Benjamin Netanjahu zu Besuch in Washington: Ein wohlfeiles Spektakel
Nach der Rede von Israels Ministerpräsident Netanjahu vor dem US-Kongress wurde vor allem über das angespannte Verhältnis zu Barack Obama geredet. Doch die Zukunft von Irans Atomprogramm hängt nicht an der Beziehung der beiden Regierungschefs. Ein Kommentar
Wir befinden uns nach groben israelischen Schätzungen im Jahr 20 der neuen Zeitrechnung. Bis mindestens 1992 reichen die Warnungen Benjamin Netanjahus (und anderer) zurück, der Iran sei in drei bis fünf Jahren im Besitz der Atombombe. Zuletzt hatte Netanjahu seine rote Linie wiederholt auf das jeweils nächste Jahr verlegt. Am Dienstag nannte er den Zeitraum möglicherweise „sehr viel kürzer“. Anders als bei Barack Obamas roter Linie für Syrien kann man aber konstatieren, dass der Iran die Linie noch nicht überschritten hat. Daran ändert auch Netanjahus Rede vor dem US-Kongress nichts.
Mit seinem trotzigen Auftritt bewirkt der israelische Premier in den USA eher eines: wahr- und ernst genommen wird nicht die Gefahr, die von Teheran ausgeht; im Zentrum der Aufmerksamkeit steht der Zwist zwischen zwei Politikern. Viel ist philosophiert worden über das gestörte Verhältnis zwischen Obama und Netanjahu. Die amerikanisch-israelische Freundschaft gar sei in Gefahr, weil der Besuch nicht mit dem Weißen Haus abgesprochen war, mindestens aber auf Jahre beschädigt.
Netanjahu hält Obama für ein Weichei
Das alles ist Nonsens. Netanjahu ist Netanjahu. Wie seit Jahren verärgert er allein durch diesen Umstand den US-Präsidenten. Dieser sieht in Netanjahu keinen kooperationsfähigen Partner. Netanjahu seinerseits hält Obama für ein Weichei. So weit, so bekannt. Jetzt zeigt der Präsident dem Israeli ob der Protokollverletzung seine Ablehnung – während Außenminister John Kerry in Montreux mit dem iranischen Außenminister über eine Vereinbarung zur Begrenzung des Atomprogramms verhandelt. In der Schweiz wird um Zentrifugen und Kontrolleure gerungen. Netanjahus Rede im Kongress ist daneben nicht viel mehr als ein Spektakel.
Selbstverständlich lässt sich der israelische Premier die Gelegenheit nicht entgehen, im Kongress den Druck auf Obama bezüglich der Iran-Verhandlungen zu erhöhen. Es ist eine – zumal vor den Wahlen in Israel – willkommene Gelegenheit. Er wird damit die Gespräche in der Schweiz jedoch nicht beeinflussen können. Und wie sich der amerikanische Kongress dann später in der Frage weiterer Iran-Sanktionen entscheidet, hängt im Wesentlichen davon ab, was John Kerry von den Verhandlungen mit nach Hause bringt. Nicht davon, was Netanjahu auf dem Kapitolhügel zu sagen hat.
Israel ist auf die US-Verhandler angewiesen
Israels Geheimdienst hat dem Premier längst signalisiert, dass es aus seiner Sicht keine militärische Option gegen das iranische Atomprogramm gibt. Ohnehin ist der Mossad der Meinung, Netanjahu bausche die akute Gefahr auf. Auf dieser Grundlage wird er sicher keine Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für einen militärischen Eingriff bekommen. Erst recht nicht, seit die US-geführte Koalition gegen den IS auf die Machthaber in Teheran angewiesen ist. Eine andere Option aber hat auch Netanjahu nicht im Angebot. Er fordert härtere Verhandlungen, das ist wohlfeil. Israel, so scheint es, ist auf die US-Verhandler angewiesen.
International stößt der israelische Premier mit seinem Besuch deshalb nicht viel mehr an als hohe diplomatische Wellen. Auch wenn er sich für die Wahl in Israel Vorteile ausrechnen kann.