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Der Weg aus der Bredouille? Auf Artikel 63 Grundgesetz kommt es an.
© Thilo Rückeis

Regierungsbildung: Warum die Neuwahl des Bundestags so schwierig ist

Sollte die Bildung der großen Koalition an der SPD scheitern, sind Neuwahlen im Gespräch. Aber sind sie wirklich so einfach zu erreichen? Oder machen sich die Befürworter Illusionen?

Sie seien nur eine „ultima ratio“, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gesagt. Doch über Neuwahlen wird geschrieben und spekuliert für den Fall, dass die Groko am Sonntag am SPD-Parteitag scheitert – oder später am Mitgliederentscheid, weil das Sondierungsergebnis die Basis nicht überzeugt hat. Zu den führenden Sozialdemokraten, die schon mal über die Notwendigkeit einer vorgezogenen Bundestagswahl sinnierten, gehört Michael Müller, der Regierende Bürgermeister von Berlin. Manche im politischen Betrieb meinen, es sei ganz einfach, die Wähler erneut aufzurufen. Die wiederum haben zuletzt laut Infratest dimap Neuwahlen mehrheitlich (54 Prozent) einer Minderheitsregierung (42 Prozent) vorgezogen.

Die Leichtigkeit der Forderung, beim Scheitern einer großen Koalition eben zu Neuwahlen zu kommen, rührt auch daher, dass es schon drei vorzeitige Bundestagsauflösungen gegeben hat – 1972, als Willy Brandt seiner Mehrheit nicht mehr sicher war, 1982, als Helmut Kohl nach dem Koalitionswechsel der FDP eine Wahl zur Legitimierung von Schwarz-Gelb wollte, und 2005, als Gerhard Schröder die Regierungsfähigkeit seiner rot-grünen Koalition wegen der erdrückenden schwarz-gelben Gegenmehrheit im Bundesrat nicht mehr gegeben sah. In allen drei Fällen endete die Wahlperiode durch eine trotz vorhandener Mehrheit im Bundestag verlorene und somit "unechte" Vertrauensfrage. Die Bundespräsidenten Gustav Heinemann, Karl Carstens und Horst Köhler folgten den Wünschen der Kanzler und lösten das Parlament auf.

Merkel kann Vertrauensfrage nicht stellen

Nun aber ist die Situation eine andere. Im Gegensatz zu Brandt, Kohl und Schröder ist Angela Merkel derzeit keine gewählte Kanzlerin, sondern nur geschäftsführend im Amt. Sie kann nicht zurücktreten und sie kann auch keine Vertrauensfrage stellen. Das ginge erst, wenn sie gewählt ist. So kommt derzeit die Auflösung gemäß den Präzedenzfällen, die auf Artikel 68 des Grundgesetzes beruhten, nicht in Frage. Möglich wäre nur der Weg über Artikel 63, der die Wahl des Kanzlers regelt. Doch ist der wirklich gangbar? Die Politologin Sabine Kropp meint, dass die politischen Implikationen, die sich aus dem Vorgehen gemäß Artikel 63 ergeben, in der öffentlichen Debatte zu wenig berücksichtigt werden. „Neuwahlen sind mit hohen Hürden verbunden, die für alle Beteiligten mit Stolpersteinen verbunden sind“, sagte Kropp, die Professorin an der Freien Universität Berlin ist, dem Tagesspiegel. Die Möglichkeit, über eine „unechte Kanzlerwahl“ zu einer vorgezogenen Wahl zu kommen, ist aus ihrer Sicht problematisch. Der Magdeburger Politologe Wolfgang Renzsch urteilt sogar: „Abgesehen von der Frage, was man damit zu gewinnen erhofft, hat sich offensichtlich kaum jemand überlegt, wie der Weg zu Neuwahlen aussehen könnte. Im Grunde ist er kaum möglich.“

Im Mittelpunkt: Artikel 63 des Grundgesetzes

Artikel 63 sieht für die Kanzlerwahl drei Stufen vor. Erst kommt der Vorschlag des Bundespräsidenten. Bei Misserfolg im ersten Wahlgang, in dem die Mehrheit aller Abgeordneten nötig ist, hat nun der Bundestag 14 Tage Zeit, in beliebig vielen Wahlgängen wieder mit Mehrheit aller Abgeordneten einen Kanzler zu wählen. Misslingt das auch, muss das Parlament unverzüglich nach dieser Frist ein letztes Mal abstimmen – dann reicht die relative Mehrheit. Nun kommt der Bundespräsident wieder ins Spiel, er muss dann entscheiden, ob er einen Minderheitskanzler ernennt oder den Bundestag auflöst.

Die erste ist gleich die höchste Hürde: Denn wen soll Steinmeier mit dem Ziel vorschlagen, diese Wahl zu verlieren, um den weiteren Weg zu eröffnen? Angela Merkel? Kropp glaubt das nicht: „Die Kanzlerin wird sich nicht, sozusagen als Dummy, einer solchen Wahl stellen.“ Es sei im Grunde eine absurde Situation, denn tatsächlich müssten sich Steinmeier und die Parteispitzen auf einen Kandidaten verständigen, „bei dem von vornherein feststeht, dass er oder sie gar nicht Kanzler werden wird“. Für Renzsch zeigt sich hier das Dilemma des Verfahrens. „Aus dem Sinn des Artikels 63 ergibt sich, dass der Bundespräsident nur jemanden vorschlagen sollte, der auch die Chance hat, die Wahl erfolgreich zu bestehen, also keinen bloßen Zählkandidaten.“ Steinmeier könnte natürlich SPD-Chef Martin Schulz vorschlagen, wenn die SPD partout zu Neuwahlen kommen will. Aber wie sähe das aus?

Vorschlagsrecht bei der Union

Zumal ihn die SPD-Fraktion im weiteren Verfahren gar nicht mehr allein vorschlagen könnte. Denn nach der Geschäftsordnung des Bundestags sind in diesen Wahlgängen innerhalb der 14-Tage-Frist nur Wahlvorschläge möglich, hinter denen mindestens ein Viertel aller Abgeordneten steht oder aber eine Fraktion, die ein Viertel der Abgeordneten stellt. Über dem Viertel-Quorum liegt aber nur die Unions-Fraktion. Kropp hält es freilich für „nicht denkbar“, dass nun ausgerechnet die CDU/CSU Merkel zur Wahl vorschlägt und sie so „verheizt“. Also könnte die SPD eine „unechte Kanzlerwahl“ nur mit anderen Fraktionen bewerkstelligen. Eine schwarz-rote Verständigung ergäbe eine Mehrheitswahl – schließt sich also selbst aus. Dass sich fraktionsübergreifend Abgeordnete verbünden, um einen neuen „Dummy“ aufzustellen, ist kaum vorstellbar. Daher ist anzunehmen, dass die Fraktionen 14 Tage lang inaktiv bleiben und gar keine Wahlgänge ansetzen. Sie müssen das nach dem Grundgesetz auch nicht. Aber nach Ablauf der Frist muss der Bundestag unverzüglich in den entscheidenden Wahlgang gehen. Auch hier gilt das Viertel-Quorum, nur die Unions-Fraktion hätte ein Vorschlagsrecht (es sei denn, es gäbe einen fraktionsübergreifenden Gegenvorschlag). Unklar ist, was passiert, wenn es im dritten Wahlgang gar keinen Vorschlag gibt.

"Verfassungsorgane delegitimiert"

Kurzum: Der vermeintlich einfache Weg zu Neuwahlen ist tatsächlich eine schwierige Operation. Kropp sieht das gesamte Prozedere auch mit Blick auf das Amt des Bundespräsidenten kritisch. Steinmeier habe sein Gewicht für das Zustandekommen einer großen Koalition in die Waagschale geworfen. „Durch das Verfahren einer Neuwahl nach unechter Kanzlerwahl würde er beschädigt“, lautet ihr Fazit. „Steinmeier müsste sich auf ein Spiel einlassen, das er mit guten Argumenten – stabile Regierung – abgelehnt hat.“ Sie fürchtet, dass spätestens dann den Wählern „die mangelnde Stabilität und Unfähigkeit der Parteien zur Einigung und die begrenzte Durchsetzungsfähigkeit des Bundespräsidenten plastisch vor Augen geführt wird“. Verfassungsorgane würden damit „delegitimiert“.

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