Berliner Staatssekretär Andrej Holm: Michael Müller: "Das ist eine Belastung"
Der umstrittene Staatssekretär soll die Wohnungspolitik in Berlin verändern. Stattdessen wurde Holm zur ersten Belastungsprobe für Rot-Rot-Grün - auch der Regierende rückt von ihm ab. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Fall.
Seit gut einer Woche beschäftigt die Personalie Andrej Holm Politik und Öffentlichkeit in Berlin. Die neue Regierungskoalition von SPD, Linken und Grünen erlebt ihre erste Belastungsprobe. Am Montag wurde die Uneinigkeit der Koalition noch einmal deutlich. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte am Rande einer Veranstaltung der Technischen Universität: "Es ist ja kein Geheimnis, dass in der Koalition darüber diskutiert wird, und es ist auch kein Geheimnis, dass es eine Belastung ist. Ich hoffe sehr, dass die Linkspartei weiter selbstkritisch damit umgeht." Bisher beharrt die Partei Die Linke auf den von ihr ausgewählten Staatssekretär. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Fall und seinen Hintergründen.
Was ist das Ergebnis der Krisensitzung im Roten Rathaus?
Am Freitagabend tagten die Spitzen der neuen rot-rot-grünen Regierung im Roten Rathaus bis kurz vor Mitternacht – es war die erste Krisensitzung des Bündnisses schon eine Woche nach dem Amtsantritt. Danach wurde bekannt, dass der umstrittene Staatsekretär für Wohnen Andrej Holm vorerst im Amt bleiben darf. Sollte die erneute Prüfung seiner Stasi-Vergangenheit aber neue Erkenntnisse über ihn bringen oder wissentliche Lügen belegen, ist er im Amt nicht mehr zu halten.
„Gibt es neue Entwicklungen, muss er Konsequenzen ziehen“, twitterte die grüne Fraktionschefin Antje Kapek. Auch der neue Kultursenator Klaus Lederer, langjähriger Linke-Parteichef, hatte sich am Freitag entsprechend geäußert und war damit schon etwas von Holm abgerückt. Dem Vernehmen nach war die Personalie in der Sitzung mehrmals auf der Kippe, Teilnehmer berichteten von heftigen Diskussionen der neuen Partner. Am Ende wollte aber die Linke nicht von ihrem Kandidaten abrücken, denn zunächst gelte für Holm die Unschuldsvermutung, sagte Lederer. Und Müller verzichtete darauf, in dieser Frage auf seiner Richtlinienkompetenz zu beharren.
Warum wurde Andrej Holm berufen?
Es sollte ein Coup sein, eine personalisierte Kampfansage. Der Gentrifizierungskritiker Andrej Holm soll als Staatssekretär für Wohnen das Gesicht sein für den Kampf des rot-rot-grünen Senats gegen die steigenden Mieten. Verwaltungserfahrung hat er nicht, dafür aber viel wissenschaftliche Expertise über die Verdrängung ärmerer und normalverdienender Menschen aus ihren Wohnquartieren – und eine Menge linke Kritik an der sozialen Spaltung der Stadt.
Die Stadtentwicklungsbehörde, jahrzehntelang in sozialdemokratischer Hand, hatte die SPD nach ihrer Wahlniederlage in den Koalitionsverhandlungen verloren – sie wurde aufgeteilt in ein Senatorenamt für Wohnen und Bauen, das die erfahrene Linke-Politikerin Katrin Lompscher führt, und einen Amt für Umwelt und Verkehr, das die parteilose Klimaexpertin Regine Günther für die Grünen leitet - zusammen mit dem Pankower Verkehrsexperten Jens-Holger Kirchner als Staatssekretär.
Insbesondere die Linke hatte mit dem Versprechen einer sozialeren Mietenpolitik und mehr Bürgerbeteiligung auch bei Neubauprojekten im Wahlkampf gepunktet - mit dem anerkannten Stadtsoziologen Holm wollte sie zeigen, dass es ihr ernst ist mit einer Wende. Der Kampf gegen illegale Ferienwohnungen, der Bau neuer gemischter Wohnquartiere insbesondere durch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften - das alles soll Holm vorantreiben. Trotz Kritik an seiner Stasi-Vergangenheit wurde er deshalb am Dienstag zum Staatsekretär berufen - zunächst auf Probe. Holm, bisher angestellt bei der Humboldt-Universität, muss sich - wie alle Senatoren und Staatssekretäre – nun einer routinemäßigen Stasi-Überprüfung unterziehen. Diese entscheidet nun über seine Karriere.
Was wird Holm vorgeworfen?
Zunächst ging es in der Debatte um Holms Vergangenheit um seine linken Einstellungen und mögliche frühere Kontakte in die linksextreme Szene. Hier hatte allerdings nach einer Festnahme 2007 ein Gericht einen dringenden Tatverdacht abgewiesen. Als am Sonnabend vor einer Woche in mehreren Medien, darunter im Tagesspiegel, die frühere Stasi-Mitarbeit des designierten Staatssekretärs öffentlich thematisiert wurde, begann die Debatte, ob eine solche Personalentscheidung richtig ist. Opferverbände und die Opposition sprachen von einem „Tabubruch“, die linke Bausenatorin Katrin Lompscher hielt an ihrem Vorschlag fest – vor allem mit Hinweis darauf, dass Holm sich als Jugendlicher mit 18 Jahren verpflichtet hatte, sich bei der Stasi militärisch ausbilden ließ und dann nach eigenen Angaben in einer Berliner Stasi-Abteilung Betriebsberichte las und zusammenschrieb, bis die DDR 1990 zusammenbrach.
Zudem machte Holm für sich geltend, dass er seine Stasi-Tätigkeit bereits 2007 in einem „taz“-Interview öffentlich gemacht hatte. In der neuen rot-rot-grünen Koalition setzten sich allerdings schon Anfang dieser Woche hinter den Kulissen Zweifel fest, ob eine solche Personalie wirklich eine gute Idee ist. Insbesondere Abgeordnete mit ostdeutschem Hintergrund forderten eine genaue Prüfung von Andrej Holms Vergangenheit.
Wie steht es um Holms Glaubwürdigkeit?
Inzwischen hat sich Debatte verlagert. Denn am Dienstag wurde durch Tagesspiegel-Recherchen bekannt, dass Holm bei seiner Stasi-Überprüfung an der Humboldt-Universität offenbar falsche Angaben gemacht hatte. „Herr Holm hat bei seiner Einstellung angegeben, im Wachregiment ’Feliks Dzierzynski’ Wehrdienst geleistet zu haben“, teilte die Uni mit. Da in diesem Stasi-Wachregiment auch viele Ost-Berliner ihren Wehrdienst ableisteten, zählt eine solche Mitgliedschaft nicht als Ausschlusskriterium an einer Universität (und womöglich eben auch nicht im Senat). Laut der vorliegenden Stasi-Akte ist Holms Angabe gegenüber seinem Arbeitgeber und gegenüber der Öffentlichkeit, er habe nur seinen Wehrdienst abgeleistet, aber nicht korrekt. Vielmehr hatte sich Holm mit 18 Jahren als hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter zu einer Offizierslaufbahn verpflichtet und diese bei der Berliner Stasi-Bezirksverwaltung angetreten.
Zunächst absolvierte er dabei vom 1. September bis zum 6. Oktober 1989 (mitten im beginnenden Wendeherbst) seine militärische Ausbildung. Diese kann unter Umständen tatsächlich bei dem Stasi-Wachregiment stattgefunden haben, das unter anderem für Objektschutz zuständig war, aber auch als Eliteeinheit gegen Oppositionelle dienen sollte. In Holms Akte ist davon allerdings keine Rede; auch seine militärische Ausbildung hat er demnach bei der Berliner Bezirksverwaltung absolviert. Wo genau dies geschah, ist ebenso unklar wie sein späterer Einsatz als Offiziersschüler bei der Stasi-Bezirksverwaltung. Hier war Holm, dessen Vater ebenfalls ranghoch bei der Stasi arbeitete, bis zum Ende der Stasi in einer „Auswertungs- und Kontrollgruppe“ aktiv und schrieb nach eigenen Angaben Berichte aus Betrieben zusammen. Auf Nachfrage versicherte er: „Ich habe keine Berichte über Oppositionelle gelesen und auch keine Berichte dazu verfasst.“
Am Dienstag wurde Holm trotz dieser Unklarheiten zum Staatssekretär für Wohnen ernannt; seine neue Vorgesetzte Katrin Lompscher posierte mit ihm und seiner Ernennungsurkunde im Amtszimmer. Am gleichen Tag ließ Holm aber (laut eines „Welt“-Berichts) seine biografischen Angaben, die er gegenüber der Universität gemacht hatte, korrigieren. Die Universität kündigte daraufhin eine nochmalige Stasi-Überprüfung Holms an. Am Mittwoch gab Holm dann eine eilig einberufene Pressekonferenz, auf der er unkorrekte Angaben in eigener Sache einräumte. Dass er sich bei der Personalüberprüfung der Universität nicht als früherer Offiziersschüler ausgegeben habe, sei keine absichtliche Lüge gewesen, sondern sein „damaliger Wissensstand“. Dies allerdings weckt Zweifel. „Ich würde als Vorgesetzter an der Zuverlässigkeit zweifeln, wenn jemand falsche Angaben macht", sagte etwa Frank Becker, der Berliner Landeschef des Deutscher Beamtenbundes.
Wie wird die Personalie in der rot-rot-grünen Koalition gesehen?
In Berlins neuem Regierungsbündnis machte sich nach einer Woche Debatte langsam auch öffentlich Unmut breit. Die grüne Fraktionschefin Antje Kapek zeigte sich als erste verwundert „über die neue Wendung in Herrn Holms Biografie“ und sagte: „Es ist fraglich, ob nun tatsächlich alle Fakten zu seiner Stasi-Tätigkeit auf dem Tisch liegen.“
Noch weiter ging am Freitag der SPD-Abgeordnete Sven Kohlmeier. Er forderte öffentlich Holms Rücktritt und schrieb in seinem Blog: „Dieses Rumgeeier, diese Ausreden, sich nicht erinnern zu können, diese Halbwahrheiten und der gefälschte Lebenslauf zerstören das Vertrauen in die Redlichkeit von Herrn Holm.“ Politisch brisant werden diese Zeilen durch den Umstand, dass Kohlmeier als Vertrauter des SPD-Fraktionschefs Raed Saleh gilt – der sich in einem stillen Dauer-Machtkampf mit dem Regierenden Bürgermeister und Parteichef Michael Müller befindet.
Müller selbst äußerte sich vor der Krisensitzung ausweichend. Zunächst tat er die Debatte über Holms Stasi-Tätigkeit ab (laut Senatskanzleichef Björn Böhning hatte Müller vor Holms Ernennung seine im Internet kursierende Stasi-Akte ergoogelt) und ließ die Diskussion danach einfach laufen. Am Ende stand dann eine Krisensitzung, in der sich offenbar die SPD nicht gegen die Linke durchsetzen konnte, die an ihrer Personalie festhält. Die Linke, die die Debatte offenbar von vorn herein in Kauf genommen hatte, darauf aber nicht ausreichend vorbereitet war (etwa durch vorherige eingehende Prüfung von Holms Biografie), steht ebenfalls geschwächt da. Zumal ihr Verhalten als eine Nachfolgepartei der früheren DDR-Staatspartei SED gerade bei solchen Personalien besonders sensibel beobachtet wird. Noch halten Holm, Lompscher und die Linke an der Personalie fest. Doch die Koalition steht nach einer Woche schon vor ihrer ersten Belastungsprobe.
Nach dem Koalitionsausschuss kritisierte der SPD-Politiker Tom Schreiber dessen Ergebnis und forderte eine zusätzliche Prüfung Holms. Der Köpenicker Abgeordnete ärgert sich darüber, dass die Diskussion über den neuen Wohnungsstaatsekretär den Start der neuen rot-rot-grünen Koalition ausbremst. „Ich hätte anders entschieden“, sagte Schreiber dem Tagesspiegel. Das Problem werde jetzt nur in die Länge gezogen, möglicherweise mehrere Monate lang biete die neue Koalition eine überflüssige Angriffsfläche. wegen der Kontakte Holms in die linksextremistische Szene hält Schreiber zudem neben der obligatorischen Stasi-Überprüfung auch eine Überprüfung sinnvoll, ob ein Beamter auf dem Boden des Grundgesetzes steht, wie er dem Tagesspiegel sagte.
Wie geht es weiter?
Andrej Holm ist - wie alle angehenden Staatsangestellten - zunächst als Beamter auf Probezeit berufen. Er durchläuft nun eine routinemäßige Sicherheitsüberprüfung und muss sich einem Stasi-Check unterziehen. Dies kann im Zweifel ein paar Monate dauern. Aus der Stasi-Unterlagen-Behörde ist aber zu vernehmen, man werde wegen des besonderen öffentlichen Interesses versuchen, die Prüfung zu beschleunigen. Danach wollen die Humboldt-Universität, die Personalabteilung von Lompschers Baubehörde und der Senat insgesamt die Akten neu bewerten. Zudem prüft die Humboldt-Universität, ob die falschen Angaben Holms aus dem Jahr 2005 zu nachträglichen Konsequenzen führen. Eine möglicherweise offenkundig werdende Lüge Holms könnte dann personalrechtliche Folgen haben – und politische. Die Personalie Andrej Holm dürfte spätestens dann erneut öffentlich heftig diskutiert werden.