Brasilien nach der Wahl: Viele sehen in Bolsonaro einen Heilsbringer – andere haben Angst
Jair Bolsonaro ist rechtsextrem, lobt die Militärdiktatur und hetzt gegen Frauen, Schwule und Schwarze. Seine Gegner fürchten ein Ende der Demokratie.
Um Punkt 19 Uhr bricht Roberto Martins in frenetischen Jubel aus und schwenkt eine brasilianische Fahne. Der Bankangestellte ist mit Tausenden anderen Menschen an die Strandpromenade von Barra da Tijuca gekommen, einem westlichen Stadtteil von Rio de Janeiro, in dem die weiße Mittel- und Oberschicht zu Hause ist. Viele tragen die Trikots von Brasiliens Nationalmannschaft oder T-Shirts mit dem Aufdruck: „Bolsonaro Presidente“. Sie sind in Jubelstimmung – Jair Bolsonaro von der Sozial Liberalen Partei (PSL) hat die Präsidentschaftswahl gewonnen. Prognosen sehen den rechtsextremen Politiker, der die Militärdiktatur verteidigt, zu diesem Zeitpunkt mit 55 Prozent der Stimmen vor Fernando Haddad von der linken Arbeiterpartei (PT). Dieser erzielt fast 45 Prozent. Später wird genau dieses Ergebnis bestätigt.
„Es wird eine in Brasilien niemals gesehene Säuberung geben.“ (Bolsonaro, Oktober 2018)
57 Millionen Brasilianer haben Bolsonaro ihre Stimme gegeben, so wie Roberto Martins. Er sagt, dass er sich von Bolsonaro drei Dinge erhoffe: mehr Sicherheit im Gewalt geplagten Rio de Janeiro, ein Ende der Korruption in der Politik, und dass es mit der Wirtschaft endlich wieder aufwärts gehe, die seit mehreren Jahren in einer tiefen Krise steckt. Es sind die Themen, die viele Brasilianer Umfragen zufolge dazu bewegten, für Bolsonaro zu votieren.
Dass Bolsonaro keine Regierungserfahrung hat, sieht Martins als Vorteil. So sei er nicht vom korrupten politischen System verseucht. Zwar kann Martins nichts mit den vielen menschenfeindlichen Aussagen Bolsonaros anfangen („Schwule muss man schlagen“, „Wir werden die Linken an die Wand stellen“, „Indigene kriegen keinen Zentimeter Land mehr“). Roberto Martins teilt allerdings die tiefe Ablehnung des Ex-Militärs Bolsonaro gegen die linke Arbeiterpartei. Die Roten hätten das Land zugrunde gerichtet, sagt er, während am Strand trotz strömenden Regens ein Feuerwerk entzündet wird. Die Menge skandiert „PT raus“.
Am anderen Ende Rio de Janeiros fürchtet sich Quenia E. so sehr, dass sie nicht möchte, dass ihr Nachname veröffentlicht wird. Die 30-jährige Dunkelhäutige studiert Jura dank eines von der PT eingeführten Stipendienprogramms für junge Menschen aus armen Familien. Sie ist im letzten Semester, doch ihr Abschluss ist gefährdet, weil die aktuelle Regierung des konservativen Michel Temer das Programm gestrichen hat. Mit Bolsonaro besteht wohl keine Chance, dass es wieder aufgenommen wird.
„Wenn es nach mir ginge, wird jeder Bürger eine Waffe zu Hause haben.“ (Bolsonaro, April 2017)
Große Angst hat E. allerdings, weil sie Morddrohungen von Bolsonaro-Anhängern bekommen hat – so wie viele linke Aktivisten, kritische Journalisten oder einfache Brasilianer. Im Internet hatte sich E. vehement hinter Fernando Haddad gestellt und die linke PT verteidigt. Es weckte den Hass der Gegenseite. Schon in der Wahlnacht zirkulieren daher in ihrem Freundeskreis Anleitungen, wie man sich nun verhalten soll, um nicht ins Visier rechter und rassistischer Gruppen zu geraten. Sie könnten sich durch die Wahl Bolsonaros ermutigt fühlen, loszuschlagen.
Es beruhigt E. nicht, dass Bolsonaro in seiner ersten Fernsehansprache an die Einheit der Brasilianer appelliert und ihnen persönliche Freiheit garantiert. Er sei „ein gefährlicher Mann“, schreibt sie über Whatsapp. Tatsächlich haben Bolsonaros Reaktionen am Wahlabend etwas irritierend Widersprüchliches. Sie zeigen auch, dass er mit den eingespielten Ritualen des brasilianischen Politikbetriebs brechen will. Noch vor seiner Fernsehansprache wendet sich Bolsonaro über Facebook an seine Anhänger und sagt, dass das Land „mit dem Kommunismus geflirtet“ habe. Es ist genau betrachtet Unsinn, aber viele Menschen wiederholen es, wie zum Beispiel Roberto Martins.
„Ich würde dich nie vergewaltigen, weil du es nicht wert bist.“ (Bolsonaro zu einer Parlamentarierin, November 2003)
Später wendet sich Bolsonaro dann zwar betont staatsmännisch an die Nation. Er verspricht, für alle Brasilianer zu regieren, die Verfassung zu respektieren, das Land aus der Wirtschaftskrise zu führen und Brasilien wieder groß zu machen. Aber zuvor betet er vor der Nation mit dem Pastor einer erzkonservativen evangelikalen Kirche, die ihn im Wahlkampf unterstützte. Brasilien ist ein laizistischer Staat, nun wird befürchtet, dass es sich unter Bolsonaro in Richtung eines christlichen Gottesstaats bewegen könnte. Bolsonaros Wahlkampfmotto lautete: „Brasilien über alles, Gott über allen.“
Dieses Brasilien ist tief gespalten. Dafür stehen Wähler wie die linke Quenia E. und der rechte Roberto Martins. Das Land hat einen sehr aggressiven Wahlkampf erlebt, der mit Bolsonaros Sieg in einem scharfen Rechtsruck geendet ist. Dieser zeichnete sich schon bei den Parlamentswahlen Anfang Oktober ab, in denen Bolsonaros einstige Winzpartei PSL zur zweitstärksten Fraktion wurde (52 Sitze von 513).
„Hitler war ein großer Stratege.“ (Bolsonaro, März 2012)
Es ist bislang unklar, was Bolsonaro als Präsident genau vorhat, sein Regierungsprogramm blieb bis zuletzt vage. Einzig in der Wirtschaftspolitik ist er konkreter geworden. So kündigte er die starke Reduzierung des Staats, die Schuldenbekämpfung sowie den Abbau von Investitionshürden an. Die Märkte reagierten positiv.
Bolsonaro wird nun auf die Unterstützung eines zersplitterten Kongresses mit 30 Parteien angewiesen sein. Mit diesem wird er sich immer wieder neu arrangieren müssen, weil er weniger nach Parteilinien organisiert ist, als vielmehr nach thematischer Ausrichtung. So gibt es mehrere große Lobbyblöcke, beispielsweise den der Evangelikalen oder den der mächtigen Agrarindustrie.
„Ich könnte einen homosexuellen Sohn nicht lieben. Ich würde es vorziehen, dass mein Sohn bei einem Unfall ums Leben kommt." (Bolsonaro, Oktober 2010)
Bolsonaros Wahlsieg mit zehn Millionen Stimmen Vorsprung könnte ihm im Kongress jedoch einiges an Gewicht verleihen. Ab 1. Januar wird er regieren. Dann kann er die Schuld für den schlechten Zustand Brasiliens nicht mehr auf seinen Lieblingsfeind, die linke Arbeiterpartei, schieben. Brasilianer wie Roberto Martins verbinden mit der Machtübernahme Bolsonaros große Hoffnungen. Andere wie Quenia E. fürchten sich davor. Leuten wie ihr hat der unterlegene Fernando Haddad in einer Rede in der Wahlnacht versprochen: „Habt keine Angst, wir werden hier sein.“ Es gehe nun darum, für die Demokratie zu kämpfen. Dass das nach 30 Jahren Demokratie in Brasilien wieder gesagt werden muss, ist vielleicht das Beunruhigendste am Wahlausgang.