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Unverdrossen. Hans-Georg Maaßen weist den Vorwurf, er benutze antisemitische Stereotype, als "Blödsinn" zurück. Aber auch Verfassungsschützer murren
© imago images/ari
Update

Weiter Kritik an CDU-Bundestagskandidaten: Verfassungsschutzchef Kramer vergleicht Maaßen mit AfD-Mann Höcke

Der Konflikt zwischen Stephan Kramer und Hans-Georg Maaßen spitzt sich zu. Maaßen sieht parteipolitischen Missbrauch des Thüringer Verfassungsschutzes.

Erstmals hat sich mit Stephan Kramer der Chef einer Verfassungsschutzbehörde zu Antisemitismusvorwürfen gegen den früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Thüringer CDU-Bundestagskandidaten Hans-Georg Maaßen geäußert.

Der Thüringer Verfassungsschutzchef sagte dem Tagesspiegel: „Herr Maaßen ist in Thüringen derzeit aktiv und fällt somit auch in meinen Zuständigkeitsbereich.“ Er hätte sich gewünscht, dass „insbesondere die Antisemitismusbeauftragten sich der Bewertung angenommen hätten“, sagte Kramer.

Maaßen benutze „klassische antisemitische Stereotype“, verwende „doppeldeutige Begriffe“. Derlei sei bereits bekannt vom Thüringer AfD-Chef Björn Höcke oder von AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland und „eine beliebte Methode der Neuen Rechten“.

Anfang Mai hatte die Klimaaktivistin und Grünen-Anhängerin Luisa Neubauer in der ARD-Talkshow „Anne Will“ Maaßen Antisemitismus vorgeworfen, der wies das zurück. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet stellte sich hinter ihn.

Doch Kramers Urteil dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl ist deutlich. Er stützt sich auch auf einen Essay von Maaßen und einem Co-Autor im neurechten Magazin „Cato“. Sie machen darin eine gesteuerte Zerstörung gewachsener Traditionen und Nationalkulturen aus.

Verantwortlich dafür: „Die sozialistischen und die globalistischen Kräfte scheinen sich verbündet zu haben.“ Die wollten im Namen von Gerechtigkeit, Gleichheit oder Ökologie „eine neue Weltordnung radikal“ verwirklichen.

Für den Wirtschaftsliberalismus gehe es um die Rechtfertigung, „globale Profite zunehmend auf einige tausend Familien zu konzentrieren“. Beide verbinde „eine tiefe Verachtung für normale, regional verwurzelte Menschen“, deren Traditionen und Lebensstile, sogar den Fleischverzehr.
Kramer sieht darin klare antisemitische Muster: „Globalisten ist ein rechtsextremer Code.“ Zudem verwende Maaßen den verschwörungsideologischen Begriff der „neuen Weltordnung“. Dabei geht es um die Vorstellung einer totalitären globalen Regierung einer internationalen Elite, die die Menschheit versklavt.

Maaßen teilt gegen Kramer aus

Maaßen ist genervt. „Der Vorwurf, ich würde mich klassischer antisemitischer Stereotype bedienen, ist Blödsinn“, sagte er dem Tagesspiegel. „Und das Schlimme ist, dass Herr Kramer das weiß.“ Maaßen betont, "hierzu habe ich mich in den letzten zwei Wochen mehrfach in Interviews geäußert.

Der Ex-Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz holt zum Gegenschlag aus. Er verurteile „ausdrücklich, dass die SPD das Landesamt für Verfassungsschutz unter Herrn Kramer, der bis vor kurzem SPD-Bundestagskandidat war, für parteipolitische Zwecke missbraucht“, sagte Maaßen. Dass ihm im Thüringer Wahlkampf Kramers Vorwürfe schaden, glaubt Maaßen nicht.

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Andere Verfassungsschützer, die allerdings ungenannt bleiben wollen, reagieren gemischt auf die Kontroverse zwischen Kramer und Maaßen. Keiner, mit dem der Tagesspiegel sprach, hält Maaßen für eine ausgewiesenen Antisemiten. Einer betont, „wenn man spitzfindig argumentiert, ist man nicht automatisch Antisemit“.

Dennoch ist Unmut zu spüren. Gerade Maaßen als ehemaliger Verfassungsschützer wisse genau, welche Begriffe er benutze und wann Nähe zu extremistischem Vokabular entstehen könne, heißt es. Das unterscheide einen erfahrenen Sicherheitsexperten von einem Politiker, „dem womöglich im Eifer missverständliche Worte rausrutschen“. Wenn Maaßen dennoch mit problematischen Begriffen provoziere, „hat das ein Geschmäckle“.

"Die Leute denken, wir ticken wie Maaßen"

Kramer sagte: „Maaßens Äußerungen und Aktionen strahlen leider auch immer auf den Verfassungsschutz aus.“ Das sei „zunehmend ärgerlich, weil es ein falsches Bild vermittelt“. Dem gelte es, „öffentlich zu widersprechen“. Das sehen andere Verfassungsschützer ähnlich.

„Maaßen hat dem Ruf des Verfassungsschutzes geschadet“, sagt einer. Zu hören ist auch, „viele Leute denken, so wie Maaßen tickt, ticken wir auch“. Daher wachse die Gefahr, dass der Nachrichtendienst wie nach dem NSU-Schock „in eine anrüchige Ecke gerät“. Ein Verfassungsschützer sagt: „Warum können die Medien nicht jemanden, der in die Versenkung gehört, im Thüringer Wald verschwinden lassen?“

„Wahnhafte Vorstellung einer gefährlichen leninistischen Zersetzungsstrategie“

Wie Kramer sieht es auch der Politikwissenschaftler Gideon Botsch. Er ist Leiter der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus am Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam.

Er attestiert Maaßens Aussagen eine „inhaltliche Nähe  zur offiziellen Programmatik der AfD und zu programmatischen Reden ihrer Integrationsfigur Gauland“. Über Maaßens Publikation sagt Botsch: „Aus Sicht der Antisemitismusforschung kann es keinen Zweifel geben, dass hier antisemitische Motive bedient werden. Insofern traf Luisa Neubauers Vorwurf durchaus den Kern. “Aus Sicht von Extremismusforscher Botsch „paraphrasiert Hans-Georg Maaßen auf sehr unoriginelle Weise den Ehrenvorsitzenden der AfD, Alexander Gauland“. 

Gauland habe bereit 2018 fast identische Gedanken publiziert wie nun Herr Maaßen im neurechten Cato-Magazin.Bei Gauland sei der sei der „antisemitischen Gehalt sehr schnell erkannt und kritisiert und sogar Parallelen zu Hitler-Reden gezogen“ worden. Bei Gauland werde „die gezielte Ansprache eines Publikums mit antisemitischen Grundeinstellungen“ deutlich. Es gehe um „Vorurteile und Konspirationserzählungen, die nun auch Maaßen aufgreift“. Wenn Maaßen tatsächlich nicht wissen sollte, dass er antisemitische Stereotype anspreche, „fragt sich umso mehr, was ihn für das Amt des Verfassungsschutzpräsidenten qualifiziert hat“, sagte Botsch.

„Ich fürchte allerdings", erklärte der Wissenschaftler, "dass es sich nicht nur um eine taktische Ansprache handelt, sondern dass Hans-Georg Maaßen von der wahnhaften Vorstellung einer gefährlichen ,leninistischen Zersetzungsstrategie‘ ernsthaft ergriffen ist.“

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