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Yanis Varoufakis am Dienstag in Berlin.
© REUTERS / Fabrizio Bensch

DiEM 25 in der Volksbühne: Varoufakis vertraut vor allem auf das eigene Charisma

Vertreter der alten und neuen europäischen Linken stützen den Wunsch des früheren griechischen Minister für eine neue Demokratiebewegung in Europa. Wie die sich praktisch organisieren soll, bleibt dabei offen.

Die Show ist perfekt inszeniert. Noch bevor der Mann des Abends die Bühne betritt, wird das Publikum per Video eingestimmt. Untermalt von der dramatischen Musik des Komponisten Brian Eno erzählen schnell geschnittene Bilder und Grafiken die zentrale Botschaft. Europas Politikelite, also Angela Merkel, Jean-Claude Juncker, Mario Draghi, Jeroen Dijsselbloem und all ihr Gefolge, „zerstören Europa“. Ihre Politik erzeugt erst den wirtschaftlichen Niedergang, wird dann autoritär und führt schließlich zum Rückfall in den Nationalismus. Im grellen Scheinwerferlicht erscheint anschließend die Lichtgestalt, die den Ausweg weist: Yanis Varoufakis, der Ex-Finanzminister aus Athen, und Idol für all jene, die dem Niedergang der europäischen Idee nicht tatenlos zusehen wollen.

So begann am Dienstagabend in der bis zum letzten Stehplatz gefüllten Berliner Volksbühne die feierliche Ausrufung jener pan-europäischen Bewegung, mit der Varoufakis und ein gutes Dutzend Unterstützer sich der Desintegration der Europäischen Union entgegenstellen wollen. Der so formulierte Anspruch könnte größer nicht sein. Der EU  drohe „der Zerfall“ und eine „postmoderne Variante der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts“, warnte Varoufakis. Der „Rückzug in den Kokon des Nationalstaates“ biete keinen Ausweg, sondern werde nur „Rechtpopulisten und Faschisten an die Macht bringen“. Darum gelte es nun, „in allen europäischen Ländern gleichzeitig“ die Menschen für eine radikale Demokratisierung der EU-Institutionen zu mobilisieren, um „Europa dem Demos, dem Volk zurückzugeben“.

Zumindest an diesem Abend in Berlin ging die Formel auf. Varoufakis erntete tosenden Applaus, und genauso ging es den meisten der zwölf weiteren Redner, die er zur Unterstützung eingeladen hat. Das sind vor allem Vertreter der alten und neuen europäischen Linken und Grünen, wie die britische Abgeordnete Caroline Lucas, der portugiesischer Grünen-Politiker Rui Tavores oder Miguel Crespo Urban, der Europa-Abgeordnete der spanischen Podemos-Partei, die mitreißende Reden zu den „anti-demokratischen Übergriffen der Troika“ und dem „unmenschlichen Umgang“ mit den Flüchtlingen an Europas Grenzen hielten. Zu Wort kamen auch der Wikileaks-Gründer Julian Assange per Live-Schalte in die equadorianische Botschaft in London und per Video Ada Colau, jene Aktivistin gegen die Zwangsräumungen in Spanien, die Barcelona jüngst zur Bürgermeisterin wählte.

Doch wie und mit welchen Mitteln sich die Bewegung mit dem Namen „Democracy in Europe 2025“ (DiEM 25) organisieren soll, das blieb nach dem vierstündigen Rednermarathon weitgehend unklar.  Nein, es gebe „kein Organisationskomitee“, versicherte Varoufakis, das müsse sich „spontan entwickeln“.

Endloses Brainstorming statt strukturierter Diskussion

Dabei hatten er und sein engster Unterstützer, der kroatische Philosoph Srecko Horvat, ein durchaus breites Spektrum von Vertretern ganz unterschiedlicher politischer Strömungen aus allen Himmelsrichtungen nach Berlin geholt, um ihre Vision mit Leben zu füllen. Das reichte von einer deutschen Vertreterin der militanten Blockupy-Bewegung bis zu kroatischen Aktivisten gegen die Privatisierung, von der belgischen Volksinitiative gegen den EU-Fiskalpakt bis zum linken Bürgermeister der spanischen Stadt La Coruna. Mit dabei waren auch Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall, die Politikwissenschaftlerin und Gründerin des European Democracy Lab, Ulrike Gureot, und Gesine Schwan, Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD. Den ganzen Tag über hatten die rund 250 Teilnehmer im überfüllten Roten Salon der Volksbühne in drei Sitzungen über die Inhalte und Strategie gesprochen.

Grundlage der erhofften Bewegung soll das sechsseitige Manifest sein, das Varoufakis vor der Veranstaltung veröffentlichte. Darin fordert er eine grundlegende Demokratisierung der europäischen Entscheidungsstrukturen. Das soll mittels Öffnung aller EU-Gremien für die Öffentlichkeit sowie langfristig der Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung erreicht werden. Aber die insgesamt sechsstündigen Beratungen verliefen wie ein endloses Brainstorming. Die Veranstalter riefen lediglich eine eher zufällig zusammengestellte Rednerliste ab und versuchten sich gar nicht erst an einer strukturierten Diskussion.

Da dozierte dann Dieter Dehm, der europapolitische Sprecher der deutschen Linkspartei, dass ein bloßes „mehr Europa kein Rezept gegen die Renationalisierung“ sei, weil die Bürger nun mal ihre „nationalen Sozialsysteme“ verteidigen wollten. Da forderte die französische Grünen-Abgeordnete Morelle Darleux, man müsse auch den Klimawandel und den mangelnden Ressourcenzugang bedenken, der die Flüchtlinge nach Europa treibe. Dann wieder mahnte der IT-Aktivist Jacob Applebaum, dass „alle hier Ziel gezielter Überwachung“ seien, und die künftige Bewegung deshalb ihre Kommunikation in verschlüsselter Form betreiben solle.

Varoufakis setzt auf die Begeisterung seiner Anhänger

Gleichzeitig wurden aber zentrale Fragen gar nicht erst angesprochen. So blieb es SPD-Vordenkerin Schwan überlassen, am Ende des langen Konferenztages gegen Mitternacht anzumerken, was hätte diskutiert werden müssen: Eigentlich, so Schwan, seien es „nicht die Institutionen der EU“, deren vermeintlich undemokratische Verfassung zur falschen Politik geführt hätten. Vielmehr seien es schlicht „die gewählten politischen Mehrheiten in den EU-Staaten, die das gewollt und beschlossen haben“, erklärte sie und stellte so Varoufakis‘ Ansatz in Frage.

Doch das war den übrigen geladenen Teilnehmern keine Debatte wert. Umso einiger waren sie in der Überzeugung, dass die Ausrichtung der EU-Wirtschaftspolitik auf „Austerität“, also die fortwährende Kürzung der Staatsausgaben, die wirtschaftliche Lage in den meisten EU-Ländern so verschlechtert habe, dass dies immer mehr Menschen gegen Europas Institutionen aufbringe. Wie dagegen erfolgreich gestritten werden kann, dafür lieferten vor allem Aktivisten aus Spanien das Vorbild. Dort errang eine breite Bürgerbewegung jüngst die Mehrheit in vielen Kommunen, darunter auch in Barecelona, wo sie eine Aktivistin zur Bürgermeisterin wählten. Dort sei es dann gelungen, die Sparvorgaben der Zentralregierung auszuhebeln, weitere Zwangsräumungen gegen den Willen der Banken zu verhindern,  und einen solidarische Ökonomie zu fördern, berichtete Vizebürgermeister Gerardo Pisarello. „Der Stadtrat ist der wichtigste Ort der Demokratie“, sagte der Bewegungs-Politiker. Was Europa brauche, sei ein ganzes Netzwerk solcher „rebellischen Städte“.

Das deckt sich mit dem Wunsch von Varoufakis‘ Mitstreiter Horvat. Um die Bewegung zu starten, sollten „jetzt in allen europäischen Städten Versammlungen für die Demokratie in Europa stattfinden“, erklärte er. Warum und wie das gelingen soll, dafür vertraut Varoufakis wohl allein auf sein Charisma und die Begeisterung der Anhänger. Ja, das sei „utopisch“, räumte er ein, aber „noch utopischer“ sei „die Vorstellung, in der EU könnte alles weiterlaufen wie bisher“.

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