Fast wie ein Staatsgast: Warum Alexej Nawalny in Berlin vom BKA beschützt wird
Der offenbar vergiftete russische Oppositionsführer Nawalny hat Personenschutz vom BKA - das ist auch ein Signal nach Moskau. Eine Analyse.
Sie sind für die Sicherheit der Kanzlerin, des Bundespräsidenten und besonders gefährdeter Repräsentanten von Regierung und Parlament zuständig. Die Personenschützer des Bundeskriminalamtes (BKA) können auch dann zum Einsatz kommen, wenn ein ausländischer Staatsgast Deutschland besucht. Seit dem Wochenende haben sie einen ungewöhnlichen Auftrag: Das BKA ist für die Sicherheit des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny verantwortlich, der derzeit in der Berliner Charité behandelt wird. Die behandelnden Ärzte haben Hinweise auf eine Vergiftung gefunden.
Rechtliche Grundlage für diesen Einsatz sei das BKA-Gesetz, teilte die Bundesregierung mit. Darin heißt es, dem BKA obliege der erforderliche Personenschutz nicht nur für die Mitglieder der Verfassungsorgane des Bundes – also unter anderen Regierung und Parlament –, sondern auch „in besonders festzulegenden Fällen“ für die Gäste dieser Verfassungsorgane.
Die Frage, ob Alexej Nawalny also ein Gast der Bundesregierung sei, will deren Sprecher Steffen Seibert nicht einfach mit ja oder nein beantworten. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe bei einem Besuch in Frankreich am vergangenen Donnerstag gesagt, dass Deutschland bereitstehe, die notwendige medizinische Versorgung sicherzustellen, falls die Familie das wünsche. Darüber hinaus habe es „keine förmliche Einladung der Bundesregierung“ gegeben. Es sei „aus humanitären Gründen notwendig“ gewesen, Nawalny eine schnelle Einreise zu ermöglichen.
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Die Entscheidung, das BKA für den Schutz Nawalnys einzusetzen, zeigt, wie ernst die Bundesregierung die mutmaßliche Vergiftung des Oppositionspolitikers nimmt. „Es war klar, dass nach seiner Ankunft Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten. Schließlich handelt es sich um einen Patienten, auf den mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Giftanschlag verübt worden ist“, sagte Merkels Sprecher am Montag. Im Gespräch der zuständigen Behörden sei entschieden worden, dass „der Schnelligkeit halber“ zunächst einmal der Bund – und damit das BKA – diese Aufgabe übernehmen solle.
Nawalny offenbar als gefährdet eingestuft
Doch die Wahl des Personenschutzes ist keineswegs nur eine organisatorische Frage. Die Bundesregierung sendet damit, ob sie will oder nicht, ein Signal. Denn in Deutschland bekommen nur diejenigen Personenschutz, die als wirklich gefährdet eingestuft werden. Das hieße also, dass die Bundesregierung nicht ausschließt, dass Nawalny auch in Deutschland Ziel eines Anschlags werden könnte. Im politischen Berlin wird in diesem Zusammenhang auf den Mord an einem Georgier im Kleinen Tiergarten im August 2019 verwiesen. Der Generalbundesanwalt geht davon aus, dass staatliche russische Stellen die Tat in Auftrag gaben.
Dass die Rettungsmaschine, die am Samstag mit dem im Koma liegenden Nawalny an Bord in Berlin ankam, auf dem militärischen Teil des Flughafens Tegel landen würde, wurde bis zur letzten Minute geheim gehalten. Nawalnys Fahrt im Rettungswagen vom Flughafen bis zur Charité wurde von einer Polizeieskorte begleitet.
Die hohen Sicherheitsvorkehrungen senden noch ein weiteres Signal Richtung Russland: Sie zeigen, dass die Bundesregierung den Fall Nawalny grundsätzlich sehr ernst nimmt. Der Mann, den kremltreue Medien im eigenen Land nur als „Videoblogger“ bezeichnen, wird in Deutschland beinahe wie ein Staatsgast behandelt. Zugleich versucht die Bundesregierung, sich offiziell weitgehend zurückzuhalten. Immer wieder wurde in den vergangenen Tagen betont, dass es sich bei dem Rettungsflug um eine private Initiative handelte. Die mit medizinischer Spezialausrüstung ausgestattete Maschine war von der Organisation „Cinema for Peace“ gechartert worden. Die Kosten für den Transport hatten der russische Millionärssohn Boris Simin und die Stiftung seiner Familie übernommen, wie Nawalnys Stabschef Leonid Wolkow mitteilte.
Ausdrücklich dankte Wolkow nicht nur dem Geldgeber, sondern „sowohl Deutschlands Regierung als auch Kanzlerin Merkel persönlich, die internationale Unterstützung sicherstellten und bei einer enormen Anzahl von Fragen der Bürokratie und der Sicherheit halfen“. So gering, wie die Bundesregierung dies in der Öffentlichkeit darstellt, war ihre Rolle am Ende nicht. Hinter den Kulissen kümmerten sich Vertreter von Kanzleramt und Auswärtigem Amt um die nötigen Formalitäten, um den Rettungsflug ins sibirische Omsk und zurück nach Deutschland zu ermöglichen.
Diplomatische Intervention über Bande?
Zudem gab noch eine diplomatische Intervention auf höchster Ebene, an der die Kanzlerin mindestens nicht ganz unbeteiligt war. Am Freitag telefonierte Merkel mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö und sprach mit ihm über den Fall Nawalny und eine mögliche Verlegung des Oppositionsführers nach Deutschland. Merkel und er hätten besprochen, dass er das Thema in einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vorbringen werde, sagte Niinistö dem finnischen Fernsehsender Yle. Und das tat der finnische Staatschef dann wenig später auch: „Ich habe gefragt, ob er (Nawalny) nicht nach Deutschland verlegt werden könnte.“ Putin habe geantwortet, dass es keinerlei politisches Hindernis für eine Verlegung gebe.
Putins Sprecher Dmitri Peskow betonte allerdings am Montag, dass der russische Präsident keinen Einfluss auf die Verlegung Nawalnys nach Deutschland genommen habe. Internationale Verhandlungen habe es dazu nicht gegeben.
Ermittlungen wegen der Vergiftung wurden in Russland offenbar nicht aufgenommen, obwohl Nawalnys Kollegen sowohl bei der Polizei in Tomsk als auch bei der Ermittlungsbehörde in Moskau Anzeige erstatteten. Eine entsprechende Frist sei am Sonntag abgelaufen, teilte Nawalnys Sprecherin mit.