zum Hauptinhalt
AfD-Parteichef Tino Chrupalla
© Kay Nietfeld/dpa
Update

Rückschlag für die radikal rechte Partei: Verfassungsschutz darf AfD als Verdachtsfall einstufen

Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einordnen. Eine entsprechende AfD-Klage wurde abgewiesen.

Es sind die Aktenordner, die schon am Morgen zeigen, welches Ausmaß dieses Verfahren hat. Zu Dutzenden stehen sie am Dienstag aufgereiht im Kristallsaal der Kölner Messe unter den riesigen Kronleuchtern. Mehr als 100 dicke Ordner, 32 DVDs und noch einmal 5500 Seiten, so heißt es, habe das Gericht gesichtet im Hauptteil dieses komplexen Verfahrens zwischen der AfD und dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Verhandlung in Köln ist einer der wichtigsten Termine in der Geschichte der radikal rechten Partei.

Nach zehn Stunden Verhandlung ist für die AfD klar: Sie geht mit einer großen Niederlage aus dem Saal, aber auch mit zwei kleinen Teilerfolgen.

Das wichtigste Ergebnis: Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) darf die AfD als rechtsextremen „Verdachtsfall“ einstufen. Die entsprechende Klage der AfD dagegen hat das Gericht abgewiesen. Es gebe „ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei“, erklärte das Gericht. Die Einstufung als „Verdachtsfall“ macht eine Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln möglich, etwa den Einsatz von V-Leuten aber unter Umständen auch das Abhören von Telefonen oder Mitlesen von Nachrichten.

[Alle aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg können Sie hier in unserem Newsblog verfolgen.]

Der Verfassungsschutz kann zwar noch nicht sofort damit beginnen. Es ist noch ein Eilverfahren in dieser Sache anhängig, das der Verfassungsschutz abwarten muss. Zudem kann die AfD gegen das Urteil Berufung einlegen. Dennoch ist die Entscheidung für die AfD ein herber Rückschlag.

Im Laufe des Verfahrens hatte das BfV unter anderem argumentiert:

  • Zwar sei der extrem rechte „Flügel“ um Björn Höcke formal aufgelöst worden, seine Protagonisten übten aber weiter maßgeblichen Einfluss aus. Selbst aus der Partei ausgeschlossene Funktionäre wie der „Flügel“-Strippenzieher Andreas Kalbitz verfügten weiter über Rückhalt in der AfD. So sei Kalbitz nach wie vor Mitglied der Brandenburger Landtagsfraktion.
  • Rücktritt und Austritt von Ex-Parteichef Jörg Meuthen zeigten, „dass sich der ,Flügel‘ mehr und mehr durchsetze und einen wachsenden Einfluss“ habe.
  • Auch Aktivitäten der Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) seien in die Bewertung eingeflossen. Diese hätte etwa eine nächtliche Ausgangssperre für männliche Flüchtlinge gefordert.
  • Sowohl im „Flügel“ als auch in der JA herrsche ein ethnisch verstandener Volksbegriff vor. Dieser stehe im Widerspruch zum Volksbegriff des Grundgesetzes.
  • Auch innerhalb der Gesamtpartei sei ein solches ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis zu finden. Als Beispiel wurde der unter anderem von Fraktionschefin Alice Weidel verwendete Begriff „Passdeutsche“ angeführt. Dies sei eine Herabwürdigung von Menschen, die zwar einen deutschen Pass hätten, aber nicht als „vollwertige Deutsche“ akzeptiert würden.

Neben der Entscheidung, dass der Verfassungsschutz die AfD als „Verdachtsfall“ einstufen darf, wies das Gericht am Dienstag noch eine weitere Klage der AfD ab. Die AfD hatte versucht, sich dagegen zu wehren, dass das BfV die „Junge Alternative“ als „Verdachtsfall“ einstuft. Diese Einstufung ist nach Ansicht des Gerichts aber ebenfalls zulässig.

Existenz des „Flügels“ nicht ausreichend belegt

In zwei Klageverfahren war die AfD vor Gericht in Köln zumindest zum Teil erfolgreich: So darf das BfV den „Flügel“ um Björn Höcke zwar als „Verdachtsfall“ einstufen, aber nicht als gesichert extremistische Bestrebung. Grund dafür ist, dass über die Existenz des „Flügels“ keine Gewissheit besteht. Die Strömung hatte sich Ende April 2020 auf Druck des AfD-Bundesvorstands aufgelöst. Die vorgelegten Erkenntnisquellen für das Fortbestehen der Strömung reichten dem Gericht aber nicht.

Auch einen weiteren kleinen Teilerfolg erzielte die AfD: Das BfV darf nicht weiter öffentlich mitteilen, dass der „Flügel“ 7000 Mitglieder habe. Das Bundesamt hatte diese Zahl auf Grundlage von Aussagen von führenden AfD-Funktionären geschätzt. Das Gesetz verlange dafür aber „hinreichend gewichtige“ tatsächliche Anhaltspunkte, so das Gericht.

Herunterspielen als Methode

Die Strategie des Prozessbevollmächtigten der AfD, Christian Conrad, war es, den Einfluss des „Flügels“ in der Gesamtpartei herunterzuspielen. Dieser spiele überhaupt keine Rolle in der AfD, erklärte er. Ohnehin bestehe der „Flügel“ nur aus dem Thüringer Landesvorsitzenden Höcke und einer Hand voll weiterer Personen.

Zudem bemühte sich Conrad, die zahlreichen Belege, die das Bundesamt als Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen anführte, als nichtig darzustellen. Das Bundesamt reiße diese aus dem Kontext, interpretiere sie, bilde Hypothesen. Die BfV-Seite hielt dem entgegen, es gebe hunderte von klaren, eindeutigen Belegen, an denen es nichts zu deuten gebe.

Das Gericht kam zu dem Schluss, die Einschätzung des BfV beruhe auf einer nicht zu beanstandenden Gesamtbetrachtung. Es stellte auch fest: Derzeit befinde sich die AfD in einem Richtungsstreit, bei dem sich die verfassungsfeindlichen Bestrebungen durchsetzen könnten. Richter Michael Huschens machte deutlich, dass der Verfassungsschutz ein „Frühwarnsystem“ sei. Eine wehrhafte Demokratie dürfe nicht warten, „bis das Kind in den Brunnen“ gefallen sei.

AfD-Chef Tino Chrupalla zeigte sich insgesamt vom Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts zur Einstufung seiner Partei als Verdachtsfall überrascht. „Wir teilen die Auffassung des Gerichts nicht. Wir werden jetzt die schriftliche Urteilsbegründung abwarten“, sagte er am Dienstagabend in Köln. Natürlich sei er auch enttäuscht. „Ist ja ganz klar.“

Öffentlich zugängliche Quellen wie Facebook-Beiträge ausgewertet

Im Vorfeld der Verhandlung hatte die AfD einen kleinen Zwischenerfolg erringen können. 2019 hatte das Bundesamt die AfD zunächst als sogenannten Prüffall eingestuft. Fortan wertete die Behörde öffentlich zugängliche Quellen wie Facebook-Beiträge oder Reden aus. Schließlich mündeten die Erkenntnisse in ein 1001 Seiten dickes Gutachten. Darin werden hunderte Äußerungen von Parteifunktionären aufgeführt. Das BfV kam zu dem Schluss: Es lägen „tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür vor, dass die AfD gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt.

Als im Januar 2021 bekannt wurde, dass der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremer Verdachtsfall einstufen wird, versuchte die Partei dem zuvorzukommen. Sie reichte Klage ein und strengte ein Eilverfahren an. Sie wollte verhindern, dass der Verfassungsschutz die AfD als Verdachtsfall behandelt oder das öffentlich bekannt gibt. Es drohe ein nicht wiedergutzumachender Schaden im politischen Wettbewerb, argumentierte die AfD.

Das Bundesamt gab bei Gericht eine Stillhaltezusage ab. Als aber im März mehrere Medien darüber berichteten, dass das Bundesamt für AfD als Verdachtsfall eingestuft hat, sah das Gericht das als Vertrauensbruch. Es untersagte dem Bundesamt, bis zum Abschluss des Eilverfahrens die AfD als „Verdachtsfall“ einzustufen und eine Einstufung als Verdachtsfall erneut bekanntzugeben.

Das Ergebnis dieses Eilverfahrens wird nun voraussichtlich zeitgleich mit der schriftlichen Urteilsbegründung verkündet werden. Die AfD kann Beschwerde einlegen.  (mit dpa)

Zur Startseite