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Bisher tragen die meisten Demonstranten weiter Masken.
© Tyrone Siu/Reuters
Update

Aktivisten scheitern vor Gericht: Verfügung gegen Vermummungsverbot in Hongkong abgelehnt

Das von Regierungschefin Lam erlassene Notstandsrecht hat Bestand – vorerst. Ein Gericht ließ eine ausführliche Prüfung zu. Am Sonntag gab es neue Demos.

Ein Gericht in Hongkong hat eine einstweilige Verfügung gegen das Vermummungsverbot abgelehnt, das am Freitag in einem Rückgriff auf koloniales Notstandsrecht erlassen worden war. Es ließ am Sonntag aber eine ausführliche gerichtliche Überprüfung zu, die Ende Oktober stattfinden soll. Für das prodemokratische Lager argumentierte die Verfassungsrechtlerin Gladys Li vor dem Gericht, dass Regierungschefin Carrie Lam ihre Exekutivgewalt überschritten habe, um am Parlament vorbei das Gesetz zu erlassen.

Gesetz stammt noch aus der Kolonialzeit

Auch hätte die Regierungschefin der autonomen chinesischen Sonderverwaltungsregion jederzeit das Parlament einberufen können, um das Gesetz zur Beratung und Annahme vorzulegen. Die Juristin argumentierte ferner, dass das aktivierte, fast 100 Jahre alte Notstandsgesetz aus der britischen Kolonialzeit im Widerspruch zu dem seit der Rückgabe der Kronkolonie 1997 an China geltenden Grundgesetz und der darin verankerten Gewaltenteilung stehe.

Die U-Bahn in Hongkong hat am Sonntag nach eintägiger Schließung ihren Betrieb wieder aufgenommen. Einige Stationen blieben aber aufgrund von Beschädigungen bei den teils gewalttätigen Demonstrationen vom Freitag noch geschlossen, teilte der börsennotierte Betreiber MTR mit. Die U-Bahn transportiert täglich etwa fünf Millionen Menschen. Auch Einkaufszentren und Supermärkte öffneten zumeist wieder, nachdem viele von ihnen am Samstag geschlossen blieben.

Nach der Entscheidung des Gerichts gingen zehntausende maskierte Demonstranten bei strömendem Regen auf die Straße.

Ein Augenzeuge berichtete, es habe keinen offensichtlichen Grund für den Einsatz von Tränengas gegeben, denn die Demonstranten auf dem Pazifik-Platz auf der Insel Hongkong hätten sich friedlich verhalten. Auch auf der Halbinsel Kowloon, die ebenfalls zur chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong gehört, war eine Großkundgebung geplant.

Die Proteste hatten vor rund vier Monaten als Widerstand gegen einen inzwischen zurückgezogenen Gesetzentwurf für Auslieferungen Beschuldigter an die Volksrepublik begonnen. Doch die Demonstranten sehen auch allgemeine Freiheiten gefährdet, die die ehemalige britische Kronkolonie genießt. Inzwischen richten sich die Proteste auch gegen die Regierung in Peking. Hongkong ist seit 1997 eine Sonderverwaltungszone der Volksrepublik.

Am Samstag verurteilte Lam in einer Videoansprache die "extrem entsetzliche Gewalt" der Aktivisten. Die Bürger hätten Angst nach dieser "sehr dunklen Nacht". Sie rief die Bevölkerung auf, sich von den "Randalierern" zu distanzieren. Doch in mehreren Vierteln Hongkongs setzten hunderte Aktivisten am Samstagnachmittag ihre Proteste fort und stellten damit unter Beweis, dass sie trotz des lahmgelegten U-Bahn-Netzes in der Lage sind, sich zu organisieren.

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Hosun Lee, einer der Demonstranten im Einkaufsviertel Causeway Bay, sah in dem Vermummungsverbot nur den "ersten Schritt". "Wenn wir nicht aktiv werden und uns wehren, könnte es sein, dass das Jahr 2047 bereits gekommen ist", sagte er der Nachrichtenagentur AFP. 2047 soll Hongkong seinen halbautonomen Status verlieren und vollständig in China eingegliedert werden.

Nicht überall verliefen die Proteste friedlich. Im Stadtteil Sheung Shui nahe der Grenze zu Festlandchina warfen maskierte Demonstranten die Fenster von chinesischen oder mutmaßlich pro-chinesischen Unternehmen ein. Dutzende Banken und Einkaufszentren blieben geschlossen. In den Supermärkten bildeten sich den ganzen Tag über lange Schlangen, da sich die Bewohner Hongkongs vorsorglich mit Lebensmitteln eindeckten.

UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet zeigte sich "beunruhigt" über die zunehmend gewalttätigen Proteste. "Ich verurteile nachdrücklich Gewalttaten von allen Seiten", sagte sie. Mit Blick auf das Vermummungsverbot betonte sie aber auch, dass jede Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtlich begründet und angemessen sein müsse. (dpa, Reuters, AFP)

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