„Wir versuchen zu überleben“: Vom harten Alltag entlang der Pufferzone im Donbass
Wer konnte, hat die Frontgegend in der Ostukraine verlassen. Wer blieb, lebt in einer gelähmten Region. Was erwarten die Menschen von den Friedensgesprächen?
Es ist ein Leben in engen Grenzen. Der Krieg hat gravierende Folgen für die Menschen in Dörfern und Städten in und entlang der entmilitarisierten Zone und in direkter Nachbarschaft zur „Kontaktlinie“ – die Grenze, die es offiziell nicht gibt und dennoch das Land teilt.
Donezk und Luhansk – nah und trotzdem fern
Die nahen Regionalhauptstädte Donezk und Luhansk, sind zu Zentren selbsternannter „Volksrepubliken“ geworden – und für die Einwohner auf der ukrainisch-kontrollierten Seite in weite Ferne gerückt. Wer in Separatistengebiete im Osten will, nimmt eine beschwerliche Reise auf sich. Der Übertritt an den wenigen Kontrollpunkten kann Stunden dauern oder einen ganzen Tag.
Infrastruktur und Versorgung der Ostukraine sind oftmals unterbrochen. Es fehlt an Nahrungsmitteln, Medikamenten, Verkehrsverbindungen und Arbeitsplätzen. Strom- und Wasser fließen nicht immer zuverlässig. Ein Drittel aller medizinischen Einrichtungen sind laut WHO beschädigt oder zerstört, mehr als fünf Millionen Menschen davon betroffen.
Viele Bewohner sind aus der Ostukraine geflohen
Checkpoints gibt es auch westlich der Pufferzone, die die verfeindeten Seiten auf Distanz hält. Dort kontrollieren ukrainische Sicherheitskräfte jeden Reisenden. Die Grenzen auf beiden Seiten wirken wie ein Strick um den Hals, der langsam die Luft abschnürt: Seit einem halben Jahrzehnt entweicht das Leben, eine Region ist zum Niemandsland geworden.
[Seit 2014 wird in der Ostukraine gekämpft. Bei einem Gipfel in Paris sollen nun Wege zur Lösung des Krieges gesucht werden. Wie die Chancen dafür stehen, lesen Sie hier.]
Viele Bewohner sind geflohen, zurück blieben vor allem Ältere, Frauen und Kinder. Für sie ist die Lage besonders prekär – daran wird selbst ein Ende des Konflikts so schnell nichts ändern.
Ärzte warnen vor Krankheiten durch Stress und Mangelernährung sowie Traumata. Noch dazu zählt die Ostukraine zu den am stärksten verminten Gebieten der Welt.
„Wir versuchen zu überleben“
„Es ist schwierig, so nah an der Front ein normales Leben zu führen“, sagt Olesja Owdijenko aus der Stadt Torezk dem Tagesspiegel.
In den vergangenen Kriegsjahren hat die Aktivistin mobile Kliniken für die Menschen in Dörfern organisiert, Wasserleitungen repariert und Brunnen gebohrt, gemeinsam mit der Dresdner Hilfsorganisation Arche Nova. Sie organisierte Englisch- und Computerkurse, um Perspektiven der Einwohner zu verbessern. „Wir versuchen zu überleben“, sagt die 39-Jährige.
Ähnliches berichtet Julia Kobanet, Ortsvorsteherin von Lissiwka. „Das Dorf stirbt“, sagt sie. „Viele junge Leute haben den Ort verlassen.“ Sie hofft auf die Eröffnung einer neuen Kohlemine und neue Jobs im Revier Donbass.
Ljudmila Pawljuk, Vorsteherin des Örtchens Krasnohoriwka, ganz nah an der Kontaktlinie, hofft auf den Frieden, den Präsident Wolodymyr Selenskyj versprochen hat.
„Er scheint unsere letzte Hoffnung zu sein“, sagt die 65-Jährige – wie so viele hier. Sie hofft auch auf Deutschland und Frankreich, dass sie „den Friedensprozess vorantreiben“. Vor dem Krieg sei das Leben hier in Ordnung gewesen, sagt sie, „zwischen den einfachen Menschen gab es keine Konflikte“.
Und alle in der Region wissen, dass, wenn endlich die Waffen schweigen, es noch lange dauern wird, bis Normalität zurückkehrt. Wann? Owdijenko erwartet sie nur „irgendwann in der Zukunft“.