Auf dem Irrweg zur Bundesschulpolitik: Warum das deutschlandweite Zentralabitur keine gute Idee ist
Bundesweite Prüfungsvorgaben würden irgendwann zu einem einheitlichen Lehrplan führen. Die Bundespolitik bekäme so zu viel Einfluss. Ein Kommentar
Der Zentralissimus der deutschen Politik heißt ja neuerdings Christian Lindner. Der FDP-Chef hat sich unlängst schon bei der Digitalisierung des Schulunterrichts als eifriger Vertreter des nationalen Gedankens in der Bildungspolitik erwiesen und dem Bund mehr schulpolitische Gestaltungsmacht zuschanzen wollen. Jetzt möchte er, allein ist er nicht mit der Forderung, das bundesweite Zentralabitur. Staunend liest man, Wettbewerb der Länder im Bildungswesen sei „aus der Zeit gefallen“. Aber wodurch ersetzt man Wettbewerb üblicherweise?
Die Argumente gegen das Zentralabitur sind äußerst schwach. Es ist doch klar, dass ein einheitliches Bildungssystem die bessere Variante ist, nicht nur für Menschen, die in ein anderes Bundesland ziehen, auch für die Studenten, die mit gleichen Voraussetzungen an die Unis kommen.
schreibt NutzerIn halfscot
Immerhin gibt es in 15 der 16 Länder schon das Zentralabitur, also die zentral vorgegebene Abiturprüfung für alle. Da liegt für manche offenbar der Gedanke nahe, es sei an der Zeit, nun ein einheitliches Bundeszentralabitur daraus zu machen, auch wenn Schule nach dem Grundgesetz keine Bundesangelegenheit ist.
Zumal auch die Kultusminister der Länder mehr Vereinheitlichung anstreben, vorauseilend, damit sie im Zuständigkeitsstreit um die Gestaltung der Schulpolitik nicht noch mehr unter Zentralisierungsdruck geraten. Selbst in Baden-Württemberg ist man weitaus offener dafür als früher, nur Bayern gibt sich noch als regionale Trutzburg. Auch Lehrerverbände sind skeptisch.
Weniger Spielraum
Nun gibt es zum Zentralabitur durchaus unterschiedliche Ansichten. Ob es dann wirklich gerechter zugeht, man weiß es nicht. In jedem Fall wird den Lehrern etwas von ihrer Unterrichtsautonomie genommen. Flexibilität der Unterrichtsgestaltung muss zurückstehen, denn Zentralabitur bedeutet, sich strenger am Lehrplan zu orientieren. Das ist dessen Sinn und Zweck. Und je detaillierter die Vorgaben sind, umso weniger bleibt an Spielraum übrig. Die Vor- und Nachteile werden unter den Pädagogen noch in drei Generationen umstritten sein.
Beispiel England
Irgendwann ist man dann aber auch, hat sich das Prinzip einmal durchgesetzt, beim Zentrallehrplan und den einheitlichen Vorgaben für die Schulbücher und Lernmaterialien. Dann wird erst recht der Kanon gelehrt. In England ist man den Schritt zur Zentralisierung der Unterrichtsgestaltung, zu einem „national curriculum“, einem einheitlichen Lehrplan, vor dreißig Jahren unter Margaret Thatcher gegangen.
Eine Spätfolge dessen hat man vor einigen Jahren erlebt, als der konservative Erziehungsminister Michael Gove, ein glühender Brexit-Anhänger und ein glühend ehrgeiziger Parteipolitiker, mal eben ohne jede Absprache dekretieren wollte, Europa in den Geschichtslehrplänen zu minimieren. Es folgte eine muntere Profilierungsdebatte.
Und darum geht es den Anhängern einer wie immer gearteten Bundesschulpolitik wohl auch. Das bundesweite Zentralabitur soll bundesweite Debatten um bundesweite Standards ermöglichen und damit den Parteien im Bundestag eine weitere bildungspolitische Profilierungsmöglichkeit geben. Der aktuelle Streit ums Prinzip wird dann als Streit um Inhalte weitergeführt. Ob’s auch den Schülern, Abiturienten und Lehrern hilft?
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