Münchner Sicherheitskonferenz: Verzweifelte Suche nach Gemeinsamkeiten
Angela Merkel und US-Vizepräsident Mike Pence beschwören auf der Sicherheitskonferenz, was keine Selbstverständlichkeit mehr ist: die deutsch-amerikanische Freundschaft.
Den Europäern ist ein bisschen bange vor dieser ersten Begegnung mit dem höchstrangigen Vertreter des US-Präsidenten Donald Trump. Doch auch Vizepräsident Mike Pence macht sich offenbar Sorgen, wie er aufgenommen wird. Das stellt die Psychologie dessen, was von dieser Münchner Sicherheitskonferenz erwartet wurde, gleich zu Beginn des Tages auf den Kopf.
Es ist kurz vor 9 Uhr morgens, als Wolfgang Ischinger, Chef der Veranstaltung, Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Mike Pence im Vorraum des Konferenzsaals miteinander bekannt macht. Pence ist seine sorgenvolle Wachsamkeit anzusehen.
Er hat Ehefrau Karen und eine seiner beiden Töchter mitgebracht. Handschlag und Smalltalk mit der Kanzlerin sollen so eine familiäre Note bekommen. Zwar sind Merkel und Pence sich zuvor nie begegnet, reden dann aber doch betont herzlich miteinander. Beide wollen vermeiden, dass ihr Treffen neue Gerüchte über einen Graben zwischen Amerika und Europa befördert.
Seit Donald Trump im Amt ist, ist nichts mehr sicher in der US-Außenpolitik, kann niemand sagen, worauf noch Verlass ist. So geraten auch Selbstverständlichkeiten zur großen Geste.
Pence ist besonders vorsichtig. Als Ischinger ihn vor seinem Auftritt fragt, ob er nach seiner Rede noch Fragen aus dem Publikum beantworten werde, winkt Pence ab. Der Vizepräsident hält eine Rede, keine Fragen. Das war auch die Abmachung vor acht Jahren, als der frisch ins Amt eingeführte Barack Obama seinen Vize Joe Biden sandte. Biden war dann aber spontan bereit, drei Fragen zu beantworten.
Pence erlaubt sich diese Freiheit nicht. Ist da etwa Angst zu spüren? Sorge darum, wie dieser Tag verlaufen, wie er dann dastehen wird? Das wäre bemerkenswert. Denn bisher stellen sich die Kräfteverhältnisse ganz anders dar. Viele hierzulande plagt die Furcht, Trump stelle die Beistandsgarantie in Frage, wenn die Europäer nicht wesentlich mehr zu ihrer Verteidigung beisteuern.
Ischinger dirigiert Merkel und Pence in den Saal. Alle Augen, alle Kameras richten sich auf die beiden. Der russische Außenminister Sergej Lawrow eilt auf Merkel und Pence zu. Die stehen auf und geben ihm die Hand.
Als Merkel ans Rednerpult tritt, brandet Beifall auf. Merkel ist populär, da kann Pence – der Neue, dessen Boss beträchtliches Misstrauen entgegenschlägt – nicht mithalten. „Danke, dass Sie jedes zweite Jahr nach München kommen“, sagt Ischinger. „Das letzte Mal direkt von einer durchverhandelten Nacht in Minsk im Februar 2015.“
Merkel lächelt. Die Kanzlerin hat ihre farbenfrohen Jackets in Rot- und Gelbtönen im Schrank gelassen und ein dezentes dunkelblaues Kostüm gewählt. Ihre Rede folgt einerseits den erwartbaren Wendungen angesichts des Ziels, die USA auch unter Trump auf ein uneingeschränktes Bekenntnis zur Nato festzulegen. Sie dankt für den Schutz im Kalten Krieg. Sie merkt listig an, dass eine verlässliche Nato nicht nur in Europas, sondern auch in Amerikas Interesse liege. „Wir werden uns mehr anstrengen. Aber wir vertrauen darauf, dass es ein gemeinsames Interesse ist.“
Es klingt fast wie eine Bedingung.
Andererseits stellt Merkel Überlegungen an, die weit über das Militärische hinausgehen. Und die sind erstaunlich selbstkritisch. Seit dem Ende des Kalten Kriegs 1990 zeichnen sich neue Ordnungsmuster ab: Europa ist zusammengewachsen. Die Schwellenländer sind aufgestiegen. Die Wirtschaftsleistung der Erde habe sich in den 25 Jahren bis 2015 verdreifacht, die der USA ebenfalls. Die EU sei ökonomisch nur aufs Doppelte gewachsen, falle also relativ zurück. Erst recht gegenüber China, dessen Wirtschaft heute 28 Mal so groß sei wie 1990. Chinas Anteil an der Weltwirtschaft sei von zwei auf 15 Prozent gestiegen.
Wegen solcher Dynamiken seien neue Formate wie die G 20 so wichtig. Im Sommer wird Deutschland ihr Gastgeber sein. Kein Staat könne die Probleme alleine lösen, man müsse multilaterale Organisationen stärken, sagt Merkel. Und schon ist sie in der Innenpolitik, im Wahlkampf. „Die Bürger fragen aber, ob Multilateralismus die Probleme löst.“ Manche reagierten mit dem Wunsch nach Abschottung und Protektionismus.
Die Kanzlerin hat ein Manuskript vor sich liegen. Sie blättert Seiten um. Aber eigentlich redet sie frei. Wenn sie Herausforderungen auflistet, zählen ihre Finger mit. Sie spricht im nüchternen Merkel- Stil. Der Brexit sei „schade, aber eine Tatsache“. Sie könne leider nicht berichten, dass das Minsker Friedensabkommen für die Ukraine umgesetzt werde.
Ob Minsk „tot“ sei, wird sie später gefragt. „Minsk ist das einzige, was wir haben“, entgegnet sie. Sie sei dagegen, etwas wegzuschmeißen, wenn man keinen Ersatz habe, aber es noch Hoffnung gebe. „Ich bin bereit, alle Kraft einzusetzen, Enttäuschungen hinzunehmen und weiter zu arbeiten.“ Da gibt es langen Beifall. Und ebenso, als sie Russland ruhig aber bestimmt die Schuld an den zerrütteten Beziehungen gibt. Russland habe die Krim annektiert und unterstütze den Krieg der Separatisten in der Ostukraine. „Deshalb müssen wir hier streng sein.“ Soll heißen: Keine Deals mit Putin. Donald Trump erwähnt sie nicht. Es weiß sowieso jeder, dass er gemeint ist.
Anders als Trump kleidet Merkel ihre Vorschläge in Fragen, statt sie wie Befehle klingen zu lassen. Warum können wir in Afrika nicht ein ähnliches Wirtschaftswachstum wie in Asien hinbekommen? Das wäre die beste Absicherung gegen Migrationsströme. Sind die muslimischen Staaten ausreichend in den Kampf gegen Terror einbezogen?
Doch eines fehlt in Merkels Rede: die emotionale Ansprache und ein bisschen Pathos. Sie merkt das selbst, aber da ist sie schon kurz vor dem Ende. „Dies ist ein Jahr, in dem wir alle spüren, dass etwas auf dem Spiel steht. Werden wir weiter gemeinsam agieren können, oder zieht sich jeder auf sich selbst zurück?“ Und mit Emphase: „Ich rufe dazu auf: Lassen sie es uns gemeinsam tun, dann geht es allen besser.“
Der Beifall ist lang. So lang, dass Merkel längst auf dem Sessel auf der Bühne sitzt, von dem aus sie Fragen aus dem Publikum beantworten soll.
Auf die Frage nach Trumps Kritik an den Medien und am deutschen Exportüberschuss erlaubt sie sich leisen Spott. „Ich habe Respekt vor der Pressefreiheit, damit sind wir gut gefahren“, antwortet sie dem Journalisten Stephan Kornelius. „Ich informiere mich im Wesentlichen aus deutschen Zeitungen, was Sie freuen wird.“ Was den Handel betreffe, sei sie „stolz, dass wir gute Produkte haben. Genauso wie die Amerikaner stolz sein können, dass sie gute Produkte haben. Vizepräsident Pence darf zufrieden sein mit der Zahl der iPhones hier im Raum.“ Und die Zahl deutscher Autos auf der 5th Avenue in New York sei doch gar nicht so groß. Eine kleine Stichelei gegen Trump, der genau das behauptet hatte.
Und Pence? Der tauscht gleich wieder Komplimente mit Merkel aus, als sie zu ihrem Platz in der ersten Reihe vor der Bühne zurückkehrt. Sie haben einige Anknüpfungspunkte. Beide sind ruhige Technokraten, keine extrovertierten Politiker, die permanent die große Show um sich suchen. Ihr Alter ist ähnlich. Pence ist 57, Merkel 62. Gewiss ist Pence in gesellschaftspolitischen Fragen deutlich konservativer: Abtreibung und die Homo-Ehe lehnt er ab. In der Alltags- und der Wirtschaftspolitik jedoch ist er ein Pragmatiker. Zehn Jahre saß er im Kongress, vier Jahre hat er den Bundesstaat Indiana erfolgreich regiert.
Zu den Unterschieden an diesem Tag zählt: Pence mag Pathos und nutzt es. Seine Rede konzentriert sich auf zwei Botschaften. Europa kann sich auf den Nato- Partner USA fest verlassen. Die Forderung nach mehr Geld für die Verteidigung ist aber ernst gemeint. Beides sage er „im Auftrag von Präsident Trump“.
Pence trägt einen dunklen Anzug, dazu eine Marienkäfer-Krawatte: rot mit schwarzen Punkten. Der Vizepräsident beginnt ernst. Auf den Tag vor hundert Jahren sind die USA in den Ersten Weltkrieg eingetreten. Viele Amerikaner hätten ihr Leben für Europa gelassen. Tausende US-Soldaten schützten Europa auch heute. „Amerika schickt euch unsere Besten und Tapfersten.“ Ohne zu zaudern „stehen wir heute und in aller Zukunft an Europas Seite“, um gemeinsame Werte wie, Frieden, Demokratie und Rechtsstaat zu schützen.
Pence war jahrelang Radiomoderator. Er redet ruhig und bestimmt, aber auch ziemlich schnell, ohne sich zu verhaspeln. Zwei Erfahrungen in Deutschland haben ihn geprägt. 1977, als er 18 war, habe er mit seinem älteren Bruder Berlin besucht. Erst den aufstrebenden Westteil voller Leben. Dann seien sie über Checkpoint Charlie in den Ostteil gegangen. Dort sah er Ruinen, graue Wände, es fehlte die Aufbruchsstimmung. Da habe er begriffen, vor welcher Wahl der Westen stehe. Ebenso unvergesslich sei ihm sein Besuch in Berlin zwei Wochen nach dem Terrorangriff auf New York 2001, als noch Rauch von Ground Zero aufstieg. „Drei Meter hoch“ stapelten sich die Blumen an der US-Botschaft: „duftende Belege der Trauer, des Zusammenhalts, der Gebete“.
„Eure Kämpfe sind unsere Kämpfe“, versichert Pence und leitet daraus zwei Verpflichtungen ab. Frieden und Wohlstand seien nicht garantiert. Die Bereitschaft, sie zu verteidigen, dürfe nie erlahmen. Zweitens „hängt Europas Sicherheit ebenso sehr von euch ab wie von Amerika“. Die USA seien bereit, in ihr Militär zu investieren. Doch wenn Europa seinen Teil nicht beitrage, „dann erodiert unser Bündnis“. Die zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, die die Europäer versprochen haben, aber nicht einhalten, seien das Minimum. Dann, sagt Pence, „liegen die besten Tage der Allianz noch vor uns“.
Auch ihm wird applaudiert. Freilich verhaltener als Merkel. Falls er Angst hatte, kann er jetzt beruhigt in die weiteren Gespräche hinter verschlossenen Türen gehen, zu denen diese Konferenz sich vor allem eignet. Pence berät anderthalb Stunden ohne Zuhörer mit Merkel. Danach trifft er Afghanistans Präsidenten, Iraks Regierungschef, die Staatsoberhäupter Estlands, Lettlands und Litauens, den Präsidenten der Ukraine und den Premierminister der Türkei. Am Sonntag geht das Kennenlernen bei der EU in Brüssel weiter.
In seiner Rede hat Pence gesagt, was die Europäer hören wollten: ein Bekenntnis zur Nato samt Sicherheitsgarantie. Manche beruhigt aber vor allem, was er nicht gesagt hat. Er hat, zum Beispiel, Trumps vernichtendes Urteil über das Atomabkommen mit dem Iran nicht übernommen. Doch er hat auch gesagt: „Wenn ihr uns vertraut, werden wir unter Präsident Trump euch vertrauen.“
Ist das seine Bedingung? Vertrauen in Trump als Preis für den Beistand?
Mike Pence hat die Europäer ein wenig beruhigt. Überzeugt, dass auf Donald Trump wirklich Verlass ist, hat er sie nicht.