„Operation Rubikon“: BND und CIA spähten mittels gemeinsamer Firma Staaten aus
Staaten verließen sich bei der Verschlüsselung ihrer Kommunikation jahrzehntelang auf ein Unternehmen. Dass es den Geheimdiensten gehörte, wussten sie nicht.
Der Bundesnachrichtendienst und der US-Auslandsgeheimdienst CIA haben Medienberichten zufolge mittels einer Verschlüsselungsfirma über Jahrzehnte hinweg mehr als 100 Staaten ausgespäht.
Es sei gelungen, den Staaten manipulierte Technologie zu verkaufen und dann vermeintlich sichere Kommunikation abzuhören, berichtete das ZDF am Dienstag. Der Sender hatte gemeinsam mit der „Washington Post“ und dem Schweizer Fernsehen SRF recherchiert.
Die Medien werteten demnach bisher unveröffentlichte CIA- und BND-Dokumente über die von 1970 bis 1993 laufende „Operation Rubikon“ aus. Offenbar verließen sich Regierungen in aller Welt bei der Verschlüsselung ihrer Kommunikation auf die Schweizer Firma Crypto AG – im Unwissen darüber, dass diese seit 1970 in Besitz der CIA und des BND gewesen sei und die Geheimdienste in der Lage waren, die Verschlüsselung zu knacken.
Der frühere Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer (CDU) bestätigte dem ZDF die Geheimdienstoperation. Der BND habe die Zusammenarbeit mit der CIA demnach aber 1993 beendet. Er sagte auch: „Die Aktion Rubikon hat sicher dazu beigetragen, dass die Welt ein Stück sicherer geblieben ist.“
Der Bundesnachrichtendienst wollte gegenüber dem ZDF nicht Stellung zu dem Fall nehmen.
Größte Abnehmer: Saudi-Arabien und Iran
Der „Washington Post“ zufolge weisen die ausgewerteten Unterlagen darauf hin, dass mehr als 120 Länder zwischen den 1950er und den 2000er Jahren Verschlüsselungstechnik der Firma verwendeten. Sie war einer der größten Anbieter für abhörsichere Kommunikation. Die „Operation Rubikon“ werde als „eine der erfolgreichsten nachrichtendienstlichen Unternehmungen der Nachkriegszeit“ bezeichnet.
Die größten Abnehmer für die manipulierte Technik waren demnach Saudi-Arabien und der Iran. Jahrzehntelang seien deutsche und US-Stellen über die geheime Regierungskommunikation des Iran informiert gewesen, auch während der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran 1979.
Schweiz will Aufklärung bis Ende des Jahres
Als die CIA und der BND in Besitz der Firma gewesen seien, hätten sie Millionen daran verdient. Das ZDF zitiert die ausgewerteten Papiere mit den Worten: „Die jährliche Gewinnausschüttung (...) wurde dem BND-Haushalt zugeschlagen, (...) Haushaltsausschuss und Rechnungshof hatten darüber keine Kontrolle.“
„Die zur Diskussion stehenden Ereignisse nahmen um 1945 ihren Anfang und sind heute schwierig zu rekonstruieren und zu interpretieren“, teilte das Schweizer Verteidigungsministerium der Deutschen Presse-Agentur in Wien mit. Der Schweizer Bundesrat habe daher am 15. Januar Niklaus Oberholzer, bis Ende 2019 Bundesrichter, damit beauftragt, die Faktenlage zu klären. Oberholzer soll bis Ende des laufenden Jahres Bericht erstatten.
Laut Verteidigungsministerium wurde der Bundesrat im „Nachgang der Medienrecherchen“ am 5. November 2019 über den Fall informiert.
Kenntnis über Menschenrechtsverletzungen erlangt
Der „Spiegel“ nannte die Crypto AG in einem Artikel 1996 die „allererste Adresse bei den Heimlichkeitswerkzeugen“. Darin berichtete das Magazin auch über „verworrene“ Besitzverhältnisse und dass deutsche und amerikanische Geheimdienste im Verdacht stünden, „bis Ende der achtziger Jahre Cryptos Schutzgeräte so manipuliert zu haben, daß [sic!] ihre Codes im Handumdrehen zu knacken waren“.
Nach den neuen Recherchen erlangte die Bundesregierung Kenntnis über Menschenrechtsverletzungen, etwa während der Militärdiktatur in Argentinien, wo Tausende Regimegegner verschwanden und zum Beispiel aus Hubschraubern lebendig ins Meer geworfen worden waren.
„Leichtgläubigkeit“ anderer Staaten ausgenutzt
Zu den Kunden der Crypto AG hätten auch Indien, Pakistan und der Vatikan gezählt, berichtete die „Washington Post“. Sie fasst die Faktenlage so zusammen: Die USA und ihre Verbündeten hätten die „Leichtgläubigkeit“ anderer Staaten ausgenutzt, sie ihres Geldes und ihrer Geheimnisse beraubt.
Die Crypto AG sei 2018 in zwei Firmen aufgespalten worden, berichtete das ZDF. Den neuen Geschäftsleitungen lägen über die Zeit davor keine Erkenntnisse vor, hieß es. (AFP/dpa)