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Sigmar Gabriel hält den Beamten des Verteidigungsministeriums vor, mit dem Nationalen Sicherheitsrat am Außenamt entmachten zu wollen.
© imago images/Reiner Zensen

Kramp-Karrenbauers Nationaler Sicherheitsrat: „Wäre nicht schlecht, die deutsche Verfassung zu kennen“

Der Vorschlag aus dem Verteidigungsministerium ist machtstrategisch motiviert. Besser wäre eine gesellschaftliche Debatte über die Bundeswehr.

Sigmar Gabriel war Vorsitzender der SPD und mehrfacher Bundesminister – unter anderem Außenminister – und Autor der Holtzbrinck-Gruppe, zu der auch der Tagesspiegel gehört. Seit Juni diesen Jahres ist Gabriel Vorsitzender der Atlantik-Brücke zur Pflege der deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Es geht munter durcheinander in der aktuellen Sicherheitsdebatte, die sich vielleicht nicht zufällig rund um den 30. Jahrestag des Mauerfalls abspielt. Eigentlich ist ein 30. Jahrestag nichts Besonderes. In der Regel feiert man 25- oder 50-jährige Jubiläen und nicht 30-jährige. Aber es paaren sich die nationalen Verunsicherungen über die spürbare kulturelle, wirtschaftliche und inzwischen sogar politische Teilung Deutschlands mit den Irritationen und Unsicherheiten innerhalb Europas und des transatlantischen Bündnisses. Da sollen Jahrestage offenbar symbolisch dort Sinn stiften, wo er konzeptionell und inhaltlich verloren gegangen scheint. Die Erinnerung an wahrhaft heroische Zeiten, an eine sensationelle Geschichte, soll Leerstellen füllen.

Die Leere im innerdeutschen Verhältnis nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Stadt und Land, arm und reich, integriert und desintegriert. Ein Deutschland, das keine Vorstellung davon zu haben scheint, wo es am Ende des jetzt beginnenden neuen Jahrzehnts stehen will, wenn die Neugeborenen von heute volljährig werden. Politische Verantwortung sieht anders aus. Die Leere in einem Europa, das seine Geschichte so oft beschwören muss, weil es in Ost und West völlig unterschiedlichen Vorstellungen über die Zukunft folgt. Die Leere im transatlantischen Verhältnis, in dem die einstige Führungsnation des Westens neue geopolitische Prioritäten setzt, die außerhalb Europas liegen und die viel weitreichender sind als das tägliche Trump-Bashing bei uns vermuten lässt. Und nicht zuletzt die Leere innerhalb der Nato, die weder weiß, wo ihre Grenzen liegen sollen noch wie sie mit der drohenden erneuten atomaren Rüstungsspirale, dem mittleren Osten, der Türkei, Russland, China oder auch nur mit dem Ruf nach sicherheitspolitischer Autonomie der Europäer umgehen soll.

Kramp-Karrenbauers Ideen sind so alt wie auch unsinnig

Wenn der französische Präsident diesen Zustand als „Hirntod“ der Nato beschreibt, dann heißt das ja, dass er keine Hoffnung auf eine Wiederbelebung mehr hat und nun an die Entnahme der noch funktionsfähigen Organe gehen will, um sie nach Europa zu transplantieren. Im Kern spiegelt sich bei Macron der blanke Gaullismus wieder: ein von den USA unabhängiges Europas, das global gestaltet – und in dem Frankreich aufgrund seines Nuklearmachtstatus' und der Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und seiner territorialen Ausdehnung auf allen Kontinenten der Welt, der entscheidende Faktor zum Ausgleich der europäischen Machtinteressen wird.

Dass dies Europa vermutlich eher spalten als einen wird, scheint dem französischen Präsidenten egal zu sein. Noch jedenfalls dürften die Polen, Balten und andere Ost- und Mitteleuropäer eher den USA die Bereitschaft zur Verteidigung ihrer Freiheit zutrauen als den Deutschen und Franzosen. Zu sehr bestimmen Geographie und Geschichte noch den Blick auf die Gegenwart und die Zukunft.

Es ist das Verdienst der Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, dass sie darauf nach Antworten sucht und die öffentliche Diskussion nicht scheut. Ihr Problem ist nur, dass sie nicht selber zu denken scheint, sondern auf die uralten und gelegentlich schlicht unsinnigen Ideen ihrer Soldatenbehörde zurückgreift. Denn nichts anderes ist der Vorschlag für einen „Nationalen Sicherheitsrat“, den die Verteidigungsministerin nun aufgewärmt hat und der wie ein manövrierunfähiges U-Boot immer wieder durch die sicherheitspolitische See treibt.

Die „Strategen“ im Verteidigungsministerium wollen am Außenamt vorbei

Denn es gibt ihn ja längst, den Bundessicherheitsrat. Und das Putzige ist, dass die Verteidigungsministerin und ihr oberster Soldat diesem Gremium auch angehören – ebenso wie der Außenminister, der Innenminister, der Finanzminister, der Entwicklungshilfeminister, alle Geheimdienste und die obersten Polizeibehörden des Bundes. Von Cyber- und Terrorabwehr, Rüstungsexporten bis zu sicherheitspolitischen Lagebildern kann und wird dort alles diskutiert. Und dies unter der Leitung der Bundeskanzlerin. Was also soll der „Nationale Sicherheitsrat“ von Annegret Kramp-Karrenbauer noch tun, was im Bundessicherheitsrat nicht heute schon geschieht oder geschehen kann?

In Wahrheit erhoffen sich die „Strategen“ des Verteidigungsministeriums seit Jahren mit diesem Vorschlag nur, dass eine höhere Instanz – sprich ein nationaler Sicherheitsberater im Kanzleramt – hilft, das lästige Außenministerium zu entmachten. Denn die Verfasser dieser Vorschläge im Bundesverteidigungsministerium (BMVg) leiden darunter, dass sie nur für Verteidigungspolitik zuständig sind. Sicherheitspolitik umfasst aber weit mehr, und die Federführung dafür liegt nun mal beim Außenministerium.

Wenn es nur um die üblichen Rangeleien zwischen zwei Bundesministerien ginge, wäre das nicht weiter schlimm. Obwohl es nicht schlecht wäre, wenn auch die Beamten des BMVg die deutsche Verfassung kennen würden. Und nach der kann kein nationaler Sicherheitsrat und schon gar nicht ein Sicherheitsberater im Kanzleramt dem Außen- oder dem Entwicklungsminister Vorschriften machen. Man muss in der Zusammenarbeit einer Koalition überzeugen und nicht befehlen.

Friedenspolitik – der Begriff scheint aus der Mode zu sein

Aber dahinter steckt eben leider mehr: eine fatale Verengung der Sicherheitspolitik auf Fragen der Militäreinsätze. Deutschland hat aber längst einen viel moderneren Begriff von „vernetzter Sicherheit“, bei dem man ganz gewiss auch den Einsatz militärischer Mittel und militärischer Gewalt gegen Terror, Bürgerkriegsparteien oder potentiell feindliche Aggressoren im Instrumentenkasten haben muss, aber der darf sich darauf nicht reduzieren. Krisenprävention, Diplomatie, Entwicklungshilfe, Klimaschutz, wirtschaftliche und internationale Zusammenarbeit gehören eben auch dazu und sind oft langfristig das einzig wirksame Mittel zur Herstellung friedlicher Lebensverhältnisse. Deshalb ist Verteidigungspolitik ein Unterfall der Sicherheits – und vor allem Friedenspolitik – der letzte Begriff scheint irgendwie aus der politischen Mode gekommen zu sein.

Was wir wirklich als neue Institution brauchen, ist ein europäischer Sicherheitsrat unter Einschluss der Briten, selbst wenn sie die EU verlassen haben. Denn im Kern hat Europa doch das Problem, keine gemeinsame Sicht auf die Welt zu haben. In Libyen unterstützen Deutschland und Italien den völkerrechtlich legitimierten, aber schwachen Ministerpräsidenten in Tripolis. Frankreich dagegen unterstützt dessen Bürgerkriegsgegner General Haftar. Und alle drei zusammen jammern über den unkontrollierten Flüchtlingshandel von bewaffneten Schlepperbanden an der libyschen Küste.

Da ist offenbar nicht nur die Nato „hirntot“, sondern vor allem die europäische Zusammenarbeit. Um das zu ändern, muss man eigentlich nur die Staats- und Regierungschefs der EU zusammen mit den Außen- und Verteidigungsministern alle vier Wochen gemeinsam tagen lassen. Schon der Zwang, sich den unterschiedlichen Sichtweisen auf die Welt regelmäßig zu stellen, wäre ein heilsamer Fortschritt.

Keiner fragt mehr nach der Einsatzfähigkeit

Eines ist den „Strategen“ aus dem BMVg allerdings gelungen: Ihre Vorschläge bestimmen die Debatte. Keiner fragt mehr, wie es eigentlich um die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr bestellt ist. Die ist ja derzeit nicht einmal mehr in der Lage, ein altes Segelschulschiff mit vertretbarem Kostenaufwand zu sanieren. Auch in der Verteidigungspolitik gilt die alte Fußballregel: „Die Wahrheit ist auf dem Platz.“ Und da ist auch große Leere.

Eigentlich braucht Deutschland das Gegenteil eines hinter verschlossenen Türen geheim tagenden nationalen Sicherheitsrates: nämlich eine öffentliche Diskussion über unser sicherheitspolitisches Selbstverständnis in einer sich völlig veränderten Weltordnung. Die politische Führung Deutschlands muss doch die Gesellschaft vom notwendigen Wandel in der Außen- und Sicherheitspolitik überzeugen. Davon, dass es nicht Donald Trump ist, dem zuliebe wir mehr Geld in die deutsche und europäische Verteidigungsfähigkeit investieren, sondern dass dies in unserem eigenen Interesse liegt. Davon, dass wir keine „große Schweiz“ sein können, die wirtschaftlich erfolgreich, geopolitisch aber irrelevant ist. Denn dies macht uns zum Spielball anderer Mächte. Davon, dass wir unsere Interessen nicht mehr auf amerikanische Flugzeugträger projizieren können, weil die längst auf dem Weg in den Pazifik sind. Dass wir nicht mehr die Wahl haben zwischen Null-Risiko und Risiko, sondern häufig zwischen zwei Risiken werden wählen müssen. Denn der eine, die USA, will nicht mehr jedes Risiko alleine tragen.

Wie wehrbereit ist die Gesellschaft

Zu all dem gehört in Zukunft auch die Bereitschaft, gemeinsam mit anderen Europäern militärische Mittel einzusetzen. Aber bevor das ein nationaler Sicherheitsrat beschließt, muss doch unsere Gesellschaft in der Mehrheit dazu bereit sein. Die Verteidigungsministerin kann ja mal die deutsche Gesellschaft zu ihrer Wehrbereitschaft befragen. Die Ergebnisse dürften eher zeigen, dass wir davon noch weit entfernt sind. Die Aussetzung der Wehrpflicht war übrigens dafür eine große strategische Fehlentscheidung, weil die Bundeswehr heute weit weniger Teil unserer Gesellschaft ist, als zu Zeiten der Wehrpflicht. Nicht die Bundeswehr hat sich von der Gesellschaft abgewandt, sondern große Teile der Gesellschaft von der Bundeswehr, weil eben nicht mehr die eigenen Kinder potentiell zu dieser Armee gehören.

In dieser öffentlichen Debatte steckt der richtiger Kern der Diskussion, die Annegret Kramp-Karrenbauer mit ihren Forderungen nach einem europäischen Engagement in Syrien und mit ihrer Grundsatzrede zu Recht begonnen hat. Sie füllt damit die sicherheitspolitische Leerstelle, die von der Kanzlerin derzeit hinterlassen wird. Es wird Zeit, dass andere politische Parteien in diese Diskussion einsteigen. Der politische Streit wird uns gut tun und am Ende auch Klarheit schaffen.

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