Nach der Abstimmung im EU-Parlament: Von der Leyen tritt am Mittwoch als Verteidigungsministerin zurück
Egal ob sie zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt wird oder nicht: Ursula von der Leyen wird ihren Kabinettsposten aufgeben - eine Lehre aus der Vergangenheit.
Ursula von der Leyen hat ihren Rücktritt als Verteidigungsministerin für den Mittwoch angekündigt. Sie wolle ihre „volle Kraft in den Dienst von Europa“ stellen, twitterte sie. Sie empfinde tiefe Dankbarkeit für die Jahre mit der Bundeswehr.
Von der Leyen kandidiert als EU-Kommissionspräsidentin. Am Dienstagabend wird das Europaparlament über den wichtigsten Posten der EU abstimmen. Die Wahl von Ursula von der Leyen gilt nicht als sicher, mehrere Fraktionen haben ihre komplette oder teilweise Ablehnung der deutschen Politikerin geäußert.
Zudem informierte von der Leyen die Angehörigen der Bundeswehr in einem Tagesbefehl über ihren Rücktritt. „Die Bundeskanzlerin ist über diesen Schritt informiert und wird die notwendigen Schritte für einen verantwortungsvollen Übergang im Sinne der Bundeswehr und der Sicherheit Deutschlands einleiten“, zitierte die Nachrichtenagentur dpa aus dem Befehl.
Damit versucht sie zugleich zu unterstreichen, dass sie nicht taktiert, um im Falle einer Niederlage die Rückzugsoption Verteidigungsministerium nutzen zu können. Seit sie der Truppe ein generelles Haltungsproblem attestiert hatte und wegen Berateraffären in die Kritik geraten war, ist ihr Rückhalt bei der Bundeswehr stark gesunken.
Von der Leyen hat ganz offensichtlich Lehren aus dem Fall Norbert Röttgen 2012 gezogen. Als CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen erlebte er ein Debakel – er hatte offengelassen, ob er bei einer Niederlage nach Düsseldorf gehen oder lieber Umweltminister in Berlin bleiben wolle. Nach der Niederlage wollte er Minister bleiben, Kanzlerin Angela Merkel entließ ihn daraufhin.
Auch die SPD-Spitzenkandidatin bei der Europawahl, Katarina Barley, hatte angekündigt, sie werde ihr Amt als Justizministerin aufgeben und künftig Europapolitik machen. Merkel lobte nun den Rücktritt als wichtiges Signal vor der Wahl. Der Schritt zeige, dass sich von der Leyen für eine „neue Etappe ihres Lebens“ entschieden habe und mit ganzer Kraft und „Verve“ für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten eintreten wolle, sagte Merkel am Montag bei einem Besuch in Görlitz. „Das freut mich. So kenne ich sie auch“, fügte die Kanzlerin hinzu. Alles weitere werde man sehen, sagte Merkel sowohl mit Blick auf die Wahl des EU-Kommissionspräsidenten im Europaparlament am Dienstag als auch die Neubesetzung des Postens des Verteidigungsministers in Berlin. Wer das Amt der Verteidigungsministerin übernimmt, war zunächst noch unklar.
Unklar ist, wer von der Leyens Nachfolger wird
Im Gespräch sind Gesundheitsminister Jens Spahn sowie die Verteidigungsexperten Johann Wadephul und Henning Otte sowie Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber (alle CDU).
Unklar schien allerdings auch, ob nur das Verteidigungsministerium neu besetzt wird, oder ob ein größere Karussell in Gang gesetzt wird. Allerdings hatte CSU-Chef Markus Söder eine Kabinettsumbildung mit Beteiligung der CSU-geführten Ministerien abgelehnt.
Niedersachsens CDU-Chef Bernd Althusmann hat bereits Ansprüche seines Landesverbandes für das Bundeskabinett angemeldet. „Die CDU Niedersachsen als drittgrößter Landesverband muss in der Bundesregierung angemessen vertreten sein. Wir haben gute Frauen und Männer in Berlin, die aus dem Stand heraus ein Ministerium führen können. Die Entscheidung liegt bei der Kanzlerin“, sagte Althusmann der Düsseldorfer „Rheinischen Post“.
Er rechnet mit einer schnellen Entscheidung: „Die Frage der Nachfolge wird in den darauffolgenden Tagen geklärt.“ Er zeigte sich überzeugt, dass von der Leyen, die selbst aus Niedersachsen stammt, an diesem Dienstag in Brüssel gewählt wird. „Sie ist strategisch klug, erfahren und bringt alles mit, was man in politisch schwierigen Zeiten braucht.“
Der Brandenburger CDU-Chef Ingo Senftleben fordert bei der bevorstehenden Veränderung im Bundeskabinett einen Posten für einen ostdeutschen Politiker. „Jetzt, wo es Bewegung am Kabinettstisch gibt, muss der Osten berücksichtigt werden“, sagte Senftleben den Partner-Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft. Dies wäre „ein wichtiges Signal für unsere Region“.
Wahl von Ursula von der Leyen ungewiss
Mit von der Leyen könnte erstmals seit mehr als 60 Jahren wieder jemand aus Deutschland das mächtige Brüsseler Amt erobern, und „EU-Regierungschef“ werden.
Doch ihre Wahl ist alles andere als sicher. Zu den schärfsten Kritikern der Politikerin gehören die deutschen Sozialdemokraten. Die SPD ist aufgebracht, weil von der Leyens Nominierung dem Wunsch des Parlaments widerspricht, nur einen Spitzenkandidaten zur Europawahl zum Kommissionschef zu machen. Dagegen warnen Politiker aus der Union vor einer Handlungsunfähigkeit der EU für den Fall eines Scheiterns der Kandidatin.
Am Montag warb sie noch einmal bei den europäischen Sozialdemokraten und Liberalen um Unterstützung. In zwei unterschiedlichen Schreiben an die beiden Fraktionen im Europaparlament sprach sich von der Leyen für einen verstärkten Klimaschutz und größere Parlamentsrechte aus.
Bei den internationalen Klimaverhandlungen wolle sie bis 2021 einen umfassenden Plan vorlegen, um die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 „auf verantwortliche Weise“ um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Der Fraktionschef der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, erklärte, er rechne damit, dass es im Europaparlament eine „klare Mehrheit“ geben werde. Weil von der Leyen aber nur auf die uneingeschränkte Unterstützung der EVP-Fraktion bauen kann, ist der Ausgang der geheimen Wahl offen.
Im Falle ihrer Niederlage auch durch Nein-Stimmen deutscher SPD-Abgeordneter sieht Althusmann die große Koalition in Berlin in Gefahr. Diese käme in „schwieriges Fahrwasser“, sagte Althusmann. „Ohnehin ist die Lage dieser Koalition fragil. Welches Kandidaten-Pärchen für den SPD-Vorsitz soll denn beim SPD-Parteitag im Dezember mit dem Slogan 'Zurück in die Groko' zur neuen Doppelspitze gewählt werden, wenn sich die Sozialdemokraten schon derart unsolidarisch verhalten wie in der jetzigen historischen Situation, dass eine deutsche Politikerin EU-Kommissionspräsidentin werden könnte.“ (mit dpa, rtr)