Missbrauchsskandal in der Kirche: Viele Schuldeingeständnisse, keine Beschlüsse
Was hat das Treffen der katholischen Kirche gebracht? Was hat der Papst versprochen? Was sagen die Opferverbände? Fragen und Antworten zum Gipfel im Vatikan.
Zum Abschluss der Konferenz im Vatikan zu Missbrauch in der katholischen Kirche hat Papst Franziskus ein hartes Durchgreifen gegen sexuellen Missbrauch und ein Ende der Vertuschung versprochen.
Was hat der Papst versprochen?
In einer Grundsatzrede zum Abschluss des Treffens im Vatikan hat Franziskus „die absolute Entschlossenheit“ bekräftigt, mit der die Kirche sich dem Phänomen des sexuellen Missbrauchs stellen und Täter in ihren Reihen zur Rechenschaft ziehen werde. Kein Missbrauch dürfe jemals wieder „vertuscht oder unterbewertet“ werden, „so wie es in der Vergangenheit üblich war“, betonte er. Den Opfern sei dabei in jeder Hinsicht Vorrang einzuräumen und zu helfen.
Das Übel des Missbrauchs, das der Papst in seiner Rede mit Menschenopfern in heidnischen Ritualen verglich, berühre das „Herzstück der kirchlichen Mission“: schon Kindern das Evangelium zu verkünden und sie „vor den reißenden Wölfen zu schützen“. Dass sexueller Missbrauch nicht auf die katholische Kirche beschränkt und ein „übergreifendes Problem“ sei, schmälere nicht die „Abscheulichkeit innerhalb der Kirche“: Die Unmenschlichkeit werde noch schwerwiegender und skandalöser, weil sie im Widerspruch zu ihrer moralischen Autorität stehe.
„In der berechtigten Wut der Menschen sieht die Kirche die Wut Gottes“, der von unehrlichen Geistlichen geohrfeigt worden sei. Innerhalb der Kirche sei ein Mentalitätswechsel notwendig. Konkrete Maßnahmen, wie die versprochene „Null-Toleranz“ gegen Missbrauch umgesetzt werden soll, hat der Papst in seiner Rede aber kaum aufgezeigt – obwohl er genau diese zum Auftakt angemahnt hatte.
Der Moderator des Krisengipfels, Federico Lombardi, erklärte am Sonntag, der Vatikan arbeite an einem Papst-Erlass „zum Schutz von Minderjährigen und schutzbefohlenen Personen“ und kündigte zudem ein neues Gesetz und neue Richtlinien für den Vatikanstaat selbst an.
Das „Motu proprio“, eine Art kirchenrechtliche Entscheidung des Papstes, zum Schutz von Minderjährigen solle bald verkündet werden. Der Papst werde die Anweisungen „in unmittelbarer Zukunft“ verkünden, sagte der Erzbischof von Malta, Charles Scicluna, der in der Glaubenskongregation für die Strafverfolgung von sexuellem Missbrauch verantwortlich ist und den Gipfel mit vorbereitet hatte.
Wie kam es zu dem Kongress?
Papst Franziskus hatte die Missbrauchskonferenz im vergangenen Herbst einberufen – unter dem Eindruck von neuen Skandalen in Chile und in den USA, die sich zu unzähligen schon früher überall auf der Welt aufgedeckten oder bekannt gewordenen Taten hinzukamen. Das Kirchenoberhaupt ist sich bewusst, dass der flächendeckende Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester sowie die systematische Vertuschung dieser Verbrechen durch den Vatikan und in den Diözesen die Glaubwürdigkeit der von ihm geleiteten Kirche in ihren Grundfesten erschütterte – und damit auch sein eigenes Pontifikat.
Die Dimension des Missbrauchsskandals ist bis heute noch nicht voll erfasst – weil seine Aufarbeitung je nach Weltregion höchst unterschiedlich vorangeschritten ist. Es gibt aber diverse Studien, die das Ausmaß zumindest erahnen lassen: Eine von den US-Bischöfen schon 2004 in Auftrag gegebene Studie ergab, dass vier Prozent aller US-Priester des Missbrauchs von Kindern und Teenagern unter 18 Jahren beschuldigt worden sind.
In Deutschland kam eine ähnliche Studie im Herbst 2018 zum Schluss, dass in den Jahren 1946 bis 2014 mindestens 1670 katholische Kleriker 3677 meist männliche Minderjährige in Deutschland missbraucht haben. Doch diese Zahlen könnten auch nur die Spitze des Eisbergs sein: In den nur 17 Millionen Einwohner zählenden Niederlanden schätzen Experten die Zahl der Missbrauchsopfer auf insgesamt 20000 Menschen.
Welche Forderungen wurden im Lauf des Treffens formuliert?
Um den Missbrauch und seine Vertuschung zu bekämpfen und Kinderschänder in den eigenen Reihen zu stoppen, haben die Präsidenten der weltweit 114 Bischofskonferenzen, Vertreter der Ordensgemeinschaften, Kurienmitarbeiter und diverse Experten im Lauf der Konferenz viele konkrete Maßnahmen und Reformen in der Kirchenverwaltung und im Kirchenrecht vorgeschlagen.
Der vielleicht interessanteste Vorschlag betrifft die Schaffung leicht zugänglicher Anlaufstellen für Opfer in jeder Diözese, um dort Verbrechen melden zu können. Diesem Organ, das von der lokalen kirchlichen Autorität unabhängig sein müsste, sollten neben Klerikern auch Laien angehören.
Der Präsident der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, forderte Transparenz und Nachvollziehbarkeit in der kirchlichen Verwaltung sowie eine Reform der kanonischen Prozesse: „Die Kirche darf nicht unterhalb der Qualitätsstandards der öffentlichen Rechtspflege arbeiten“, betonte der Erzbischof von München und Freising.
Alles andere wäre „Willkür“ und würde der Verbreitung von Verschwörungstheorien Vorschub leisten. Außerdem müssten gerichtliche Verfahren, soweit möglich, öffentlich gemacht werden – wie auch Fallzahlen und gegebenenfalls auch Einzelheiten zu Fällen. Marx sagte auch, er sähe in Missbrauchsfällen keinen Grund für das „päpstliche Geheimnis“, eine amtliche Verschwiegenheitspflicht für kirchliche Verfahren – diese sei revisionsbedürftig.
Erzbischof Scicluna forderte die Bischöfe auf, „gewissenhaft und im Geist der Kooperation“ den zuständigen staatlichen Behörden die ihnen zur Kenntnis kommenden Missbrauchsfälle anzuzeigen. Genau dies wird in vielen Diözesen noch unterlassen. Mehr noch: Oft mauern die Bischöfe oder auch die vatikanischen Behörden, wenn sie von der zivilen Justiz um Akteneinsicht gebeten werden.
Was hat das Treffen gebracht?
Während der viertägigen Konferenz gab es viele Schuldeingeständnisse. Doch bindende Beschlüsse konnten die 190 Teilnehmer der Konferenz nicht fassen. Immerhin sei ein vorläufiges „Praxishandbuch“ mit Fragen und Antworten zustande gebracht worden, erklärte Scicluna: „Die Bischöfe möchten wissen, was im Falle einer Anklage oder Anzeige zu tun ist.“ Eine „Task Force“ soll Diözesen und Bischofskonferenzen weltweit unterstützen, die nicht genug Kompetenzen oder Ressourcen für den Kampf gegen den Missbrauch haben.
Entscheidend sei nun, wie die Vorschläge und Forderungen konkret umgesetzt würden, betonte der deutsche Kardinal Reinhard Marx. „Eine solche Konferenz ist kein Endpunkt, nur weil wir keine Beschlüsse gefasst haben. Aber was sind die Folgen? Nun, es geht weiter“, erklärte der Kardinal zum Abschluss. Marx bezeichnete das Treffen als „guten Schritt nach vorne“. Sich gegenseitig zu helfen, sei wichtig. Bistümer und Ordensgemeinschaften sollten Fakten überprüfen, wie dies die irischen Bischöfe bereits täten. Für den Präsidenten der deutschen Bischöfe ist die Missbrauchskonferenz auch Test und Herausforderung für die Kirche insgesamt: Es sei „nicht gut, wenn der Vatikan in fünf Jahren wieder eine solche Konferenz austragen müsste“.
Kamen auch die Opfer zu Wort?
Bei der Missbrauchskonferenz haben mehrere Opfer persönlich oder per Videobotschaft über ihre Schicksale berichten können. Ihre Auftritte und Schilderungen waren wohl die eindrücklichsten Momente des ganzen Treffens. „Missbrauch jeder Art ist die schlimmste Demütigung, die man einem Menschen zufügen kann. Es bedeutet, erkennen zu müssen, dass man sich gegen die Übermacht des Täters nicht zur Wehr setzen kann, ihm ausgeliefert ist. Du kannst dem, was da passiert, nicht entkommen, du musst es über dich ergehen lassen: egal, was oder wie schlimm es ist“, sagte ein junger Südamerikaner während des Bußgottesdienstes am Samstagabend vor den versammelten Bischöfen und Papst Franziskus. Sowohl er selbst als auch seine Zuhörer kämpften mit den Tränen.
Ein weibliches Opfer erzählte, wie sie bereits mit 13 Jahren ein erstes Mal von einem Priester vergewaltigt worden ist – und dann jahrelang immer und immer wieder. Dreimal wurde sie schwanger und wurde zu Abtreibungen genötigt, weil der Täter auf Sex ohne Präservativ bestand.
Die Zeugnisse der Opfer werden vielen Bischöfen helfen, die Tragweite des Missbrauchs und des dadurch verursachten Leids besser zu verstehen. „Es ist gut, das mal zu hören. Immer, wenn ich mit Opfern rede, sie anhöre, merke ich, wie das etwas in mir auslöst. Einen inneren Schock. Wie kann denn so was möglich sein? Das ist das eine. Zum anderen treibt es einem die Schamesröte ins Gesicht: Das ist die Kirche, die so gehandelt hat! Es ist nicht einfach irgendein Mensch, sondern ein Vertreter der Kirche“, erklärte der Präsident der Schweizer Bischöfe, Felix Gmür, gegenüber „Domradio“.
Wie bewerten Opferverbände und Experten den Ausgang der Konferenz?
Opfervertreter zeigten sich am Sonntag enttäuscht und empört: „Die Rede des Papstes ist der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld und dem Versagen zu stellen und wirkliche Veränderung anzugehen“, twitterte Matthias Katsch vom deutschen Opferschutzverband Eckiger Tisch nach der Abschlussrede des Kirchenoberhaupts. Die Spitze des Vatikans weigere sich, klare Richtlinien und Vorgaben für die Weltkirche zu machen. Für Thomas Schüller, Direktor am Institut für Kanonisches Recht an der Universität Münster, war die Abschlussrede von Papst Franziskus geradezu ein „Fiasko“: Die Rede sei „das Ende des Pontifikats in dem Sinne, dass Franziskus nicht als Reformpapst in die Geschichte eingehen wird, sondern als Bewahrer“, betonte Schüller.
Die nigerianische Ordensschwester Veronica Openibo hatte den anwesenden Bischöfen und dem Papst ins Gewissen geredet: „Wir müssen uns eingestehen, dass uns unsere eigene Mittelmäßigkeit, Scheinheiligkeit und Selbstgefälligkeit an diesen schändlichen und skandalösen Punkt geführt haben, an der wir uns als Kirche befinden“, sagte die Nonne. Und sie warnte: „Zu oft wollen wir ruhig bleiben, bis der Sturm vorüberzieht! Aber dieser Sturm wird nicht vorüberziehen.“ Sie dürfte mit ihrer Prognose recht behalten.