zum Hauptinhalt
Soll vor der mutmaßlichen Vergiftung beobachtet worden sein: Alexej Nawalny.
© Imago
Update

Charité äußert sich vorerst nicht: Nawalny soll vor möglicher Vergiftung genau beobachtet worden sein

Der Kreml-Kritiker liegt seit Samstag in der Berliner Charité. Einem russischen Medienbericht zufolge hatten die Behörden ihn zuletzt detailgenau im Fokus.

„Sehr besorgniserregend“ – mehr ist zum Zustand von Alexej Nawalny seit seiner Einlieferung in die Charité nicht bekannt. Der Initiator der Rettungsaktion, Jaka Bizilj von „Cinema for Peace“, hatte sich so am Samstag geäußert. Die Botschaft der Ärzte sei klar gewesen: Wenn es die Notfall-Zwischenlandung in Omsk nicht gegeben hätte, wäre Nawalny auf dem Flug nach Moskau gestorben.

„Cinema for Peace“-Gründer Jaka Bizilj hatte sich für den Transport Nawalnys zur Charité eingesetzt.
„Cinema for Peace“-Gründer Jaka Bizilj hatte sich für den Transport Nawalnys zur Charité eingesetzt.
© Reuters

Erst „nach Abschluss der Untersuchungen“ würden sich die behandelnden Ärzte öffentlich äußern, hieß es aus der Uni-Klinik. Eine Sprecherin der Charité erklärte, vor Montag sei nicht mit einer offiziellen Äußerung zum Gesundheitszustand Nawalnys zu rechnen. Offenbar nimmt die Klinik auch Rücksicht auf die Familie.

Am Sonntagabend um 18 Uhr wollen Nawalnys Mitarbeiter in ihrem Internetkanal Auskunft über die mögliche Vergiftung des Oppositionellen geben. „Wir werden alles erzählen, was zurzeit über Alexejs Vergiftung bekannt ist“, schrieb Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch am Sonntag auf Twitter. Sie werde aus Moskau berichten und ihr Kollege Leonid Wolkow aus Berlin.

Am Samstagmorgen war das Spezialflugzeug mit Nawalny an Bord in Berlin-Tegel gelandet. Der bekannte Kremlkritiker wurde mutmaßlich vergiftet. Zu dieser These passen Berichte aus Russland, die am Sonntag publik wurden.

Behörden sollen gewusst haben, wo sich Nawalny wann aufhält

Und zwar soll Nawalny vor seiner möglichen Vergiftung von den Behörden genau beobachtet worden sein. „Das Ausmaß der Überwachung überrascht mich überhaupt nicht, wir waren uns dessen bereits bewusst“, schrieb seine Sprecherin Kira Jarmysch. „Aber es ist erstaunlich, dass sie nicht gezögert haben, allen davon zu erzählen.“

Hintergrund ist ein Artikel der Moskauer Boulevardzeitung „Moskowski Komsomolez“. Darin werden detailgenau alle Bewegungen des Oppositionellen bei seiner Reise durch Sibirien beschrieben. In dem Artikel beruft sich die Zeitung auf nicht näher genannte Sicherheitskreise.

Darin wird beschrieben, wo sich Nawalny zu jedem Zeitpunkt aufhielt, mit wem er sprach und wo er übernachtete. Das Team soll mehrere Hotelzimmer angemietet haben, Nawalny sei aber in eine „konspirative“ Wohnung gebracht worden. Jemand aus seinem Team soll Sushi bestellt haben. Dabei sollen die Behörden ihn die ganze Zeit beschattet haben, heißt es in dem Beitrag weiter. 

Rettungswagen mit Nawalny an Bord.
Rettungswagen mit Nawalny an Bord.
© Reuters

Wie der „Moskowksi Komsomelz“ schreibt habe sich der Oppositionelle nur „mit äußerster Vorsicht“ in der Stadt bewegt. Er sei vor keinen Kameras aufgetaucht und habe seine Kreditkarte nicht benutzt. Seine Bewegung in der Stadt beschränke sich auf „Spaziergänge durch das Zentrum, ein Treffen mit Anhängern und gemeinsames Fotografieren am Brunnen.“

Wenn es überhaupt eine Vergiftung gegeben haben soll, könne das wahrscheinlich nur am Flughafen oder im Flugzeug passiert sein, hieß es als Schlussfolgerung. „Alle Bewegungen und Kontakte in der Stadt wurden akribisch untersucht.“

Der russische Journalist und Oppositionspolitiker Lew Schlosberg reagierte schockiert auf den Artikel. „Totale Spionage“, kommentierte er auf Twitter. „Rundum Überwachung von Oppositionspolitikern und abweichenden Bürgern ist die Hauptaufgaben der Sicherheitsstrukturen Russlands geworden, die auf Kosten der Steuerzahler existieren.“

Nawalnys Fall erinnert an die mutmaßliche Vergiftung von Wersilow

Nawalnys Ehefrau Julia Nawalnaja ist mit ihm in Berlin. Die Rettungsaktion war „mehr ein Freundschaftsdienst“, sagte Initiator Bizilj der „Allgemeinen Zeitung“ aus Bad Kreuznach, für die er mal als Reporter gearbeitet hat. Er selbst habe von Nawalnys Zusammenbruch zunächst gar nichts mitbekommen, doch Pjotr Wersilow und andere Mitglieder der oppositionellen Aktivistengruppe Pussy Riot hätten versucht, ihn zu erreichen.

Wersilow twitterte am Samstag: „Nawalny wurde gerade auf die Nephrologie und Intensivstation der Charité gebracht – die beste Klinik der Welt in diesem Bereich.“ Vor zwei Jahren wurde Wersilow selbst in der Charité behandelt, ebenfalls nach einer von Cinema for Peace organisierten Rettungsaktion.

Der Vorstand der Hochschulklinik hielt damals eine Vergiftung des Aktivisten für wahrscheinlich – betonte aber, keine Hinweise darauf zu haben, wie es dazu gekommen sei. Wersilow verwies auf die Parallelen und twitterte ein Foto von sich: „In diesem Zustand bin ich Samstagnacht am 15. September 2018 in Berlin gelandet auf dem Weg in die Charité. Alles an dieser Geschichte ist zu ähnlich – bis zur wahrscheinlich ähnlichen vergifteten Substanz, die bei mir und Nawalny angewendet wurde.“

[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die Berliner Universitätsklinik ist in Deutschland die erste Adresse für prominente Patienten aus Russland, der Ukraine und Staaten des Nahen Ostens. So war die frühere ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko 2014 wegen Bandscheibenvorfällen dort. Der frühere Charité-Vorstandschef Karl Max Einhäupl stand damals mit der Bundesregierung in Kontakt, weil durch den deutschen Einsatz der Streit zwischen Kiew und Moskau zu eskalieren drohte.

Über viele Jahre war auch Iraks Ex-Präsident Dschalal Talabani immer wieder in der Charité behandelt worden. Der kurdische Reformer, der im Irak von arabischen Nationalisten und Islamisten aller Couleur bedroht wurde, starb 2017 im Alter von 83 Jahren in einem Charité-Krankenbett.

Nawalny wird aus dem Spezialfahrzeug in die Charité gebracht.
Nawalny wird aus dem Spezialfahrzeug in die Charité gebracht.
© dpa

Die genannten Patienten waren unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen untergebracht, das wird auch für Nawalny gelten: Politprominenz – insbesondere wenn es sich um gefährdete, internationale Patienten handelt – wird vom üblichen Krankenhausverkehr abgeschirmt. Die Klinik wird dazu auch von Personenschützern des Bundeskriminalamts besucht.

Ob es sich bei Nawalny wirklich um eine Vergiftung handelt, ist weiterhin unklar. In Omsk, wo er zunächst behandelt wurde, hatten die Ärzte ihn für nicht transportfähig erklärt. Am Freitagnachmittag wurden die deutschen Ärzte, die mit dem Flugzeug aus Nürnberg gekommen waren, zu Nawalny gelassen. Die Mediziner seien zu dem Schluss gekommen, dass er trotz des Komas transportfähig sei, wie die „Bild“-Zeitung berichtete.

Nawalnys engste Vertraute hatten russischen Behörden und Ärzten vorgeworfen, mit einer Verzögerungstaktik einen raschen Transport verhindert und so mögliche Beweise vertuscht zu haben.

„Nichts hat den Transport von Nawalny behindert. Es war notwendig, dass das so schnell wie möglich getan werden musste“, twitterte Nawalnys Sprecherin, Kira Jarmysch. Seine Frau und sein Team hatten den Aussagen der Behörden stets widersprochen, sie verdächtigen die russischen Ärzte, gelogen zu haben. Julia Nawalnaja bat dann Präsident Putin persönlich, den Transport zu erlauben.

Nawalny ist einer der schärfsten Kritiker Putins. Er selbst betonte mehrmals, dass die Behörden sein Team in der Arbeit behinderten. Immer wieder gab es Razzien in seinen Büros. Der 44-Jährige wurde auch oft festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt. (mit dpa)

Zur Startseite