Donald Trump zum Iran: Warum der US-Präsident den Atomdeal aufkündigt
Donald Trump glaubt im Gegensatz zu Europa in der Iran-Frage nur an den harten Kurs. Den Hardlinern in Teheran käme das Ende des Abkommens zupass. Eine Analyse.
Nur elf Minuten brauchte Donald Trump, um das in jahrelangen mühsamen Gesprächen ausgehandelte Atomabkommen mit dem Iran in Schutt und Asche zu legen.
In diesen elf Minuten vor den Kameras im Weißen Haus wiederholte Trump nicht nur seine Kritik an dem seiner Meinung nach schlechten Deal. Indem er in der kurzen Ansprache ein gutes Dutzend Mal das „iranische Regime“ attackierte, machte er auch deutlich, worauf er in seiner Iran-Politik letztlich hinaus will.
Wenn er schon keinen Regimewechsel in Teheran erreichen kann, will er das Land wirtschaftlich und politisch so unter Druck setzen, dass sich die Politik der Iraner in der Region grundsätzlich wandelt.
Auf den Atomvertrag mit dem Iran hatte sich Trump schon als Wahlkämpfer eingeschossen. Eine Katastrophe sei das von seinem Vorgänger Barack Obama abgeschlossene Abkommen, schimpfte er. Die Vereinbarung, die im Jahr von Trumps Wahlsieg 2016 in Kraft trat, hätte niemals abgeschlossen werden dürfen, sagte Trump auch am Dienstag wieder.
Deshalb führen die USA die unter Obama aufgehobenen Sanktionen gegen den Iran wieder ein, setzen neue, noch nicht im Detail bekannte Strafmaßnahmen obendrauf und drohen europäischen Unternehmen mit Konsequenzen, wenn sie weiter Geschäfte mit Teheran machen sollten.
Teheran wirtschaftlich möglichst in Bedrängnis bringen
Um seine europäischen Verbündeten nicht völlig vor den Kopf zu stoßen, werden die US-Sanktionen erst in frühestens drei Monaten wirksam. Bis dahin könnte es theoretisch Nachverhandlungen geben, die Trumps Strafpaket noch abwenden würden.
Doch der US-Präsident selbst glaubt nicht an eine solche Lösung. Er setzt darauf, dass die Iraner unter wirtschaftlich so in Bedrängnis geraten, dass sie um Gespräche über weitgehende Einschränkungen ihres Atomprogramms bitten werden. Erst dann seien die USA bereit für „einen neuen Deal“, sagte Trump.
Seine Position macht also eine Kapitulation der Iraner zur Geschäftsgrundlage. Der Nahost-Experte Ofer Zalzberg von der Denkfabrik Crisis Group spricht von einer „Doktrin der Diplomatie mit Zwangsmitteln“.
Beim Vorgehen des Präsidenten spielt sein innenpolitisch motiviertes Streben eine Rolle, möglichst viele Errungenschaften der Obama-Zeit rückgängig zu machen. Über seine politische Allergie gegen Obamas Präsidentschaft hinaus geht es Trump darum, die bisherige US-Politik in Nahost und anderswo, die er als windelweich verdammt, durch Tatkraft zu ersetzen. Dass manche Folgen nicht völlig durchdacht sind, stört den früheren Immobilienunternehmer wenig.
In den ersten Monaten nach seinem Amtsantritt ließ sich Trump noch von Beratern zu einer Beibehaltung der Regeln aus dem Iran-Deal überreden. Doch inzwischen sind die meisten Vertragsanhänger aus Trumps Küchenkabinett verschwunden. Sicherheitsberater John Bolton und der neue Außenminister John Pompeo sind ausgewiesene Iran-Hardliner, die Obamas Vertrag lieber jetzt als gleich zerreißen würden. Nur Verteidigungsminister James Mattis mahnt zur Vorsicht.
Nur von einem Donnerwetter erhofft sich Trump Erfolg
Trump ist grundsätzlich überzeugt, dass Druck und nicht die Suche nach Kompromissen zu Ergebnissen führt. So sieht er den Kurswechsel Nordkoreas in der Frage der Atomrüstung als direkte Folge seiner Drohung mit „Feuer und Zorn“ und verschärften Sanktionen. Wo andere von Kriegsgefahr sprechen, erkennt Trump eine Möglichkeit, den jeweiligen Gegner durch militärische oder wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen zum Einlenken zu zwingen.
Aus diesem Blickwinkel heraus betrachtet er auch den Streit um das iranische Atomabkommen. Nicht bedächtige Trippelschritte von Bürokraten und Diplomaten führen seiner Meinung nach zum Erfolg, sondern ein Donnerwetter der Supermacht USA, oder zumindest die Drohung mit einem solchen.
„Die USA machen keine leeren Drohungen mehr“, sagte Trump in einem Seitenhieb auf Obama. Mit seiner harten Haltung beim Abkommen will er auch gegen iranische Aktivitäten außerhalb des Rahmens des Atomvertrages wie Teherans Raketenprogramm vorgehen.
Kritiker sehen die große Schwäche in Trumps Taktik im Fehlen einer Alternative. Der Präsident baut darauf, dass Teheran eines Tag neuen Restriktionen fürs Atomprogramm und die iranische Politik in Nahost zustimmt. Dies ist jedoch so gut wie ausgeschlossen. Was die USA unternehmen wollen, wenn es keine Verhandlungen gibt, ist unklar. Doch das ist Trump womöglich ganz recht.
So viele internationale Gespräche wie lange nicht
Zwischen Europa und den USA gab es vor und hinter den Kulissen es in den vergangenen Monaten so viele und so intensive Gespräche wie seit Langem nicht mehr. Nacheinander klopften Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, Kanzlerin Angela Merkel und der britische Außenminister Boris Johnson bei der amerikanischen Regierung an, um den Iran-Deal zu retten. Große Hoffnungen auf Erfolg hatten die drei Länder – im diplomatischen Sprachgebrauch „E3“ genannt – bei allen Bemühungen nicht. Dass sie bis zum Inkrafttreten der von Trump angekündigten neuen US-Sanktionen eine Lösung aushandeln könnten, die sowohl Amerikas Präsidenten als auch die Iraner zufrieden stellt, war unwahrscheinlich
Im Grunde stellt Trump die europäische Herangehensweise auf den Kopf. Die „E3“ wollten den Vertrag als Basis für Gespräche mit den Iranern über das Raketenprogramm und andere Probleme nutzen und notfalls mit Strafmaßnahmen drohen. Trump verhängt gleich Sanktionen und setzt darauf, dass Teheran früher oder später unter wirtschaftlichem Druck weiteren Gesprächen zustimmen muss.
Europäer wollen am Abkommen festhalten
Das Abkommen aus dem Jahr 2015 stellte einen der wenigen Erfolge europäischer Diplomatie dar. Nach jahrelangem Ringen wurde eine atomare Krise im Nahen Osten abgewendet. Anders als für die weit entfernten Amerikaner ist der Nahe Osten für die Europäer ein Krisenherd unmittelbar vor der eigenen Haustür. Eine Eskalation nach dem Zusammenbruch des Vertrages wäre diplomatisch und sicherheitspolitisch ein schwerer Rückschlag für die „E3“.
Auch wirtschaftliche Motive spielten bei den Appellen aus Europa, den IranVertrag zu erhalten, eine wichtige Rolle. Das Ende der westlichen Sanktionen gegen Teheran im Rahmen des Abkommens hat europäischen Firmen neue Möglichkeiten im Iran eröffnet.
Der französische Ölkonzern Total etwa schloss eine fünf Milliarden Dollar schwere Übereinkunft zur Ausbeutung von Erdgasvorkommen vor der iranischen Küste. Airbus will den Iranern in den kommenden Jahren 100 Flugzeuge liefern. Trump drohte am Dienstag allen Akteuren, die noch Geschäfte mit dem Iran machen wollen, amerikanische Strafmaßnahmen an.
Angesichts des politischen und wirtschaftlichen Einsatzes, der für die Europäer auf dem Spiel steht, dürften die „E3“ trotz der sehr dürftigen Erfolgsaussichten in den kommenden Monaten weiter versuchen, die Vereinbarung mit dem Iran auch ohne die USA am Leben zu erhalten.
Europa strebt Zusatzvereinbarungen im Zusammenhang mit dem als Bedrohung empfundenen iranischen Raketenprogramm und zur Lösung anderer Probleme an. Ob das letztendlich gelingt und am Ende aus Trumps Sicht reicht, ist mehr als fraglich.
Irans Präsident Hassan Ruhani droht USA immer wieder
Irans Präsident Hassan Ruhani stimmt das Volk vorsichtshalber schon mal auf harte Zeiten ein. Der drohende Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen könnte in den ersten Monaten der Islamischen Republik einige Probleme bereiten, sagte Ruhani kurz vor der Entscheidung von Trump. „Aber auch das werden wir überleben.“ Er setze darauf, dass sich das EU-Trio Frankreich, Großbritannien und Frankreich an den Deal halten und ihn vertragsgerecht umsetzen.
Das kling nach Zweckoptimismus. Doch das ist nur die eine Seite. Denn der Iran hat andererseits in den vergangenen Tagen immer wieder betont, Amerika solle sich in Acht nehmen. Eine entsprechende Entscheidung würde Amerika „bedauern“. Man sei in der Lage, innerhalb kurzer Zeit das Nuklearprogramm wieder hochzufahren. Außerdem schließt Teherans Führung kategorisch aus, den Deal nachzuverhandeln. Und über das Raketenprogramm sowie Irans Regionalpolitik werde gleichfalls nicht diskutiert.
In dieser Haltung sind sich die reformorientierten politischen Kräfte um Ruhani und die Hardliner etwa bei den paramilitärischen Revolutionsgarden und dem Klerus weitgehend einig. Der Präsident wird es jedoch sehr schwer haben, seinen moderaten Kurs gegenüber den Europäern durchzuhalten.
Für Irans Fundamentalisten steht nämlich fest, das mit Amerikas Ausstieg aus dem Abkommen jede Grundlage für die Übereinkunft hinfällig ist. Der „große Satan“, so die Lesart der Erzkonservativen, habe nun sein wahres Gesicht gezeigt.
Deshalb gibt es aus ihrer Sicht keinen Grund, dass der Iran dem ungeliebten, ja, verhassten Deal treu bleibt. Insofern treffen sich die Hardliner in Teheran mit denen in Washington: Sie halten das Abkommen für miserabel. Sogar Ruhani betonte am Dienstag, die USA hätten nie ihre Verpflichtungen erfüllt.
Hardliner hoffen sogar auf Ende des Vertrags
Im Iran sehnen die Gegner der Übereinkunft dessen Ende regelrecht herbei. Ein Ausstieg würde das Land nicht nur von den lästigen Kontrollen der Atomenergiebehörde befreien, sondern gebe den Fanatikern die willkommene Gelegenheit, ihren Expansionskurs im Nahen Osten ohne Zurückhaltung fortzusetzen.
Ruhani dürfte einige Probleme haben, dem etwas entgegenzusetzen. Seine Reformpolitik – den die Konservativen als Verrat an den Werten der islamischen Revolution werten – könnte sogar gänzlich der Boden entzogen werden. Denn auch wenn sich Irans nach dem Wegfall vieler Sanktionen ein wenig erholt hat – beim Volk kommt davon bis heute recht wenig an. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, vor allem bei Jugendlichen. Immer mehr Iraner sind obdachlos. Die Lebenshaltungskosten sind immens, Preise für Grundnahrungsmittel oft unerschwinglich hoch. Korruption gehört zum Alltag.
Bald drei Jahre nach Aufhebung der Strafmaßnahmen hat sich damit die Hoffnung auf einen Aufschwung allenfalls zum Teil erfüllt. Anfang des Jahres entlud sich schließlich der Frust der verarmenden Menschen in heftigen Protesten. Landesweit gab es Kundgebungen mit harschen regierungskritischen Slogans. Aus Sicht des theokratischen Establishments darf sich Derartiges nicht wiederholen. Für die Hardliner steht fest, dass dieses Aufbegehren Ruhanis Kurs der Öffnung geschuldet ist. Das soll jetzt ein Ende haben. Ein Scheitern des Atomabkommens kommt da zupass.
Christian Böhme, Thomas Seibert