zum Hauptinhalt
Die katholische Kirche will Missbrauchsfälle aufarbeiten. Ob sich etwas verändert, bleibt abzuwarten.
© Uwe Zucchi/dpa

Missbrauch in der Kirche: Was kann die Konferenz im Vatikan bewirken?

Die katholische Kirche will sich ab Donnerstag mit dem Thema Missbrauch auseinandersetzen. Die Opfer fordern Gerechtigkeit. Doch die Kirche ist gespalten.

Massenproteste in Irland und Chile gegen Missbrauch in der Katholischen Kirche, erschütternde Enthüllungen über Missbrauch von 300 Priestern in den USA – die Katholische Kirche steht massiv unter Druck. Als Reaktion auf die immer zahlreicheren Berichte von Opfern veranstaltet der Vatikan ab Donnerstag eine viertägige Bischofskonferenz zum Thema Missbrauch. Die Erwartungen sind hoch.

Wer trifft sich im Vatikan?

Die oberste Hierarchie der katholischen Kirche, insgesamt 190 Personen – darunter natürlich der Papst, die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen der Welt, Vertreter der römischen Kurie und andere Geistliche. Aus Deutschland kommt Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Allerdings sind nur zwölf Frauen zu dem Treffen geladen, was im Vorfeld für Kritik sorgte. Auch Missbrauchsopfer sind vor Ort, sie werden sich mit den Organisatoren aber hinter verschlossenen Türen treffen.

Ansonsten aber legt der Vatikan Wert auf größtmögliche Transparenz. Das ist auch dem Medieninteresse geschuldet. Mehr als 650 Medienvertreter sind akkreditiert. Ansprachen der Kardinäle sollen live im Internet übertragen werden, die Konferenz kann auf der Internetseite www.pcb2019.org verfolgt werden. Wie sehr der Vatikan begriffen hat, dass die Öffentlichkeit sensibilisiert ist, zeigt der Satz von Vatikan-Sprecher Alessandro Gisotti: „Es braucht den Einsatz aller, um diesem Monster in die Augen zu schauen.“

Welche Themen werden behandelt?

Grundsätzlich geht es um Prävention und die Aufarbeitung der Vergangenheit. Zum Auftakt der Konferenz werden die Teilnehmer gleich mit einem Missbrauchsopfer konfrontiert. In einem Video schildert dieses Opfer seine Leidensgeschichte. Am ersten Tag der Konferenz steht die Verantwortung der Bischöfe im Mittelpunkt.

Am zweiten Tag wird die Frage erörtert, wie Bischöfe, die Missbrauchsfälle vertuscht oder bei solchen Vorfällen zumindest weggeschaut haben, zur Rechenschaft gezogen werden können. Kardinal Marx wird am Sonnabend einen Vortrag über Transparenz halten. Anschließend will der Papst mit den Teilnehmern im Apostolischen Palast eine Bußliturgie feiern. Der Papst hält seine mit Spannung erwartete programmatische Rede am Sonntag nach der Messe.

Welche Erwartungen sind realistisch?

Wer auf bahnbrechende Veränderungen hofft, wird mit Sicherheit enttäuscht werden. Der Papst selbst gab schon mal Vorwarnung: „Die Erwartungen müssen reduziert werden“, sagte er vor kurzem auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Panama. Der Zölibat wird ganz bestimmt nicht komplett in Frage gestellt, auch die Frage nach den Machtstrukturen in der Kirche wird nicht völlig neu beantwortet werden.

Diese Machtstrukturen sind ja eines der großen Probleme der Katholischen Kirche. Pater Klaus Mertes, der 2010 den sexuellen Missbrauch am Berliner Canisisuskolleg an die Öffentlichkeit gebracht hatte, sagte in einem Interview mit der Katholischen Nachrichten Agentur (KNA): „Ist das monarchische Leitungsprinzip, das durch den Weihecharakter von Leitungsämtern theologisch besonders gewichtet ist, in der Lage, wirklich Machtmissbrauch aufzuklären?“

In der Katholischen Kirche gibt es derzeit keine unabhängigen Gremien oder Instanzen, die leitende Geistliche kontrollieren oder bewerten können. „Wir sind noch nicht angemessen interventionsfähig“, sagte Mertes. „Wir brauchen Strukturen, die Interventionen ermöglichen. Und das müssen die Bischöfe jetzt angehen.“ Ein bedeutsamer Erfolg dieser Konferenz wäre es schon, wenn die Bischöfe aus aller Welt für das Thema Missbrauch erheblich stärker sensibilisiert würden als bisher.

In den USA ist dieses Bewusstsein nach erschütternden Enthüllungen über Missbrauch durch Geistliche stark gestiegen. Bischöfe aus den Vereinigten Staaten wollten schon im November 2018 schnellstmöglich einen Maßnahmenkatalog und Verhaltensregeln veröffentlichen, wurden aber von dem kanadischen Kardinal Marc Ouellet gebremst.

Der Leiter der Bischofskongregation im Vatikan sagte, die US-Bischöfe sollten die Ergebnisse der Bischofskonferenz im Vatikan abwarten. Der Jesuit Thomas Reese schrieb deshalb in seiner Kolumne für das Presseportal „Religion News Service“: „Das Treffen kann zu einer Enttäuschung für die meisten Amerikaner werden, während die Universalkirche darin einen Erfolg sieht.“

Was fordern Vertreter der Opfer?

Endlich Gerechtigkeit, endlich Strafen für die Täter. Peter Isely, der Sprecher der Initiative „Ending Clergy Abuse“, betrachtet die Konferenz als „Tage des Sieges für die Betroffenen“. Die Opfer erwarten „null Toleranz“ gegenüber Tätern, und „null Vertuschung“ bei Missbrauchsfällen. Jeder Kleriker, egal wo er lebe, jeder Ordensangehöriger, der als Missbrauchstäter überführt worden sei, müsse aus dem Klerikerstand oder der Ordensgemeinschaft entlassen und staatlichen Behörden gemeldet werden. Zudem sollten jene leitenden Geistlichen bestraft werden, die Missbrauch vertuschten. Sollte ein Bischof oder ein Ordensleiter wegen Vertuschung zurücktreten oder entlassen werden, müsse dies als Grund angegeben werden.

Auch Matthias Katsch, der Sprecher der Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“, forderte die Katholische Kirche im Gespräch mit KNA auf, sich endlich ehrlich zu machen. „Ein Priester, der missbraucht, kann nicht länger Priester sein, und ein Bischof, der den Missbrauch vertuscht nicht länger Bischof“. Auch müssten die Bischöfe über Entschädigungen reden.

Wie verhält sich der Papst?

Er ist beim Thema „Umgang mit Missbrauch“ sanfter Antreiber und massiv Getriebener zugleich. Deutlich wie kein Papst vor ihm hat Franziskus die Fehler der Kirche angesprochen. In einem Brief an die gesamte Kirche schrieb der Argentinier im Jahr 2018: „Mit Scham und Reue geben wir als Gemeinschaft der Kirche zu, dass wir nicht dort gestanden haben, wo wir eigentlich hätten stehen sollen und dass wir nicht rechtzeitig gehandelt haben, als wir den Umfang und die Schwere des Schadens erkannten, der sich in so vielen Menschenleben auswirkte.“

Freilich reagierte der Papst damit unmittelbar auf den erschütternden Bericht einer Grand Jury im US-Bundesstaat Pennsylvania. Umfangreiche Untersuchungen hatten ergeben, dass mehr als 300 katholische Priester in den vergangenen Jahrzehnten mehr als 1000 Kinder missbraucht hatten.

Der Papst steht moralisch mit dem Rücken zur Wand. Massive Proteste in Chile und Irland gegen den Missbrauch durch Geistliche, der Missbrauchsskandal in den USA, Proteste in Deutschland – das alles zwingt die Katholische Kirche, und damit den Papst, dazu, sich dem Thema zu stellen. Dass Franziskus kurz vor der Konferenz den früheren US-Kardinal Theodore McCarrick aus dem Priesterdienst entlassen hat, darf als Symbol dafür gelten, dass er nun konsequenter durchgreift.

McCarrick wird Missbrauch, auch von Minderjährigen, vorgeworfen. Der Ex-Kardinal ist allerdings auch ein Symbol für den laschen Umgang des Papstes und des Vatikans mit dem Thema Missbrauch. Seit vielen Jahren gab es öffentlich Vorwürfe gegen McCarrick, trotzdem hatte ihn Franziskus noch für diplomatische Sondermissionen eingesetzt.

Warum schwenkt die Kirche nicht radikaler um?

Weil sie gespalten ist. Es gibt Länder beziehungsweise Bischöfe, die einen bedeutsamen Richtungswechsel fordern, und Länder, die an den Strukturen wenig ändern wollen, in denen das Thema Missbrauch weit weniger dramatisch gesehen wird als zum Beispiel in den USA oder in Deutschland. Zu den Ländern, die möglichst umfassende Änderungen wollen, gehören Belgien, Frankreich oder auch Österreich.

Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn hofft, dass bei dieser Konferenz „weltweit gleiche Standards in der katholischen Kirche beim Kampf gegen sexuelle Gewalt“ festgelegt werden. Der Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz, Erzbischof Georges Pontier, sagte französischen Medien, die Kirche könne ihre Fehler nicht länger kleinreden. Opfer bräuchten keine „dauernde Reue“, wenn nicht auch Taten folgten.

In streng katholischen Ländern wie Italien oder Polen ist der Veränderungswille erheblich geringer. Aber auch in einigen lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern, und zum Beispiel auch in Indien, ist von großem Veränderungswillen nichts zu spüren. Der Vorsitzende des Kinderschutzzentrums an der Päpstlichen Universität Gregoriana, Hans Zollner, sagte in einem Interview mit KNA: „In allen Erdteilen existieren andere Probleme – Kindersoldaten, Kinderarmut, Kinderarbeit und Ähnliches. In manchen afrikanischen Ländern herrscht das Empfinden, dass sexuelle Gewalt in einem größeren Kontext von Gewalt gesehen werden muss.“

Zollner bezeichnet die Konferenz als „Treffen zum Kinderschutz in der Kirche“. Beim Begriff „Missbrauchsgipfel“ zuckt er zusammen. Für dieses Wort hat er nur einen Kommentar: „unsäglich“.

Zur Startseite