regierung einen Kredit von 4,2 Milliarden Dollar erhalten – das Land leidet vor allem unter dem niedrigen Ölpreis und zu hohen Staatsausgaben. Und es gibt viel Kritik, dass die Vorgängerregierung sich zu sehr in die Hände Chinas begeben hat, das dem Land auch viel Geld geliehen hat.
Das Sparprogramm sieht Kürzungen im öffentlichen Dienst, eine Liberalisierung des Arbeitsrechts und Steuerentlastungen für die Importwirtschaft vor. Was viele Ecuadorianer jedoch auf die Straße treibt, ist die Abschaffung der Kraftstoff-Subventionen. Binnen weniger Tage sind die Treibstoffpreise um mehr als 120 Prozent gestiegen, vor allem der für die Landwirtschaft wichtige Diesel. In Ecuador wird praktisch der gesamte Güter- und Personenverkehr über die Straße abgewickelt. Tonangebend bei den Protesten sind Ecuadors Gewerkschaften und die mobilisierungsstarke Indigenen-Föderation Conaie – die Indigenen protestieren auch gegen die immer stärkere Ölförderung in hochsensiblen Bereichen des Amazonasgebiets.
Wie bedrohlich ist die Lage?
Ein Generalstreik hat Ecuador praktisch lahmgelegt. Geschäfte, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen blieben geschlossen. Die Proteste gegen Moreno und das IWF-Sparprogramm enden oft in Straßenschlachten zwischen der Polizei und den Demonstranten. Bisher gab es mindestens fünf Tote, Hunderte Menschen wurden verletzt, rund 1000 festgenommen.
Die Bilder der Demos sind dramatisch. Handyvideos zeigen wehrlose Demonstranten, die von Polizisten bewusstlos geknüppelt werden. Die Polizei setzt massiv Tränengas und Gummigeschosse ein. Aber auch die Gewalt der Tausenden Protestierer wird deutlich. Sie haben brennende Barrikaden in der Innenstadt von Quito errichtet, sind mit Knüppeln, Steinen und Molotowcocktails bewaffnet. Viele sind vermummt und tragen selbstgemachte Schilder.
Aus Vorsicht verlegte Präsident Moreno den Regierungssitz sogar schon nach Guayaquil an der Pazifikküste. Dann aber kehrte er nach wenigen Stunden zurück und bat der Oppositionsbewegung Gespräche an. Er hat offenbar begriffen, dass er verhandeln muss, um sich an der Macht zu halten. Die Opposition lehnte zunächst ab.
Am Samstag verwüsteten vermummte Demonstranten in der Hauptstadt Quito das Gebäude des Rechnungshofes und griffen die Büros von Medien an. Moreno verhängte daraufhin eine Ausgangssperre für die Hauptstadt mit ihren 2,7 Millionen Einwohnern und umliegende Gegenden. Das Gebiet wurde unter Militärkontrolle gestellt. Er hatte bereits am 3. Oktober einen landesweiten Ausnahmezustand verhängt.
Die Indigenen-Föderation Conaie gab bekannt, dass man erst verhandeln werde, wenn der IWF verschwinde. Am Samstag zeigte sich Moreno zum Einlenken bereit. Er kündigte an, die Streichung der Subventionen für Treibstoff würden überprüft. Zudem schlage er vor, dass Privatunternehmen ihren Angestellten einen Bonus von 20 Dollar pro Monat zahlen sollten.
Für Sonntag seien die ersten Gespräche zwischen beiden Seiten geplant, teilten die UN und die katholische Kirche, die in dem Konflikt vermitteln, mit. Der Indigenen-Verband Conaie teilte mit, Ziel sei die Aufhebung des Dekrets, mit dem Moreno die Vorgaben des IWF eigenmächtig in Kraft setzte. Auch die Conaie scheint begriffen zu haben, dass Gespräche der einzige Weg sind, um noch mehr Gewalt zu verhindern. Die Indigenen distanzierten sich auch klar vom sozialistischen Ex-Präsidenten Rafael Correa.
Welche Rolle spielt Ex-Präsident Rafael Correa?
Lenin Moreno hat für die Unruhen zwei Hauptschuldige ausgemacht: Venezuelas sozialistischer Diktator Nicolas Maduro und Correa. Sie konspirierten, um in Ecuador einen linken Umsturz herbeizuführen. Der genaue Einfluss von Caracas ist unklar, aber es gibt Hinweise auf venezolanische Agenten unter den Demonstranten.
Deutlicher zu spüren ist der Einfluss Rafael Correas, der aus dem Exil in Belgien gegen Moreno agitiert. In TV-Interviews beschimpft er ihn als „größten Heuchler unserer Zeit“. Es ist eine Geschichte eines Bruchs: Rafael Correa war von 2007 bis 2017 Präsident Ecuadors und sein Vize hieß: Lenin Moreno.
Der Riss entstand, als Moreno an die Macht kam und radikal mit der Politik seines Vorgängers brach. Er lieferte beispielsweise Wikileaks-Chef Julia Assange aus, der in der Botschaft in London jahrelang Asyl genossen hatte. Und: Er ließ Strafermittlungen gegen Correa wegen Korruption zu. Daraufhin ging Correa nach Belgien.
Der 56-jährige Correa gehörte in den Nullerjahren zur Riege der linken Präsidenten, die Südamerika zunächst erfolgreich regierten, dann aber in Korruptionsaffären verstrickt wurden und immer autoritärere Tendenzen zeigten. Heute wird Correa von der weißen Elite gehasst, aber unter den Armen genießt er immer noch hohes Ansehen. Als Ausweg aus der Staatskrise fordert er nun Neuwahlen – bei denen er offenbar wieder antreten möchte.
Welcher Ausweg bleibt Lenin Moreno?
Der Präsident hat kaum noch Rückhalt. Er war 2017 mit einem gemäßigt linken Programm gewählt worden, vollzog aber einen Rechts-Schwenk. Deswegen gilt er bei vielen als neoliberaler Verräter. In der Krise agiert der 66-Jährige, der wegen einer Schussverletzung seit 1998 im Rollstuhl sitzt, distanziert, widersprüchlich und ungeschickt. Er beschimpfte etwa Demonstranten als „zánganos“, als Schnorrer – und schuf damit unfreiwillig den Namen für die Protestbewegung: „Revolution der Schnorrer“.
Moreno versucht immer wieder den Ecuadorianern zu erklären, dass das IWF-Sparpaket notwendig sei. Die Subventionen für Benzin und Diesel kosteten den Staat jährlich 1,3 Milliarden Dollar. Das könne sich das verschuldete Ecuador nicht leisten. Deswegen sei seine Politik „notwendig“ und „mutig“.
Es ist nicht das erste Mal in der jüngeren Geschichte Lateinamerikas, dass ein IWF-Sparpaket zu einer schweren Regierungskrise führt. Auch Argentiniens konservativer Präsident Mauricio Macri wird wohl in Kürze krachend wegen den verheerenden Folgen der IWF-Politik für sein Land abgewählt. Ganz zu schweigen von der dramatischen Pleite Argentiniens 2001, bei der auch dem IWF eine Mitschuld gegeben wurde.
Warum geht es hier um mehr?
Es geht in Ecuador auch um Geopolitik und handfeste Wirtschaftsinteressen. Das Land hat sich in den vergangenen Jahren stark entwickelt, es sind neue Straßen, Kraftwerke und Flughäfen gebaut worden. Eine Folge ist der gestiegene Einfluss Chinas, das viele der Bauten finanziert hat.
Die Chinesen haben dabei auch Ecuadors große Erdölreserven im Blick, die sich im Amazonaswald befinden. Ecuador hat in diesem Zusammenhang angekündigt, aus der Opec austreten zu wollen, um sich unabhängig von den Förderquoten zu machen.
Nach Angaben des Instituts CDES (Centro de Derechos Económicos y Sociales) hat China der Regierung Ecuadors seit 2009 rund 15,8 Milliarden Euro geliehen, womit Peking der größte Gläubiger Quitos ist. Diese Abhängigkeit sorgt in Ecuador auch für Widerstand, von einer „Kolonie Pekings“ ist die Rede. Das Problem ist, dass Ecuador sich zu lange auf seine Einnahmen aus dem Ölgeschäft verlassen hat. Nach dem Fall der Ölpreise fehlte dieses Geld in der Staatskasse. Auch das ist ein Grund, warum Lenin Moreno sich in die Hände des IWF begeben hat - man ist in einem Zangengriff ausländischer Geldgeber. Das könnte ihn nun das Amt kosten.