Parlamentswahl in Israel: Vor dem Wechsel
Israel wählt - Premier Netanjahu und Herausforderer Herzog gaben schon am frühen Morgen ihre Stimme ab. Umfragen zufolge hat das oppositionelle Mitte-Links-Bündnis die Nase vorn. Der Regierungschef muss um seine Macht bangen.
Legt man die jüngsten Umfragen zugrunde, dann ist in Israel ein Machtwechsel möglich. Nach sechs Jahren könnte die Opposition bei der Parlamentswahl, die am Morgen begonnen hat, Benjamin Netanjahu aus der Regierungsverantwortung drängen. Das Mitte-Links-Bündnis zwischen dem Chef der Arbeitspartei, Isaac Herzog, und der ehemaligen Justiz- und Außenministerin Zipi Livni hat derzeit in der Wählergunst die Nase vorn. Käme es so, gehörte die nationalistisch-religiöse Koalition der Vergangenheit an.
Netanjahu und Oppositionsführer Herzog gaben am Dienstag in Jerusalem und Tel Aviv ihre Stimme ab. Netanjahu schloss dabei erneut eine Koalition mit dem Zionistischen Lager aus. „Es wird keine Einheitsregierung mit der Arbeitspartei geben. Ich werde eine nationalistische Regierung bilden“, sagte Netanjahu bei der Stimmabgabe. Sein erster Koalitionspartner werde die national-religiöse Siedlerpartei sein. Oppositionsführer Herzog warb noch einmal für sein Zionistisches Lager. Die Bevölkerung Israels habe „die Wahl zwischen Wandel und Hoffnung und Verzweiflung und Enttäuschung“, sagte Herzog. Die Parlamentsneuwahl war notwendig geworden, nachdem Netanjahus Mitte-Rechts-Koalition Ende vergangenen Jahres nach weniger als zwei Jahren im Amt auseinandergebrochen war. Israels Präsident Reuven Rivlin verband seine Wahl mit einem Appell an die Bevölkerung. Seine Eltern hätten bei ihrer Stimmabgabe nach der Gründung Israels festliche Kleider getragen, um diesen Tag gebührend zu begehen, so Rivlin. „Auch heute feiern wir die Demokratie“, sagte Rivlin in Jerusalem. „Ich rufe alle israelischen Bürger dazu auf, nicht nur zu feiern, sondern ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und die ihrer Meinung nach richtige Zukunft für ihren Staat zu bestimmen, jeder nach seinem Weltbild“, fuhr Rivlin fort.
Erstmals in der Geschichte des jüdischen Staates stand nicht die Sicherheit des Landes im Mittelpunkt des Wahlkampfs – auch wenn Netanjahu etwa in Werbespots sich als schützender Vater der Nation präsentierte. Die Wähler treiben andere Themen um. An erster Stelle stehen die hohen Lebenshaltungskosten und die Steuerlast.
Die brachliegenden Friedensgespräche mit den Palästinensern bewegen ebenfalls viele. Dazu passt, dass die politische Isolierung Israels als bedrohlich empfunden wird. Irans Atomprogramm – vor dem Netanjahu nicht müde wird zu warnen – spielt jedoch keine große Rolle. Kein Wunder, dass sich die Opposition im Wahlkampf vor allem auf die wirtschaftlichen und sozialen Missstände konzentrierte. Themen, um die der amtierende Regierungschef eher einen Bogen machte.
"Nur nicht Bibi"
Anders als in früheren Wahlkämpfen versuchte Netanjahu gar nicht erst die politische Mitte zu erreichen. Im Gegenteil. Er orientierte sich vielmehr politisch nach rechts. Auch um in seiner eigenen, sich nationalistischer denn je gebenden Likud-Partei nicht allzu isoliert dazustehen. Zwischenzeitlich schien er sogar von einer Zwei-Staaten-Lösung für den Nahostkonflikt Abschied zu nehmen.
Setzte die linksliberale Opposition anfangs allein auf den Slogan „Nur nicht Bibi“, konfrontiert sie nun den Regierungschef mit konkreten Vorwürfen, etwa Versäumnisse in der Sozialpolitik. Mit Erfolg. Netanjahus gewaltiger Vorsprung in Meinungsumfragen ist denn auch rasch geschmolzen. Isaac Herzog und sein „Zionistischer Block“ konnten gleichzeitig zulegen. Laut jüngsten Umfragen kann die gemeinsame Liste auf die meisten Sitze in der Knesset hoffen. Knapp dahinter folgt der Likud.
Für die national-konservativen Parteien läuft es auch nicht besonders gut. Außenminister Avigdor Lieberman zum Beispiel muss fürchten, dass seine Partei „Unser Heim Israel“ nicht mal die 3,25-Prozent-Hürde überwindet. Kaum besser sieht es für Naftali Bennetts ultranationalistische Partei „Jüdisches Haus“ aus. Sie landet inzwischen in der Wählergunst nur noch auf Platz 5 oder 6.
Von Schimon Peres geadelt
So bleibt Isaac Herzog Netanjahus schärfster Widersacher. Dem schmächtigen Vorsitzenden der traditionsreichen Arbeitspartei und Spitzenkandidaten des „Zionistischen Blocks“ mangelt es zwar an Charisma. Aber er wirkt auf viele Wähler glaubwürdig. Auch wenn er die Aussage verweigert hatte, als es um die vermutlich illegalen Wahlspenden für den ehemaligen Premier Ehud Barak ging.
Der 55-jährige Jurist ist Enkel des ersten israelischen Oberrabbiners und Sohn des ehemaligen Staatspräsidenten Chaim Herzog. Vor wenigen Tagen erst „adelte“ der hochangesehene frühere israelische Staatschef Schimon Peres Herzog mit den Worten, der Vorsitzende der Arbeitspartei habe durchaus das Zeug zu einem guten Regierungschef. Und einen solchen habe Israel bitter nötig.
Dennoch, selbst wenn der „Zionistische Block“ die Wahl gewinnen sollte, heißt das noch nicht, dass er die Macht übernimmt. In Israel beauftragt der Staatspräsident jenen Politiker mit der Regierungsbildung, der seiner Meinung nach dafür die besten Erfolgschancen besitzt – und nicht den Spitzenkandidaten der siegreichen Partei. So ist seinerzeit Netanjahu Regierungschef geworden, obwohl Zipi Livni mit ihrer Kadima-Partei ein Mandat Vorsprung hatte.
Diesmal könnte es ebenfalls knapp werden. Will die Mitte-Links-Opposition regieren, dürften drei, vier Sitze mehr im Parlament nicht ausreichen. Um eine nationalistisch-ultrareligiöse Koalition zu verhindern, braucht es einen größeren Vorsprung.
Neue Prozent-Hürde
Die Chancen dafür sind allerdings nicht schlecht, vor allem wenn man bedenkt, dass die Meinungsforscher diesmal darauf verweisen, dass zahlreiche Wähler sich womöglich erst unmittelbar vor der Stimmabgabe entscheiden. Spekulationen über eine große Koalition können daher kaum verwundern. Bei vielen Bürgern käme wohl ein derartiges Bündnis gut an, Beobachter halten indes dieses Szenario gegenwärtig eher für unwahrscheinlich.
Zudem hat die arabische Minderheit (sie beträgt 20 Prozent der Bevölkerung) erstmals die Möglichkeit, die Machtverhältnisse zumindest mitzubestimmen. Sollte ihre Wahlbeteiligung hoch sein, könnte dies Netanjahus Plan durchkreuzen, insgesamt zum vierten Mal Ministerpräsident zu werden.
Gemeinsame Liste der arabischen Parteien
Die Araber verdanken ihre Bedeutung ausgerechnet ihrem Erzfeind Avigdor Lieberman. Der setzte die Erhöhung der Sperrklausel von bisher zwei Prozent auf 3,25 Prozent durch – in der Hoffnung, so die bisher getrennt marschierenden vier kleineren arabischen Parteien aus der Knesset drängen zu können. Doch die einigten sich nach langen Diskussionen erstmals auf eine gemeinsame Liste.
Und diese könnte sogar drittstärkste Kraft in der Knesset werden. Die Popularität verdanken die arabischen Parteien einem unter Führung des charismatischen Kommunistenführers Iman Odeh engagiert geführten Wahlkampf. Der charmant auftretende Anwalt verstand es sogar, jüdische Wähler zu beeindrucken. Vielleicht zahlt sich das am Dienstag aus.