zum Hauptinhalt
Nach der Verkündigung des Vermummungsverbots kam es in Hongkong erneut zu gewalttätigen Protesten gegen die Regierung - und festlandchinesischen Banken.
© REUTERS/Athit Perawongmetha

Notstandsgesetz in Hongkong erlassen: Massive Proteste gegen das Vermummungsverbot – auch gewalttätig

Niemand weiß, wie der Notstandserlass von Regierungschefin Lam durchgesetzt werden soll. Sogar die Polizei warnt. Das Oberste Gericht wies einen Einwand ab.

Es war nur eine Frage der Zeit. Dass die Regierung von Hongkong nun ein Vermummungsverbot erlassen hat, ist der Versuch, Kontrolle über die Sonderverwaltungszone wiederzubekommen. Nachdem die Proteste am Dienstag zum Nationalfeiertag der Volksrepublik China eskalierten und ein 18-jähriger Schüler von Polizisten in die Brust geschossen wurde, greift die Regierung in Hongkong auf ein altes Notstandsgesetz, das noch aus der Kolonialzeit stammt, zurück.

Zuletzt setzte die britische Kolonialmacht das Gesetz 1967 ein

Das Notstandsgesetz wurde 1922 erlassen und ist seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht mehr angewandt worden. Zuletzt griffen britische Kolonialherren 1967 bei Unruhen und Protesten prokommunistischer Kräfte auf dieses Gesetz zurück.

Die Entscheidung rief am Freitagabend in Hongkong erneute Proteste der Demokratie-Bewegung hervor, die auch in massive Gewalt umschlugen. Unter anderem setzten die Demonstranten nach Informationen der „South China Morning Post“ einen U-Bahn-Eingang, festlandchinesische Banken und einen Zug in Brand. Die Regierung lies den gesamten U-Bahnverkehr in der Stadt mit sieben Millionen Einwohnern am Abend einstellen.

Die Internetzeitung „Hong Kong Free Press“ berichtete, dass ein Polizist, der sich nicht im Dienst befand, einem 14 Jahre alten Demonstranten in die Hüfte geschossen habe. Der Beamte wurde daraufhin von Demonstranten geschlagen und mit zwei Brandbomben beworfen. Die Polizei begründete den Schuss mit Lebensgefahr für den Beamten.

Ab Mitternacht am Freitag (Ortszeit) wird es nicht mehr erlaubt sein, sich bei öffentlichen Versammlungen zu vermummen. Dies hat Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam nun mit dem Kabinett in der ehemaligen Kronkolonie beschlossen und auf einer Pressekonferenz so kommentiert: „Wir glauben, dass das neue Gesetz eine abschreckende Wirkung auf maskierte gewalttätige Demonstranten und Randalierer haben und die Polizei bei der Strafverfolgung unterstützen wird.” Bis zu einem Jahr Gefängnisstrafe droht demjenigen, der sich künftig weiter vermummen sollte. Eine von Aktivisten beantragte einstweilige Verfügung gegen das Vermummungsverbot lehnte das Oberste Gericht noch am Abend ab, wie die „South China Morning Post“ berichtete.

Erlass soll am 16. Oktober auch formal zum Gesetz werden

Lam weiß genau um die Zwiespältigkeit des Gesetzes und unterstrich: „Es bedeutet nicht, dass Hongkong im Notstand ist.“ Und sie betont, dass dies auch nicht geplant ist.

Denn das wäre womöglich verhängnisvoll für den Wirtschaftsstandort und Finanzplatz Hongkong. Die seit mehr als vier Monaten andauernden Demonstrationen führten der US-Investmentbank Goldman Sachs zufolge bis Ende August dazu, dass bis zu vier Milliarden Hongkong-Dollar Kapital ins nahe liegende Singapur umgeschichtet worden ist.

Eine prodemokratische Demonstrantin trägt eine Maske.
Eine prodemokratische Demonstrantin trägt eine Maske.
© Vincent Thian/AP/dpa

Am 16. Oktober tagt das Hongkonger Parlament. Dann soll der Erlass formal zum Gesetz werden. Doch die Umsetzung wird ein weiterer Kraftakt für die Polizei in der Sonderverwaltungszone werden, die mit den Demonstrationen schon bisher häufig überfordert war. Es steht nicht zu erwarten, dass sich die Demonstranten an das neue Gesetz halten werden. Schließlich setzen sich bereits seit mehr als vier Monaten über die Demonstrationsverbote hinweg.

Praktisches Problem: Atemschutzmasken in Asien üblich

Es gibt auch rein praktische Probleme bei der Durchsetzung: Das Tragen von Atemschutzmasken ist in Asien üblich, um sich vor ansteckenden Krankheiten oder einfach nur schlechter Luft zu schützen. Häufig tragen auch junge Leute Masken, um ihren Pop- oder Schauspieler-Idolen nachzueifern, die sich vermummen, um sich vor den Blicken ihrer Fans zu schützen. Die Aktivisten in Hongkong trugen bisher neben Atemschutzmasken auch eng sitzende Brillen, um sich gegen das Tränengas und Gummigeschosse zu schützen. Die Polizei setzte beides zuletzt vermehrt ein, um die Menschenmengen zu zerstreuen.

Am Freitag gingen erneut tausende Demonstranten auf die Straße. Sie wollen, dass alle ihrer fünf Forderungen umgesetzt werden. Dazu gehören neben dem schon von Carrie Lam am 4. September zurückgezogenen Auslieferungsgesetz, auch die freie Wahl ines Regierungschefs und des Parlaments der Sonderverwaltungszone.

Außerdem sollen die Proteste nicht als „Aufstand“ bewertet werden, da den Verurteilten sonst bis zu zehn Jahre Gefängnis drohen könnte. Zudem sollen die Zusammenstöße mit der Polizei bei den bisherigen Demonstrationen durch eine unabhängige, von Richtern geführte Kommission untersucht werden. Der letzte Punkt des Forderungskatalogs ist, dass alle strafrechtlichen Anklagen gegen Verhaftete fallen gelassen werden sollen.

Weitere Texte zu China und Hongkong:

Lam hat schon Ende September bei einer öffentlichen Debatte mit Bürgern wenig Empathie für die Belange der Bürger und den fünf Forderungen der Demokratiebewegung gezeigt. So widersetzte sie sich der Forderung nach einer unabhängigen Kommission und betonte, dass die Polizei dies selbst angehen werde.

Ausgerechnet Stimmen aus der Polizei richten sich gegen das Vermummungsverbot. Ein Inspektor, der nicht namentlich genannt werden wollte, sagte gegenüber der Hongkonger Zeitung South China Morning Post: „Wenn das Gesetz beschlossen wird, würde ein Demonstrant, mit  Maske, als jemand gesehen werden, der die Polizei provoziert und nach Ärger sucht. Dies würde definitiv mehr Konflikte erzeugen.“ Offen bleibt auch, ob eine Kriminalisierung der Demonstranten eine Befriedung in der Situation herbeiführen wird. (mit dpa)

Ning Wang

Zur Startseite