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Das Rentenpaket: Vieles neu, aber auch gut? Was das Rentenpaket kann

Rente mit 63, Mütterrente, neue Reha-Leistungen - das Rentenpaket von Andrea Nahles ist voller Neuerungen. Die Regelungen sind an vielen Stellen sinnvoll, entbehren jedoch an anderen jeder Gerechtigkeit. Eine Bestandsaufnahme.

Die RENTE MIT 63

Wer auf 45 Beitragsjahre kommt, soll ab dem 1. Juli 2014 mit 63 Jahren in Rente gehen können, ohne Abschläge in Kauf nehmen zu müssen. Dabei werden Zeiten der Arbeitslosigkeit anerkannt (nur Arbeitslosengeld I, nicht Arbeitslosenhilfe oder Hartz IV). War jemand in den letzten beiden Jahren vor Rentenbeginn ohne Job, zählen diese Zeiten nicht. Damit soll verhindert werden, dass Arbeitnehmer mit 61 aus dem Job ausscheiden, zwei Jahre Arbeitslosengeld beziehen und dann in die Rente mit 63 wechseln. Eine Ausnahme gibt es aber: Bei einer Betriebspleite wird Arbeitslosigkeit auch vor Rentenbeginn anerkannt. Auch Zeiten der Kindererziehung, der Pflege von Familienangehörigen, Zeiten mit Bezug von Kranken-, Insolvenz- oder Kurzarbeitergeld zählen sowie Zivil- oder Wehrdienst. Freiwillig gezahlte Beiträge werden auch anerkannt, vorausgesetzt, es wurden 18 Jahre Pflichtbeiträge gezahlt. Für die Geburtsjahrgänge ab 1953 steigt die Altersgrenze von 63 Jahren mit jedem Jahrgang um zwei Monate. Ab Jahrgang 1964 liegt sie bei 65 Jahren.

Was gut ist:

Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will mit der Rente mit 63 die „Lebensarbeitsleistung“ von Menschen belohnen, die früh ins Berufsleben gestartet sind und Jahrzehnte gearbeitet haben. Nach Schätzungen des Ministeriums können im Startjahr bis zu 200.000 Personen pro Jahr profitieren. Ein Teil von ihnen wäre auch schon nach geltendem Recht mit 63 Jahren in Rente gegangen, allerdings mit Abschlägen. Unter dem Strich erwartet das Ministerium, dass sich anfangs durch die Reform rund 50.000 Menschen zusätzlich entscheiden werden, früher aus dem Berufsleben auszuscheiden. Dass auch Zeiten der Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden, begründet die SPD damit, dass sonst die Menschen durchs Raster fallen würden, die in Zeiten großer Umbrüche vorübergehend arbeitslos waren, etwa nach der Wende oder durch Strukturwandel wie etwa im Ruhrgebiet. Die Gewerkschaften halten die Rente mit 63 auch deshalb für gerechtfertigt, weil die Beschäftigungssituation Älterer nach wie vor nicht gut sei. Nur knapp ein Drittel der 60- bis 64-jährigen hat derzeit einen sozialversicherungspflichtigen Job.

"Lebensarbeitsleistung" durch Frühverrentung honorieren - Kritiker sind skeptisch
"Lebensarbeitsleistung" durch Frühverrentung honorieren - Kritiker sind skeptisch
© dpa

Was schlecht ist:

Mit den Rentenreformen der letzten Jahre hat die Politik versucht, die Erwerbsphase zu verlängern, nicht zuletzt durch die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auf 67 Jahre. Die abschlagsfreie Rente mit 63 steht im Widerspruch zu diesem Bemühen. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer prognostiziert, die Reform werde in den nächsten Jahren zu deutlich mehr Frühverrentungen führen. Er kritisiert, dass die Zahl der Berechtigten noch einmal dadurch erhöht wird, dass nicht nur Arbeitslosigkeit anerkannt werden soll, sondern auch Zeiten mit freiwilligen Beiträgen. Die Rentenversicherer bemängeln außerdem die Verteilungswirkungen. Wegen der unterbrochenen Erwerbsbiographien würden Frauen deutlich seltener profitieren als Männer, und die Rente komme vor allem den Versicherten zugute, die ohnehin über relativ hohe Rentenansprüche verfügen. Das stört auch den Paritätischen Gesamtverband: Soziale Berufe blieben außen vor, weil die schulischen Ausbildungszeiten von Erzieherinnen, Pflegekräften oder Krankenschwestern in der Regel nicht als Beitragszeiten anerkannt werden

Die MÜTTERRENTE

Die Erziehung von Kindern, die vor 1992 geboren wurden, wird in der Rente künftig nicht mehr nur mit einem, sondern mit zwei Entgeltpunkten honoriert. Im Westen erhöht sich der monatliche Zahlbetrag dadurch brutto um 28,61 Euro im Monat, in den neuen Bundesländern im Osten um knappe 26,39 Euro. In den Genuss der höheren Renten kommen nach Regierungsangaben allein im Jahr 2014 rund 9,5 Millionen Frauen und 150.000 Männer. Die Aufbesserung wird bereits zum Juli 2014 wirksam. Da die Rentenversicherung für die Umstellung aber deutlich mehr Zeit benötigt, werden viele ihr Geld erst im Oktober oder noch später auf dem Konto haben. Verloren geht dadurch allerdings nichts, die Zahlungen erfolgen rückwirkend. Die Gesamtkosten liegen schon im ersten Jahr bei 6,7 und insgesamt bei gut 43 Milliarden Euro. Damit ist die aufgestockte Mütterrente der mit Abstand größte Posten im schwarz-roten Rentenpaket.

Was gut ist:

Mit dem Postulat, dass jedes Kind „die gleiche Rente wert“ sei, hatten insbesondere die Unionsfrauen Wahlkampf gemacht. Tatsächlich erhalten Mütter (oder Väter) für die Erziehung von Kindern, die vor 1992 geboren wurden, bisher nur einen Rentenpunkt gutgeschrieben, für jüngere Kinder dagegen gibt es drei Entgeltpunkte. Diese offensichtliche Ungerechtigkeit wird nun zwar nicht ganz beseitigt, aber doch im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten verringert. Dies sei vor allem eine Bringschuld gegenüber den Frauen in Westdeutschland, hieß es. Ihnen sei schließlich noch bis in die 90er Jahre hinein auch von der Politik die traditionelle Arbeitsteilung der Familien nahe gelegt worden. Und wegen fehlender Betreuungsmöglichkeiten oder nicht vorhandener Ansprüche auf Teilzeitarbeit hatten sie oft auch faktisch kaum eine andere Möglichkeit, als für ihre Kinder den Job aufzugeben und dadurch Rentenansprüche zu verlieren.

Jedes Kind ist "die gleiche Rente wert"? Stimmt so nicht.
Jedes Kind ist "die gleiche Rente wert"? Stimmt so nicht.
© dpa

Was schlecht ist:

Wirklich gerecht ist die Mütterrente auch nach der teuren Reform nicht, denn für Kinder, die 1992 oder später geboren wurden, gibt es nach wie vor einen Entgeltpunkt mehr. Gegen Altersarmut ist mit den Aufschlägen auch wenig geholfen. Erstens werden sie unabhängig vom Bedarf mit der Gießkanne verteilt. Und zweitens sehen diejenigen, die Hilfe besonders nötig hätten, davon gar nichts. Wer Grundsicherung bezieht, bekommt sie nämlich nicht ausgezahlt, sondern mit dieser Leistung verrechnet. Problematisch ist zudem, dass die Mütterrente aus Beitrags- und nicht aus Steuermitteln bezahlt wird – obwohl die die Honorierung von Kindererziehung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe wäre. Nach einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW steigt der Beitragssatz allein durch die höhere Mütterrente bis 2018 um 0,3 Prozentpunkte. An der Finanzierung müssten auch die Nichtversicherten beteiligt werden, fordern Experten.

Die ERWERBSMINDERUNGSRENTE

Künftig wird die Erwerbsminderungsrente so berechnet, als ob die Empfänger bis zum Alter von 62 Jahren auf ihr bisheriges Einkommen Rentenbeiträge bezahlt hätten. Bisher lag diese sogenannte Zurechnungszeit bei 60 Jahren. Die Erhöhung erfolgt stufenweise mit der Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Besser gestellt werden Erwerbsminderungsrentner zudem über eine neue Bewertung der letzten vier Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung. Künftig zählen sie nicht mehr mit, wenn sich dadurch der Rentenanspruch verringern würde. Bisher waren solche Einbußen nicht selten, denn Erwerbsgeminderte müssen durch krankheitsbedingte Einschränkungen oft schon vor dem Renteneintritt deutlich kürzer treten.

Was gut ist:

Dass die Erwerbsminderungsrenten dringend aufgebessert werden müssen, war über Parteigrenzen hinweg unumstritten – und auch unter Schwarz- Gelb bereits Konsens. Verzögert hat sich die Reform nur deshalb so lange, weil die damalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sie nur im Paket mit anderem durchbringen wollte. Erwerbsgeminderte sind weit stärker als andere Bevölkerungsgruppen von Altersarmut bedroht. Das liegt daran, dass das Rentenzugangsalter steigt, das Niveau der gesetzlichen Rente sinkt und die Betroffenen im Regelfall nicht über eine zusätzliche Altersversorgung verfügen. Privatanbieter lassen sich den Schutz bei Vorerkrankung oder höherem Berufsrisiko so teuer bezahlen, dass ihn sich diejenigen, die ihn bräuchten, kaum leisten können.

Was schlecht ist:

Aus der Sicht vieler Experten sind die Prioritäten falsch gesetzt. In höhere Mütterrenten und die Rente mit 63 fließen jährlich fast neun Milliarden Euro, für die mehr als 1,7 Millionen Erwerbsgeminderten gibt es nur 2,1 Milliarden. Dabei ist der Handlungsbedarf für diese Menschen am größten. Ihre Zahlbeträge sinken kontinuierlich, seit 2001 betrug das Minus 70 Euro im Monat. Laut Rentenversicherung erhalten Erwerbsgeminderte mit Rentenbeginn 2012 derzeit im Schnitt 607 Euro. Die Reform bringt ihnen jetzt gerade mal 40 Euro mehr. Daran, dass immer mehr von ihnen von dieser Mini-Rente nicht leben können, wird das wenig ändern. Zwölf Prozent der Empfänger erhalten bereits Leistungen der Grundsicherung. Bei gewöhnlichen Altersrentnern sind es nur 2,2 Prozent.

Die FLEXIRENTE

Die FlexiRente ist neu im Rentenpaket, sie wurde auf Druck des Wirtschaftsflügels der Union in das Gesetz eingefügt. Wer über das gesetzliche Rentenalter von derzeit 65 Jahren und drei Monaten hinaus arbeiten will, soll das künftig leichter tun können. Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich einig sind, können sie gemeinsam den Arbeitsvertrag befristet verlängern, auch mehrmals hintereinander. Bisher ist das nicht rechtssicher möglich. Eine Arbeitsgruppe der Koalition soll in den nächsten Monaten außerdem prüfen, durch welche weiteren Maßnahmen die Übergänge in den Ruhestand flexibler gestaltet werden können. So soll es attraktiver gemacht werden, vor Erreichen der Regelaltersgrenze den eigenen Job auf Teilzeit zu reduzieren und nebenher schon eine Teilrente zu beziehen.

Was gut ist:

Für den Wirtschaftsflügel der Union war die Flexi-Rente als Ausgleich zur umstrittenen Rente mit 63 wichtig. Die Unions-Politiker wollten deutlich machen, dass auch längeres Arbeiten sich auszahlen kann. Die Rentenversicherung belohnt es zwar schon nach geltendem Recht, wenn jemand den Rentenbeginn hinausschiebt. Zum einen steigen die Anwartschaften durch das längere Arbeiten, zum anderen gibt es einen Zuschlag von sechs Prozent. Tatsächlich enden im Moment aber viele Arbeitsverträge automatisch mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze, in zahlreichen Tarifverträgen ist das so vereinbart. Über die geplanten Änderungen freuen sich die Arbeitgeber. „So wird zumindest ein Teil der rechtlichen Probleme beseitigt, die derzeit Beschäftigung im Rentenalter verhindern“, kommentiert Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer.

Was schlecht ist:

Im Grundsatz sind sich die Parteien zwar einig, dass die Übergänge in den Ruhestand flexibler werden sollen. Nur wie das am besten passieren soll, ist strittig. Mit dem nun gefundenen Kompromiss haben einige in der SPD Bauchschmerzen. So kritisierte die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, vor kurzem, dass Arbeitnehmerrechte weiter ausgehöhlt würden, wenn eine befristete Beschäftigung für ältere Beschäftigte zugelassen werde. Mast spricht sich stattdessen dafür aus, die Teilrente zu modernisieren. Wer Anspruch auf eine vorgezogene Rente hat, kann heutzutage auch eine reduzierte Teilrente anstatt einer Vollrente beantragen und nebenher etwa in Teilzeit weiter arbeiten. Im Moment gibt es aber relativ starre Hinzuverdienstgrenzen, so dass diese Möglichkeit nur von wenigen in Anspruch genommen wird.

Die REHA-LEISTUNGEN

Wenn jemand aus gesundheitlichen Gründen nur noch eingeschränkt arbeiten kann oder seine Erwerbsfähigkeit gefährdet ist, bezahlt die Rentenversicherung Leistungen zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation. Dafür stellt der Gesetzgeber ein festes Reha-Budget zur Verfügung – im Jahr 2013 lag dieses bei 5,8 Milliarden Euro. Das Budget wird jährlich neu festgesetzt. Bisher richtete sich die Anpassung nur nach der voraussichtlichen Lohnentwicklung. In Zukunft soll auch die demografische Entwicklung berücksichtigt werden. In den nächsten Jahren wird das Budget dadurch leicht steigen, im Jahr 2014 um etwa 100 Millionen Euro zusätzlich. Bis 2017 steigt das Plus auf knapp 250 Millionen Euro.

Was gut ist:

Seit Jahren haben die Rentenversicherer gebetsmühlenhaft dafür geworben, den Deckel für das Reha-Budget anzuheben. Denn in der Vergangenheit wurde dieses häufig ausgeschöpft oder sogar überschritten. Das hat zunehmend zu einer Situation der „Reha nach Kassenlage“ geführt, wie etwa der Deutsche Gewerkschaftsbund beklagt. Dass nun mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden sollen, stößt daher auf breite Zustimmung. Eine Anhebung ist auch deswegen erforderlich, weil die Generation der Babyboomer in das Alter kommt, in dem man häufiger auf Reha-Leistungen angewiesen ist. Mehr Geld wird aber auch benötigt, weil die Regelaltersgrenze schrittweise auf 67 Jahre steigt, parallel dazu steigen etwa auch die Altersgrenzen bei der Rente für schwerbehinderte Menschen.

Was schlecht ist:

Gemessen an den Milliardenbeträgen, die in den nächsten Jahren in die Mütterrente und die Rente mit 63 fließen werden, fällt das Plus beim Reha-Budget bescheiden aus. Rentenversicherer und Gewerkschaften bezweifeln, dass die Mittel, die am Freitag im Bundestag beschlossen werden sollen, tatsächlich reichen werden. So weist der Deutsche Gewerkschaftsbund darauf hin, dass durch die Zunahme von chronischen Erkrankungen und von psychischen Störungen auch mehr Reha-Leistungen notwendig werden. Mehr Geld ist auch dann notwendig, wenn die Rentenversicherung ihren gesetzlichen Auftrag zur Prävention ernst nehmen soll. „Rehabilitation statt Rente“ heißt das Motto, das im Moment aber in der Praxis nicht immer erfüllt werden kann.

Welche Vorsorge-Optionen gibt es? Hier mehr zu diesem Thema.

Cordula Eubel, Rainer Woratschka

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