zum Hauptinhalt
Barack Obama und Hillary Clinton bei ihrem ersten gemeinsamen Wahlkampauftritt am Dienstag in Charlotte, North Carolina.
© imago/UPI Photo

E-Mail-Affäre um Hillary Clinton: Vom FBI ein Freispruch zweiter Klasse

Ein Schatten lag über dem ersten gemeinsamen Wahlkampfauftritt mit Barack Obama - auch wenn die Gefahr einer Anklage im Präsidentschaftswahlkampf für Hillary Clinton gebannt ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Ein Schatten hing seit Monaten über Hillary Clintons Präsidentschaftskandidatur: die Ungewissheit, ob das FBI irgendwann im Wahlkampf eine Anklage gegen sie empfehlen würde. Denn die Bewerberin der Demokraten um das Weiße Haus hatte in ihrer Zeit als US-Außenministerin Dienst-E-Mails über private Server abgewickelt. Eine Anklage, so urteilten US-Medien wiederholt, hätte ihre aussichtsreiche Kandidatur beendet und ihre Partei vor ein Problem ohne Präzedenz gestellt: Wer hätte an ihre Stelle treten können?

Nach fünf Minuten strahlt Clinton

Diese Sorge muss Clinton - und müssen die Demokraten - nicht mehr haben. Am frühen Dienstagabend deutscher Zeit trat FBI-Direktor James Comey in Washington vor die gespannt wartenden Medien und verkündete, seine Behörde empfehle, keine Anklage zu erheben.

Fünf Minuten später konnte die Öffentlichkeit eine strahlende Hillary Clinton sehen: Sie hatte nur wenige Straßenblocks entfernt einen Auftritt vor der National Education Association und hatte dort hinter der Bühne den ersten Teil der Ausführungen des FBI-Direktors abgewartet. Wenige Stunden später folgte ihr erster gemeinsamer Wahlkampfauftritt mit Präsident Barack Obama: in Charlotte, dem pulsierenden Wirtschaftszentrum des zwischen Demokraten und Republikanern hart umkämpften Bundesstaats North Carolina.

Auch wenn es keine Anklage gibt - eine Entlastung Clintons aus erwiesener Unschuld hatte Comey nicht zu verkünden. Es war ein Freispruch zweiter Klasse. Und so wird sich der politische Schatten aus der E-Mail-Affäre nicht verflüchtigen: Die Glaubwürdigkeit der demokratischen Kandidatin bleibt angeschlagen. Die Republikaner werden die Affäre und die für Clinton wenig schmeichelhaften Erkenntnisse der Ermittler im Wahlkampf benutzen. Ein zentraler Satz daraus: Ihr Urteilsvermögen sei fraglich.

"Sie wissen nicht, was ich sagen werde"

Nach den ersten Sätzen der 15-minütigen Erklärung (Wortlaut des vorbereiteten Redetextes, wie vom FBI zur Verfügung gestellt: hier) mussten Clinton und ihre Anhänger noch die Befürchtung haben, es könne viel schlimmer kommen. Zu welchem Schluss er gekommen sei, habe er weder Clinton noch dem Präsidenten noch irgendeiner anderen Behörde im Regierungsapparat vorab offenbart, fügte der FBI-Chef hinzu. "Sie wissen nicht, was ich sagen werde."

Mit strengem Blick und ernster Stimme listete er Verfehlungen Clintons auf, die in diesem Umfang der Öffentlichkeit noch nicht bekannt waren. Von den 30.000 E-Mails, die Clinton im Zuge der Untersuchung zur Verfügung stellen musste, enthielten 110 Informationen, die als "Verschlusssache" eingestuft waren. Allerdings enthielt nur ein Teil der Dokumente diesen Dienststempel. Clinton musste also nicht in allen Fällen bewusst sein, dass sie gegen die Schutzvorschriften für "classified information" verstieß. Comey widerlegte so jedoch Clintons wiederholte Behauptung, keine der Dienst-Emails, die sie über ihren privaten Server laufen ließ, habe vertrauliche Informationen enthalten.

Feindliche Regierungen hatten eventuell Zugang

Seine Mitarbeiter hätten im Übrigen "einige tausend E-Mails mit Dienstbezug" auf dem privaten Server entdeckt, die Clinton nicht von sich aus an die Ermittler übergeben habe, sagte der FBI-Chef. Er glaube aber nicht, dass sie diese dem FBI absichtlich vorenthalten habe. Es sei zudem "möglich", dass feindliche Regierungen Zugang zu Clintons Emails und damit auch zu geschützten Informationen hatten. Denn sie habe das Mobilgerät, über das sie E-Mails las und verschickte, auch auf Reisen außerhalb der USA benutzt in Gegenden, wo "Gegner mit ausgeklügelten Fähigkeiten" operieren.

In den Jahren als Außenministerin habe Clinton darüber hinaus nicht nur einen privaten Server benutzt, wie das der US-Öffentlichkeit bisher bekannt war, sondern mehrere. Das habe die Untersuchung erschwert. Sie hätte wissen müssen, dass ein nicht speziell geschützter Server "kein Ort für vertrauliche Informationen" ist. Sie sei also "extrem sorglos" damit umgegangen. Und eine Person, die noch im Staatsdienst ist - Clinton war 2013 ausgeschieden - müsste mit Disziplinarmaßnahmen rechnen.

Raum für Verschwörungstheorien

Doch schließlich folgten die zwei entscheidenden Sätze. Das FBI habe weder Hinweise auf "vorsätzliche Verstöße" noch auf einen Bruch der Loyalität zu den USA noch auf eine absichtliche Behinderung der Untersuchung gefunden. Und: "Nach unserem Urteil würde kein vernünftiger Strafverfolger so einen Fall vor Gericht bringen."

Die juristische Gefahr ist vorüber. Die politische Herausforderung bleibt. Die Verschwörungstheorien im konservativen Lager werden nicht verstummen, dass "die da oben" im Establishment unter einer Decke stecken und das FBI, das doch irgendwie auch zum Regierungsapparat gehöre, Clinton geschont habe.

Nächste Wahlkampfphase: Wer wird Vizepräsident?

Die Wahlkampfdynamik verschiebt sich derweil langsam zu Clintons Gunsten, bleibt aber zäh. Ende Mai hatte sie im Schnitt aller nationalen Umfragen gleichauf mit dem republikanischen Kandidaten Donald Trump gelegen. Dann konnte sie ihren Vorsprung auf über sechs Prozentpunkte vor zwei Wochen ausbauen. Inzwischen ist er wieder leicht geschrumpft, auf 4,5 Prozentpunkte.

Das sind Momentaufnahmen. Nun nähert sich eine neue Phase: die Parteitage, die Clinton und Trump offiziell als Präsidentschaftskandidaten nominieren. Die Republikaner machen den Anfang, vom 18. bis 22. Juli in Cleveland, Ohio. Eine Woche darauf folgen die Demokraten in Philadelphia, Pennsylvania. In den Tagen jeweils direkt davor rückt die Frage ins Zentrum, wen Trump und wen Clinton für die Vizepräsidentschaft nominiert.

Zur Startseite