Krieg in der Ukraine: Verzweifelter Appell aus Mariupol, neues Ultimatum aus Moskau – das geschah in der Nacht
Der ukrainische Präsident berichtet von einem massiven russischen Truppenaufmarsch im Osten. Die Lage in Mariupol ist dramatisch. Die Lage im Überblick.
Die Ukraine sieht sich im Osten des Landes mit einem massiven russischen Truppenaufmarsch konfrontiert. Russland setzt den Verteidigern der eingekesselten Stadt Mariupol eine weitere Frist. Die richten einen dramatischen Appell an die internationale Gemeinschaft.
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In Deutschland geht derweil die Debatte um die Lieferung schwererer Waffen weiter.
Die Ereignisse der Nacht im Überblick:
- Die Ukraine steht im Osten des Landes einem riesigen russischen Truppenaufmarsch gegenüber. „Jetzt ist praktisch der gesamte kampfbereite Teil der russischen Armee auf dem Territorium unseres Staates und in den Grenzgebieten Russlands konzentriert“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft, die in der Nacht zum Mittwoch auf Telegram veröffentlicht wurde. Die russische Seite habe „fast alle und alles, was fähig ist, mit uns zu kämpfen, zusammengetrieben“, sagte Selenskyj. Er forderte erneut Waffen.
- Nach Erkenntnissen des Londoner Verteidigungsministeriums verstärkt die russische Armee entlang der Demarkationslinie zum Donbass in der Ostukraine die Angriffe. Die Ukraine wehre aber zahlreiche Vorstöße russischer Truppen ab, teilte das britische Verteidigungsministerium am Dienstagabend unter Berufung auf Geheimdienstinformationen mit. Russische Fortschritte würden weiterhin durch das Gelände sowie logistische und technische Schwierigkeiten behindert. Dazu komme auch die Widerstandsfähigkeit der hochmotivierten ukrainischen Armee.
- Selenskyj sieht die Lage in der Hafenstadt Mariupol weiter als „so schwierig wie nur möglich“. Das russische Militär blockiere alle Versuche, humanitäre Korridore zu organisieren und ukrainische Bürger zu retten, sagte er in seiner Videobotschaft.
- Der ukrainische Kommandant Wolyna in Mariupol appellierte derweil „an alle Anführer der Welt, uns zu helfen“. Sie sollten die ukrainischen Soldaten herausholen und in einen Drittstaat bringen. Die Anlage des Konzerns Asow-Stahl, in der sich die ukrainischen Soldaten verschanzt hatten, hat zahlreiche unterirdische Tunnel. Nach Angaben des Stadtrats hielten sich dort auch mehr als 1000 Zivilisten auf. Die dort noch ausharrenden ukrainischen Truppen schilderten am frühen Mittwochmorgen ihre Lage in dramatischen Worten. „Wir sehen hier vielleicht unseren letzten Tagen, wenn nicht Stunden entgegen“, sagte der Marinekommandant Serhij Wolyna in einem Video bei Facebook. „Der Feind ist uns in einem Verhältnis von 10:1 überlegen.“
- Russland kündigte am Dienstagabend eine neue Frist für die in einem Stahlwerk verschanzten letzten Verteidiger in Mariupol an. Generaloberst Michail Misinzew kündigte eine einseitige Feuerpause samt „humanitärem Korridor“ aus dem Stahlwerk für Mittwoch, 14.00 Uhr Moskauer Zeit (13.00 Uhr MEZ) an. Im Zuge dieser Feuerpause könnten sich ukrainische Kämpfer ergeben und Zivilisten evakuiert werden, heißt es der Mitteilung des russischen Generaloberst. Russland will die strategisch wichtige Hafenstadt komplett unter Kontrolle bringen. Frühere Ultimaten an die Verteidiger ließen diese verstreichen.
- Aus der südukrainischen Großstadt Mykolajiw ist erneut Beschuss gemeldet worden. „Wieder Explosionen in Mykolajiw“, schrieb der Bürgermeister der Stadt, Olexander Senkewytsch, am frühen Mittwochmorgen auf Telegram. Über Schäden und Opfer gab es zunächst keine Angaben. Separatistische Gruppierungen der „Volksrepublik“ Luhansk vermeldeten unterdessen die Einnahme einer Kleinstadt im Gebiet Luhansk im Osten der Ukraine. Die Stadt Kreminna sei „vollständig“ unter Kontrolle der Einheiten der „Volksrepublik“, teilte die Luhansker „Volksmiliz“ am Dienstagabend auf Telegram mit. Laut der jüngsten Analyse des US-Kriegsforschungsinstituts ISW war der Vorstoß nach Kreminna die einzige russische Bodenoffensive binnen 24 Stunden, die „signifikante Fortschritte“ gemacht habe.
- Nach mehr als einem Monat Unterbrechung ist die direkte Kommunikation zwischen dem ehemaligen Kernkraftwerk Tschernobyl und der zuständigen ukrainischen Aufsichtsbehörde wiederhergestellt worden. Das teilte der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, am Dienstagabend unter Berufung auf Informationen der ukrainischen Atomaufsichtsbehörde mit. Grossi sagte, dies sei ein weiterer wichtiger Schritt im Prozess der Wiederaufnahme der behördlichen Kontrolle der Ukraine über Tschernobyl, wo sich heute verschiedene Entsorgungsanlagen für radioaktive Abfälle befänden.
- In Deutschland geht die Debatte um eine Lieferung schwerer Waffen auch nach der jüngsten Erklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weiter. Dem Grünen-Politiker Anton Hofreiter und der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gehen Scholz' Äußerungen vom Dienstagabend nicht weit genug. Auch der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk zeigte sich unzufrieden.
- Kanada will schwere Artilleriewaffen zur Verteidigung der Ukraine gegen den Angriff Russlands schicken. Das sagte Premierminister Justin Trudeau am Dienstag in New Brunswick. Details zu den Waffen und ihren Kosten sollen in den kommenden Tagen vorgestellt werden.
- Das US-Verteidigungsministerium teilte seine Einschätzung mit, dass die ukrainische Luftwaffe aktuell besser da stehe als vor zwei Wochen. Verbündete Staaten, die mit den gleichen Flugzeugtypen Erfahrung hätten, hätten den Ukrainern dabei geholfen, mehr Flugzeuge einsatzbereit zu machen, erklärte der Sprecher. „In diesem Moment haben die Ukrainer mehr Kampfflugzeuge zur Verfügung als noch vor zwei Wochen.“
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) geht nach aktuellen Berechnungen davon aus, dass mehr als fünf Millionen Menschen aus der Ukraine vor dem russischen Angriffskrieg ins Ausland geflohen sind. Hinzu kämen etwa 7,1 Millionen Menschen, die innerhalb der Ukraine ihr Zuhause verlassen hätten, sagte die stellvertretende UN-Hochkommissarin des UNHCR, Kelly Clements.
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