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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Hessens Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) bei einem Wahlkampfauftritt in Hessen.
© Silas Stein/dpa

Die CDU nach der Landtagswahl in Hessen: Warum Angela Merkel auf den Parteivorsitz verzichten sollte

Die CDU wird zum Risiko für die große Koalition. Sie muss jetzt dringend ihre Probleme aufarbeiten - und Konsequenzen ziehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Mit Wahlzielen ist das so eine Sache. Meist erinnert man sich nur noch an die, die man auch tatsächlich erreicht hat. Volker Bouffier erging es am Wahlabend in Wiesbaden so. Man habe stärkste Kraft werden und Rot-Rot-Grün verhindern wollen. Beides hat geklappt. Dass er als eigentliches Wahlziel mal 30 plus x Prozent ausgerufen hatte – geschenkt. Frei nach dem Motto: Was interessieren mich meine Wahlziele von gestern.

Dabei ist die Wahl in Hessen nicht nur ein Alarmzeichen. Es ist mittlerweile eine ohrenbetäubende Sirene, die da zu hören ist. Wieder hat die CDU Stimmen in historischem Ausmaß verloren – wie zuvor schon in Bayern, und wie letztlich auch schon im Bund. Wieder war die Parteichefin und Kanzlerin keine Hilfe im Wahlkampf, sondern eher ein Hindernis. Wieder konnte sich die CDU nur gerade so mit Hilfe der Wähler jenseits der 60 ins Ziel retten. Bei jungen, weiblichen und großstädtischen Wählern sieht es düster aus. Aber auch bei den Erzkonservativen.

Die CDU ist aktuell geradewegs dorthin, wo die SPD seit Monaten, eigentlich seit Jahren nicht rauskommt: aus dem Kellerloch der Wahl- und Umfrageergebnisse. Die Sozialdemokraten versuchen halbherzig und vergeblich ihren Ruf als Volkspartei zu retten.

Und die CDU? Sie taktiert noch.
Doch genau das kann für die Christdemokraten mittelfristig zum Problem werden. Denn natürlich hätte in Hessen alles noch schlimmer kommen können, und das ist in der Politik, zumal in der pragmatisch-christdemokratischen, durchaus ein wichtiges Kriterium. Aber, um nicht in denselben Strudel wie die SPD zu geraten, sollte die CDU jetzt beherzt ihre Probleme angehen, diskutieren und Konsequenzen ziehen.

Natürlich gibt es genug Gründe für die potenziellen Nachfolger der Vorsitzenden Angela Merkel jetzt noch nicht anzutreten. Erstens will niemand allein dafür verantwortlich sein, die Königin zu stürzen. Jens Spahn wird noch nicht abschätzen können, ob seiner konservativerer, nationalerer Kurs wirklich mehrheitsfähig in der CDU ist, Kramp-Karrenbauer, die aktuelle Generalsekretärin, muss noch an Profil gewinnen und Armin Laschet, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, ist die Sache auch nicht geheuer, ob sein Kurs, der eher Merkel-like wäre wirklich zieht. Und Friedrich Merz? Der muss sich nach über einem Jahrzehnt Abstinenz, erstmal wieder ins kollektive Partei- und Bevölkerungsbewusstsein zurückbringen. Und trotzdem. Nicht immer lässt einem die Politik ausreichend Zeit, um alle Risiken und Nebenwirkungen abzuwägen. Manchmal zählt auch das beherzte Zugreifen. Ralph Brinkhaus als Fraktionschef hat es vorgemacht.

Es ist eben nicht so sehr die Sachpolitik, die das Erscheinungsbild der großen Koalition beschädigen. Sieht man mal von faulen Formelkompromissen wie beim Diesel ab, die natürlich zu Verärgerung führen. Die Menschen spüren, dass Angela Merkel möglicherweise nicht mehr die Wirkung und Macht hat wie noch vor Jahren. Den Streit mit CSU-Chef Horst Seehofer hat sie aus dem Ruder laufen lassen. Man könnte auch sagen, sie hat sich im Klein-Klein des politischen Taktierens verloren. Sie entfaltet keine Bindekräfte mehr. Und die sind für die CDU wichtiger denn je. Das zeigen auch die Zahlen zur Wählerwanderung. Natürlich sind diese mit Vorsicht zu genießen, da sie auf Nachwahlbefragungen basieren und davon ausgehen, dass sich alle befragten korrekt an ihre Stimme bei der vergangenen Wahl erinnern. Aber geht man davon aus, dass das Land nicht unter einer kollektiven Amnesie leidet, hat die CDU 94.000 Stimmen an die Grünen und 84.000 an die AfD verloren. Den Spagat zwischen großstädtisch-liberalen Grün-Sympathisanten und national-konservativen AfD-Fans muss die CDU schaffen. Für eine Volkspartei mit ausreichend Organisationsgrad in diesen Lagern, mit entsprechenden Führungsfiguren und programmatischen Angeboten eigentlich kein Problem. Nur hat die CDU aktuell nicht viel davon. Oder anders gesagt: die Vorsitzende hat nicht mehr die Kraft, diese Lager zu bedienen. Ihre Zeit als wirkungsmächtige Parteichefin ist abgelaufen. Das sollte sie einsehen.

Die Lage der CDU ist also prekär. Und sie wird noch gefährlicher, weil Merkel bisher ihre Kanzlerschaft mit dem Parteivorsitz verbunden hat. Dabei würde es für sie und ihre Partei ein Ausweg sein, diesen Grundsatz aufzugeben. Sie könnte weiter regieren, was wohl ihr wichtigstes Ziel ist. Und sie käme ihren Kritikern etwas entgegen, was den politischen Druck nimmt und tatsächlich einen personellen Neubeginn einleiten könnte – wenn denn jemand namhaftes tatsächlich den Mut hat, anzutreten. Ihr Sturz wäre also gewissermaßen in ihrem eigenen Regierungs-Interesse. Tut sie das nicht und beharrt weiter auf beide Ämter, kann die CDU für den Fortbestand der großen Koalition in Berlin das größere Risiko werden als die hochgradig verunsicherte und abgewirtschaftete SPD. Für die können Neuwahlen ein existenzielles Risiko sein, weshalb sie wohl eher nicht sofort freiwillig aussteigen. Und dass man sich in der Opposition leichter erneuern könne, ist auch eine politische Mär, was die Sozialdemokraten in Hessen und Bayern, wo sie lange Oppositionszeiten hatten (und wohl weiter haben), selbst eindrucksvoll gezeigt haben.

Und auch wenn es die SPD nicht will, auch ihre Zukunft hängt von Merkel ab. Solange sie bleibt und niemand zum Sturz in der CDU bereit ist, wird es auch für die SPD schwierig, sich anders zu positionieren. Ein Abgang Merkels kann dagegen einen Domino-Effekt auslösen – und wie ein politisches Entkrampfungsmittel für CDU und SPD wirken. Denn möglicherweise rückt die CDU dann weiter nach links, was Platz in der Mitte schafft. Fraglich ist dann nur, ob die SPD an dieser Position noch Interesse hat oder aus lauter Verzweiflung weiter nach links driftet. Das schafft dann entweder Raum für eine Ausgründung aus der SPD – oder für die Grünen.

Alle aktuellen Entwicklungen nach der Hessen-Wahl können Sie hier in unserem Newsblog verfolgen.

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