Rot-Rot-Grün in Berlin: Von einem Krisengipfel zum nächsten
Kaum im Amt hadert die Koalition mit lauter "Fällen": Holm, Böhning, Volksbühne. Ein Neustart für die Stadt? Hallo, aufwachen! Ein Kommentar.
Geht er, oder sitzt die Linke den Fall Holm aus? Egal, wie es endet, der Schaden ist da. Der erinnerungsschwache Staatssekretär Andrej Holm ist jede Glaubwürdigkeit los, und die rot-rot-grüne Koalition hat nach der ergebnislosen Krisensitzung ihre Unschuld verloren. Das Momentum eines Aufbruchs nach der bleiernen Schlussphase der SPD-CDU-Koalition – schon verspielt. Der blitzende Neuwagen fahre zwar, so drückt es der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber aus, doch jeder sehe nur die Beule im Lack. Ist leider nur die halbe Wahrheit: Denn das Auto fährt nicht, sondern steht, und unter der Motorhaube rasselt es schon übel.
Regieren, zu schweigen vom guten Regieren, wie es den Berlinern versprochen wurde, findet nicht statt. Derzeit wird dem Publikum nur als eine Art Realsatire vorgeführt, welche Dinge den neuen Koalitionären wirklich wichtig sind. Da probt der linke Kultursenator schon vor seiner Ernennung lieber den Klassenkampf um die Volksbühne, anstatt dass sich die Partei damit beschäftigt, wie man mit Stasi-Altlasten umgeht. Man kann das Ignoranz nennen.
Rasenden Stillstand kann Berlin nicht gebrauchen
Gleiches gilt für die ausufernde Beschäftigung mit allen sprachlichen Formen einer gegenderten Korrektheit. Solche Feinfühligkeit hätte man sich beim Bemühen gewünscht, der Stadt zu erklären, wozu 25 Staatssekretäre notwendig sind. Kopfschütteln erzeugt da nur noch, wenn die Grünen nun das dringende Anliegen anmelden, die Landesregierung möge eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Leitungsebene beschließen.
Geht’s noch? Hallo, aufwachen! Eine Koalition, die so detailliert und umfangreich wie keine vorherige Landesregierung sich unglaublich viele Projekte vorgenommen hat – von der erlaubten Nutzung des Mitteleinstiegs beim BVG-Bus bis zur Energiewende –, sollte endlich die Ärmel aufkrempeln und damit anfangen. Rasenden Stillstand kann Berlin nicht gebrauchen.
Holm gegen Böhning? Schon ist von Drohungen die Rede
Unruhig macht der Eindruck, dass sich die Koalitionäre schon in ihren ideologischen Eckchen einrichten. Ein Senat aber, der sich von einem Krisengipfel zum nächsten hangelt, wird keine fünf Jahre halten. Es ist am Regierenden Bürgermeister, dagegen jetzt ein Zeichen zu setzen. Aber Michael Müller, der mit seiner Richtlinienkompetenz Holm entlassen könnte, nutzt sie nicht. Es wäre fatal, wenn dabei die ungeklärte Causa Böhning eine Rolle spielen würde. Müllers Staatssekretär droht im Zusammenhang mit einem lukrativen Vertrag für die Beratungsgesellschaft McKinsey eine Anklage wegen Vorteilnahme.
Wird auf Holms Entlassung bestanden, dann gibt es im Gegenzug für Müller keine Unterstützung im Fall Böhning, soll die Linke gedroht haben. Damit hätte die Koalitions-Statik schon jetzt einen tiefen Riss. Unschöne Aussichten für eine Koalition, die nicht nur in Berlin, sondern als mögliches Regierungsmodell für den Bund unter besonderer Beobachtung steht.
Auch die rot-schwarze Koalition hatte 2011 einen holprigen Start, als angeblich anrüchige Notargeschäfte des Justizsenators Michael Braun (CDU) bekannt wurden. Damals sorgte die CDU-Spitze selbst für dessen Rücktritt, um anhaltenden Schaden für die Union zu vermeiden. Bei der Linken ist man da offenkundig schmerzfreier.