Flüchtlingskrise in Südostasien: Warum die Rohingya-Minderheit übers Meer flieht
Langsam beginnen Malaysia, Thailand und Indonesien Flüchtlinge der muslimischen Rohingya-Minderheit aufzunehmen. Doch die asiatische Flüchtlingskrise beginnt in Birma - das Land verweigert jeden Dialog.
Nach etwa drei Wochen internationaler Aufmerksamkeit für die Flüchtlingskrise in Südostasien beginnen Malaysia, Thailand und Indonesien langsam damit, sich mit dem Ausmaß des Menschenhandels in der Region auseinanderzusetzen. Nur Birma, das von den macht habenden Generälen vor einigen Jahren in Myanmar umgetauft worden war, verweigert weiterhin jeden Dialog über die Lage der muslimischen Rohingya-Minderheit, die seit Jahrzehnten in dem Land massiv diskriminiert und bedroht wird.
Am Wochenende haben malaysische Behörden über den Fund eines Massengrabs mit etwa 100 verscharrten Leichen berichtet. Es handelt sich nach ersten Ermittlungen um muslimische Rohingya aus dem Land. Die Polizei entdeckte die verscharrten Leichen nach Angaben von Innenminister Ahmad Zahid Hamidi vergangene Woche an der Grenze zu Thailand. Er sei schockiert, sagte er am Sonntag. Ende April waren in Südthailand bereits mehr als zwei Dutzend Leichen, vermutlich von Rohingya, in verlassenen Dschungelcamps entdeckt worden. Außerdem sei die Polizei in der Region unweit der Grenze zu Thailand auf Gefangenenlager gestoßen, sagte Innenminister Ahmad Zahid Hamidi. Diese seien wahrscheinlich vor mindestens fünf Jahren von Menschenschmugglern angelegt worden. Sie liegen in einem Gebiet, über das Schlepperbanden mit Booten Flüchtlinge vornehmlich aus Birma und Bangladesch nach Südostasien bringen.
Die Route der Menschenschmuggler zwischen Thailand und Malaysia
Bisher hatte die Regierung stets bestritten, dass es Transitcamps von Menschenschmugglern auf malaysischem Boden gebe. Doch am Sonntag sagte Ahmad Zahid Hamidi: "Natürlich gehe ich davon aus, dass da Malaysier beteiligt sind." Was er damit meint, hat das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR vor wenigen Tagen in einem Bericht über die seit Jahren beobachteten Bootsflüchtlinge im Golf von Bengalen und dem Andaman-Meer beschrieben. Insbesondere seit 2012 gewalttätige Übergriffe auf Rohingyas und andere muslimische Gruppen in Birma stattgefunden haben, bei denen rund 200 Menschen getötet wurden und 140 000 vor allem Rohingyas flüchten mussten, steigt die Zahl der Bootsflüchtlinge jedes Jahr an, berichtet das UNHCR. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) hat 2014 rund 58 000 Bootsflüchtlinge gezählt und allein in den ersten drei Monaten waren es nach UNHCR-Angaben schon 25 000, etwa doppelt so viele wie im Jahr zuvor.
Nach UNHCR-Schätzungen sind 2012 etwa 730 Menschen auf der Überfahrt gestorben, ein Jahr später waren es etwa 620 und in den ersten drei Monaten dieses Jahres waren es bereits mindestens 300. Wie viele Menschen zudem ertrunken sein könnten, weiß keine der beiden Organisationen. Die gezählten Toten starben an Hunger, Durst oder wegen der Schläge, die ihnen die Schmuggler-Banden zufügten. Frauen würden regelmäßig vergewaltigt, berichtet das UNHCR weiter.
Mit Folter werden Lösegelder erpresst
Das Leiden der Flüchtlinge endet nicht, wenn sie Thailand erreicht haben, das bisher die bevorzugte Schmugglerroute war. Der britische Sender BBC hat bei einer Recherche erfahren, dass ganze Ortschaften im Süden Thailands am Geschäft der Menschenhändler beteiligt ist. Eine Bootsladung mit etwa 300 Flüchtlingen koste die Schmuggler an Land rund 20 000 Dollar. Die Menschen werden in Dschungelcamps festgehalten und, so steht es auch im UNHCR-Bericht, gezwungen, Verwandte oder Freunde anzurufen und Geld zu fordern. "Wird nicht gezahlt, ist das tödlich", berichtet die IOM. Ähnlich wie den den Foltercamps auf dem Sinai, die inzwischen an die Grenze zwischen Eritrea und dem Sudan verlegt worden sind, muss es auch in den thailändischen Camps zugegangen sein. Menschen seien mit dem Kopf nach unten an Bäume gehängt worden, ihnen seien mit Zangen ihre Fingernägel gezogen worden, sie seien geschlagen und Frauen immer wieder vergewaltigt worden. Ihre Schreie mussten sich dann die Angehörigen anhören und versuchen, genug Geld aufzutreiben, um sie aus den Camps freizukaufen. Zwischen 2000 und 3000 Dollar verlangten die Menschenschmuggler nach UNHCR-Recherchen.
Seit Mai treiben Tausende Flüchtlinge auf dem Meer
Nach BBC-Informationen haben offenbar nicht nur die Dörfer am Geschäft mit den Flüchtlingen teilgehabt sondern auch Angehörige der Armee in Thailand. Erst nach dem internationalen Aufsehen, nachdem ein Massengrab in Thailand ausgegraben worden war, begannen die Behörden damit, die Camps zu schließen und Haftbefehle für die Schmuggler auszugeben. Genau das wiederum hat die aktuelle Krise auf dem Meer ausgelöst. Die Schmuggler fürchteten, von den thailändischen Behörden erwischt zu werden und haben die überfüllten Flüchtlingsschiffe einfach sich selbst überlassen, in manchen Fällen haben sie sogar die Motoren lahm gelegt, so dass die Flüchtlinge hilflos auf dem Meer treiben. Zunächst weigerten sich alle drei Nachbarländer, Thailand, Malaysia und Indonesien, die Flüchtlinge an Land zu lassen. Im Gegenteil. Die Küstenwachen wurden sogar angewiesen, die Schiffe aus ihren Hoheitsgewässern zurück auf die offene See zu schleppen. Erst vor wenigen Tagen einigten sich die drei Außenminister zumindest darauf, die Schiffe nicht mehr zurückzuschicken und zumindest den Rohingya ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu gewähren. Dagegen sollen die Migranten aus Bangladesch, die etwa die Hälfte der Flüchtlinge aus machen, unmittelbar wieder zurück geschickt werden.
Nach Angaben der IOM haben in den vergangenen Tagen rund 3600 Flüchtlinge eines der drei Länder erreicht. Allerdings trieben noch mindestens genauso viele Flüchtlinge weiterhin auf dem Meer, berichtete die IOM am Wochenende. Am Sonntag äußerte sich erstmals Bangladeschs Ministerpräsidentin Sheikh Hasina zur Flüchtlingskrise. Sie bezeichnete die aus ihrem Land flüchtenden Menschen als "geistig krank". Es gebe genügend Arbeit in Bangladesch, sagte sie der staatlichen Nachrichtenagentur Sangbad Sangstha. "Sie verderben das Image Bangladeschs auf der internationalen Bühne." Sie rief die Behörden auf, den Menschenhändlern das Handwerk zu legen. Aber auch diejenigen, die versuchten, illegal das Land zu verlassen, müssten bestraft werden, forderte die Regierungschefin.
2012 hatte Bangladesch ein Migrationsabkommen mit Malaysia geschlossen. Malaysia hängt stark von ausländischen Arbeitern ab. Nicht nur Heerscharen von Hausmädchen aus Indonesien, den Philippinen oder aus den Nachbarländern arbeiten in den malaysischen Mittelklasse-Haushalten. Auch auf dem Bau und in anderen unbeliebten Branchen geht ohne die Wanderarbeiter aus Bangladesch und anderswoher gar nichts. Dem Abkommen folgte aber wenig. 1,5 Millionen Menschen in Bangladesch hatten sich für ein Arbeitsvisum in Malaysia beworben, doch Entscheidungen gab es offenbar keine. Deshalb sind viele auf eigene Faust losgezogen und haben ihr Schicksal in die Hände von Menschenhändlern gelegt.
Warum werden die Rohingya in Birma verfolgt?
Die Rohingya in Myanmar wiederum leben unter besonders prekären Verhältnissen. Die Rohingya selbst leiten ihre ethnische Gruppe von arabischen Händlern ab, die seit Jahrhunderten in der Region lebten. Die Regierung in Birma bezeichnet die Rohingya dagegen als Bengalen, also Menschen aus Bangladesch, die erst "kürzlich" zugewandert seien. Die Rohingya leben überwiegend in Birma und Bangladesch aber auch in Saudi-Arabienund Pakistan. In Birma haben sie keine Staatsbürgerschaft. Sie leben seit den Angriffen von 2012 endgültig in völliger Trennung von der buddhistischen Mehrheitsgesellschaft in Birma. Die Gewaltexzesse 2012 begannen, nachdem im Mai eine buddhistische Frau von mehreren muslimischen Männern vergewaltigt worden war.
Nahe der Provinzhauptstadt Sittwe im Bundesstaat Rakhine im Südwesten nicht weit von der Grenze zu Bangladesch leben heute Zehntausende Rohingyas in von der Armee bewachten Camps. Sie dürfen diese Camps oder teilweise Dörfer und Städte nicht verlassen. Sie dürfen auch nicht arbeiten. In den Unruhen 2012 haben die meisten Rohingyas ihre Boote und ihr Vieh verloren und haben kaum noch eine Möglichkeit, sich selbst zu ernähren. Rund 400 000 Menschen werden in der Region von den Vereinten Nationen mit Nahrungsmittelhilfe versorgt. Weil die Rohingyas ihre Camps nicht verlassen dürfen, gibt es für sie auch keinerlei medizinische Versorgung. Ein BBC-Reporter beschreibt einen Besuch in dem Ort ein Jahr nach den Unruhen als morastiges Elendsviertel, in dem die Frauen ihre Kinder "buchstäblich im Schlamm zur Welt bringen".
Auch Freiheitsikone Aung San Suu Kyi hat keine Sympathie übrig
Die Regierung des Reform-Generals Thein Sein, der seit 2011 eine Öffnung seines Landes vorantreibt und 2010 auch die Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kiy aus ihren 15 Jahre dauernden Hausarrest entlassen hat, will über die Rohingya nicht sprechen. Auch Aung San Suu Kiy, die für die Wahlen im November kandidiert, sieht sich nicht zuständig. "Es ist Sache der Regierung, sich um das Thema zu kümmern. Sie sollten besser die Regierung fragen", sagte sie Reportern in der Hauptstadt Naypyidaw. Der Hass auf die Rohingyas in Birma ist groß. Vor allem die von buddhistischen Mönchen angeführte Bewegung 969 schürt den Hass auf die Menschen im Land. Aktuell diskutiert Birma über ein Gesetz, das Frauen zwingen soll, zwischen zwei Geburten mindestens 36 Monate Zeit zu lassen. Das Gesetz wird als weitere Diskriminierung der muslimischen Minderheit verstanden. Die Mehrheitsgesellschaft wiederum weist obsessiv seit Jahren auf den Kinderreichtum der muslimischen Minderheit hin.
Die Gewalt gegen Muslime hat Tradition
2012 war nicht das erste Mal, dass die Rohingyas Opfer von Gewalt in Birma wurden. Seitdem Inder und andere Angehörige des britischen Kolonialreiches in Südasien in den 1930er Jahren in größerer Zahl nach Birma eingewandert sind, gebe es Spannungen, schreibt der Thinktank International Crisis Group in seinem Bericht über Birma 2013. Es gab übrigens schon 2001 Übergriffe auf Muslime, bei denen auch sechs Moscheen zerstört worden sind. Das war, nachdem die Taliban in Afghanistan die buddhistischen Statuen von Bamiyan zerstört hatten. (mit AFP)