Feier in Peking, Ausschreitungen in Hongkong: „Herzlichen Glückwunsch, Mutterland!“
In Peking feiert sich die Volksrepublik China, in Hongkong protestieren Zehntausende. Ein Demonstrant wird durch einen Polizeischuss schwer verletzt.
Überschattet von schweren Ausschreitungen in Hongkong hat die Volksrepublik China ihren 70.Gründungstag mit der größten Waffenschau ihrer Geschichte gefeiert. An der riesigen Militärparade am Dienstag am Platz des Himmlischen Friedens in Peking nahmen 15000 Soldaten teil. Rund 580 Panzer und anderes modernes Kriegsgerät wurden gezeigt. 160 Flugzeuge überflogen die Parade. Über die Straße des Ewigen Friedens rollten neue Interkontinentalraketen, die nuklear bestückt in einer halben Stunde die USA erreichen können.
Mit der gigantischen Truppenschau demonstrierte die kommunistische Führung militärische Stärke und ihren Machtanspruch in der Welt. „Es gibt keine Macht, die die Grundlagen dieser großen Nation erschüttern kann“, sagte Staats- und Parteichef Xi Jinping in einer Rede. Es wurde auch als Hinweis auf den Rivalen USA und den Handelskrieg der beiden größten Volkswirtschaften verstanden. „Keine Macht kann den Fortschritt des chinesischen Volkes und der Nation aufhalten.“
Trotz eines Demonstrationsverbotes protestierten in Hongkong Zehntausende friedlich gegen ihre Regierung und den langen Arm der chinesischen Führung in Peking. Im Anschluss kam es wieder zu Zusammenstößen zwischen radikalen Demonstranten und Polizeikräften. Aktivisten blockierten Straßen, warfen Pflastersteine und Brandsätze. Die Beamten setzten Tränengas und Wasserwerfer ein.
Erstmals wurde ein Demonstrant mit scharfer Munition niedergeschossen und schwer verletzt. Die Polizei gab am Abend an, Warnschüsse abgegeben zu haben. Auf einem Video im Internet ist allerdings eine Kampfszene zwischen Demonstranten und Polizisten zu sehen. Ein Polizist stürmt dabei mit gezogener Waffe auf mit Stangen bewaffnete Demonstranten los, um einem am Boden liegenden Kollegen zu helfen, der von den Demonstranten angegriffen wird. Der Polizist tritt dabei auch einen der Angreifer. Daraufhin schlägt ihn ein junger Mann mit einer Stange – der Polizist feuert dem Demonstranten aus nächster Nähe eine Kugel in die Brust.
Der Demonstrant wurde nach Angaben der „South China Morning Post“ in kritischem Zustand in ein Krankenhaus eingeliefert. Er soll ein Schüler einer Hongkonger Schule sein. Insgesamt wurden mehr als 30 Menschen verletzt. Nach Informationen der prodemokratischen Tageszeitung Ming Pao soll auch andernorts in Hongkong ein als Demonstrant verkleideter Polizist einen Schuss auf einen Demonstranten abgefeuert haben.
Mit Blick auf die seit fünf Monaten anhaltenden Proteste für Demokratie und Freiheit forderte Xi Jinping „langfristige Stabilität“ in Chinas Sonderverwaltungsregion. Er bekräftigte den Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“, nach dem die frühere britische Kronkolonie autonom regiert wird. Er nannte auch das demokratische Taiwan, das Peking als Teil der Volksrepublik ansieht: Der „Kampf für eine vollständige Wiedervereinigung“ müsse fortgesetzt werden.
In einer schwarzen Limousine des Typs „Rote Flagge“ stehend nahm Xi Jinping als Oberkommandierender die Truppenparade ab. Als Zeichen der Stärke wurden bei der 80-minütigen Parade erstmals die mächtige Interkontinentalrakete „Dong Feng 41“, ein neuer Langstreckenbomber, ein Hyperschallgleiter und Drohnen gezeigt – alle aus eigener Produktion. Die Armee werde entschieden „Chinas Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen schützen“, sagte Xi Jinping.
Auch Hongkongs Regierungschefin sah die Parade in Peking
Beim zweiten Teil der Parade, einer Darstellung der chinesischen Geschichte, winkte Xi Jinping immer wieder sichtlich gerührt der vorüberziehenden Menge zu. Singende Kinder in traditioneller Schuluniform mit rotem Tuch gehörten genauso zur Staffage des mehrstündigen Umzugs als auch aufwendig dekorierte Festwagen und kostümierte Helfer, die die Meilensteine Chinas seit 1949 darstellen sollten. Dazu passten Xis Worte aus seiner Eingangsrede: „Das China von gestern ist schon in die Menschheitsgeschichte eingraviert.“
Xi Jinping ist seit 2012 Parteichef und seit 2013 auch Staatschef der Volksrepublik, inzwischen sogar auf Lebenszeit. Auch die ehemaligen Staatschefs Hu Jintao und der 93-jährige Jiang Zemin begrüßten die Öffentlichkeit auf dem Tor des Himmlischen Friedens.
Auch Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam war in zweiter Reihe auf den Rängen hinter Xi Jinping zu sehen. Sie wollte mit ihrer Teilnahme an den Feierlichkeiten das Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ unterstreichen. Auch Xi Jinping sprach darüber in seiner Rede und forderte „langfristige Stabilität“ für die Sonderverwaltungszone und demonstrierte damit vor allem Entschlossenheit. Auf einem Festwagen zum Thema Hongkong riefen die jungen Menschen: „Herzlichen Glückwunsch Mutterland!“
Aus dem Ausland nahm kein Staatschef an den Feierlichkeiten in Peking teil. Russland sandte ein Glückwunschschreiben. Zwar beendet Xi seine Rede mit den Worten: „Lang lebe das Volk der Volksrepublik China.“ Doch viele Menschen hatten überhaupt keinen Zugang zu den Feierlichkeiten. In Peking durften Bewohner nahe der Paraderoute ihre Fenster nicht öffnen und auch nicht auf ihre Balkone gehen. Nur geladene Staatsgäste hatten Zugang. Dennoch hat es die Partei geschafft, die Bilder eines starken Chinas zu verbreiten. Damit diese Bilder bei der Bevölkerung auch ankommen, wurden vor dem Beginn des Feiertags 620 000 TV-Geräte ans Volk verteilt. (mit ben/dpa)
Ning Wang