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Demokratie lebt vom Mitmachen.
© imago/Ralph Peters

Bundestagswahl und Volksentscheid zu Tegel: Warum dieser Tag die Bundesrepublik verändern wird

Dieser Sonntag wird Deutschland verändern. Daran mitwirken zu können, ist Ausdruck unserer freiheitlichen Gesellschaft und ein Geschenk.

Am Sonntag ist es wirklich wichtig, was wir tun, wir, der Souverän. Denn es geht um alles das: um Zukunft, Lebensumfeld, Geld, Gesundheit, Arbeitsbedingungen, Freiheit – es geht um das Leben.
Jeder Einzelne kann, sollte, müsste heute daran teilhaben. Denn das Heute bestimmt darüber, was die Volksvertreter morgen machen sollen. Dass es dabei auf den Einzelnen nicht ankommt, ist eine allzu leichtfertige Vereinfachung, eine von Pessimisten und Schlechtrednern. Und dass Demokratie sowieso nicht funktioniert, weil korrupte und unfähige Eliten auf den Willen der Bevölkerung keine Rücksicht nehmen und dieses Land ausbeuten, ist mindestens böswillige Verallgemeinerung, wenn nicht gar Verschwörungstheorie.

Am heutigen Sonntag eine Volksvertretung frei und geheim wählen und über die Zukunft des Flughafens Tegel mitbestimmen zu dürfen, ist Ausdruck einer freiheitlichen Gesellschaft, die sich die Menschen in Syrien, Nordkorea, Saudi-Arabien, Weißrussland, China und vielen anderen diktatorischen Staaten schwer vorstellen können.

Und, nicht zu vergessen: Es ist noch nicht einmal eine ganze Generation her, da war es selbst im Ostteil dieser heute so großartigen Stadt nicht möglich, seinen Willen, seine Meinung ohne berechtigte Angst vor Repressalien kundzutun. Heute ist es nur selbstverständlich. Heute ist das hohe Fest der Freiheit.

Dieser Tag wird die Bundesrepublik verändern

Die scheidende Bundesregierung konnte sich in den vergangenen vier Jahren auf rund 67 Prozent der Wählenden berufen. Sie hat mit dieser Mehrheit Entscheidungen getroffen, die ihre Anhänger so oder so ähnlich gewollt haben. Diese Mehrheit hat mit diesem Handeln die Minderheit in diesem Land nicht in ihren Grundrechten beeinträchtigt. Zumal diese Grundrechte geschützt sind – einerlei, wer Wahlen oder Volksentscheide gewinnt. Oder verliert. Wenn das nicht auch eine großartige Errungenschaft der Demokratie ist.

Dieser Tag wird die Bundesrepublik Deutschland verändern. Vielleicht wird die Regierung der kommenden vier Jahre eine neue Farbe haben. Es werden aber ganz sicher neue Köpfe in den Bundestag und in einige Chefetagen der Ministerien einziehen. Vermutlich werden erstmals Vertreter von sieben Parteien unter der Glaskuppel im Reichstag um die richtigen Konzepte für die Zukunft streiten. Und erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik werden höchstwahrscheinlich Politiker darunter sein, die zwar die Freiheiten der Demokratie für ihren eigenen und parteipolitischen Erfolg nutzen, diese Freiheiten dann hinterher aber einschränken wollen. Auch das gehört zu einer offenen Gesellschaft. Es muss ihnen niemand folgen. Und es muss auch niemand ihre Vorstellungen kritiklos übernehmen.

Die offene Gesellschaft lebt vom Mitmachen. Sie lebt von ehrenamtlichen Helfern bei Feuerwehren, in Obdachlosen-, Asylheimen und Jugendsportvereinen. Diese Gesellschaft funktioniert, weil es freies Unternehmertum, starke Gewerkschaften und gut ausgebildete Arbeitnehmer gibt. Diese Gesellschaft ist verteidigenswert, weil Minderheiten geschützt werden. Weil Gerichte unabhängig sind. Weil schlechte Politiker ab- und gute wiedergewählt werden können. Das ist Alltag – und doch keine banale Selbstverständlichkeit.

Als Einzelner daran teilzuhaben, ist Demokratie

Mehr als 82 Millionen Menschen leben in diesem Land. Kein Wunder, dass es Konflikte, unterschiedliche Interessen und unangenehme Reibereien gibt. Aber diese Gesellschaft ermöglicht es vielen Menschen, sich nach den eigenen Vorstellungen verwirklichen zu können, dem egozentrischen Eigenbrödler ebenso wie dem weltoffenen Kosmopoliten. Wer die Chancen nicht erkennt oder wem tatsächlich Chancen versagt bleiben, dem wird oft genug von anderen geholfen. Das macht Deutschland noch nicht zum biblischen Paradies auf Erden, noch lange nicht. Aber die Voraussetzungen bieten alles, um sehr vielen Menschen ein im wörtlichen Sinn menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Das ist ein sehr glücklicher Umstand.

Heute wird an diesem Projekt, das immer im Werden bleibt, weiter gearbeitet. Heute wird ab 18 Uhr wieder Politik gemacht. Politik für mehr als 82 Millionen Menschen. Diese Politik wird auch für die gemacht, die nicht wählen gehen wollen. Es wird Politik gemacht, die direkten Einfluss auf das eigene Leben hat. Nicht wählen zu gehen bedeutet den Verzicht auf demokratische Teilhabe. Und auch wenn unsere Demokratie jedem die Freiheit lässt, nicht wählen zu gehen, so fußt sie dennoch auf dem aktiven Mittun. Am besten heute.

In Berlin reduziert sich die im Bund so komplexe Gemengelage auf ein schlichtes Ja oder Nein auf die Frage, ob der Flughafen Tegel auch nach einer Fertigstellung des neuen Flughafens in Schönefeld weiterbetrieben werden soll. Demokratie unterm Brennglas: Jeder Berliner hat Erfahrungen mit TXL, jeder eine Meinung zur Pannenbaustelle BER. Das Ergebnis wird die Politik, die Stadt über Monate, wenn nicht Jahre, beschäftigen. Und verändern. Als Einzelner daran teilzuhaben, ist Demokratie. Ist: ein Geschenk.
Dieser Tag wird Deutschland verändern. Nicht verändern dürfen sich die Freiheiten, die es gewährt und gewährleistet: Die Unabhängigkeit von Parlament, Regierung und Gerichten, die Pressefreiheit, die Freiheit der Rede, die Freiheit des Glaubens, die Möglichkeiten leben, lieben und arbeiten zu können, wie und wo es einem beliebt.

Diese Freiheit kann man wählen.

Lutz Haverkamp

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