Bundesverfassungsgericht: V-Leute machen bei NPD-Verbot erneut Probleme
Schon beim ersten Prozess waren die V-Leute in der NPD ein "nicht behebbares Verfahrenshindernis". Nun wollen die Richter mehr Beweise, dass diese wirklich abgeschaltet wurden. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sieht sich bestätigt.
In das Verbotsverfahren gegen die NPD kommt Bewegung. Das Bundesverfassungsgericht hat am Montag einen Beschluss veröffentlicht, der dem Bundesrat als Antragsteller und vor allem den Innenministern der Länder Probleme bereiten dürfte. Der 2. Senat unter Vorsitz des Präsidenten des Gerichts, Andreas Vosskuhle, fordert vom Bundesrat, bis zum 15. Mai die Abschaltung von V-Leuten in den Vorständen der NPD nachzuweisen. Damit signalisieren die Richter, dass ihnen die bisherigen Testate der Minister nicht reichen. Das Thema V-Leute, an dem das erste Verbotsverfahren 2003 gescheitert war, ist nun auch im zweiten Anlauf wieder von Bedeutung. Die Richter interessiert, ob wie vor zwölf Jahren auch diesmal ein Verfahrenshindernis in Form von Spitzeln in den Vorständen der NPD vorliegt.
Der Bundesrat hatte dem Gericht einen Beschluss der Innenministerkonferenz vom 22. März 2012 vorgelegt, wonach mit Beginn der Materialsammlung gegen die NPD am 2. April 2012 „die Quellen auf Führungsebene abgeschaltet“ würden. Die Karlsruher Richter wollen jedoch mehr vom Bundesrat wissen. „Der Antragsteller möge den Vollzug dieses Beschlusses im Bund und in den einzelnen Ländern – insbesondere hinsichtlich der Zahl und des Ablaufs der Abschaltungen – darstellen und in geeigneter Weise belegen“, heißt es im „Hinweisbeschluss“ des Bundesverfassungsgerichts.
Das ist allerdings noch nicht alles. Die Richter wollen auch die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern bekommen, die ein Ende der „Nachsorge“ für abgeschaltete V-Leute bis 6. Dezember 2012 vorsah. Und der Verzicht auf die nachträgliche Betreuung von Spitzeln in Bund und Ländern soll ebenfalls dargestellt werden. Außerdem erwarten die Richter, dass der Bundesrat nachweist, auf welche Weise sichergestellt sei, „dass keinerlei nachrichtendienstlich erlangte Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin entgegengenommen werden“ und der „privilegierten Stellung“ des Bevollmächtigten der NPD „Rechnung getragen wird“. Die NPD wird vertreten durch Saarländer Anwalt Peter Richter, er ist zugleich Parteifunktionär.
Dem 2. Senat fehlt zudem im Verbotsantrag ein Beleg für die konkrete „Quellenfreiheit“ des Parteiprogrammes der NPD aus dem Jahr 2010 und eines Strategiekonzepts der Partei von 1997.
Der Bundesrat prescht voran, Bundestag und Regierung halten sich zurück
Der Bundesrat hatte den Antrag auf ein Verbot der rechtsextremen Partei im Dezember 2013 eingereicht. Bundestag und Bundesregierung schlossen sich nicht an. Auf knapp 270 Seiten listen die Prozessbevollmächtigten des Bundesrates, die an der Berliner Humboldt-Universität lehrenden Rechtswissenschaftler Christoph Möllers und Christian Waldhoff, Belege für den verfassungsfeindlichen Charakter der NPD auf. Möllers und Waldhoff bescheinigen der Partei unter anderem eine „Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus“, Antisemitismus und eine „Relativierung des staatlichen Gewaltmonopols“.
Auf die Dauer des Verfahrens reagierten Möllers und Waldhoff kürzlich mit „zunehmendem Unbehagen“, wie einem Bericht des Landes Hessen an die Innenministerkonferenz zu entnehmen ist. Die Bevollmächtigten wollen zudem in Karlsruhe weiteres belastendes Material gegen die NPD einreichen. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) ist derzeit Präsident des Bundesrates.
Die NPD hat sich bislang inhaltlich nicht auf den Verbotsantrag eingelassen. Der Bevollmächtigte der Partei, der Saarländer Anwalt und NPD-Funktionär Peter Richter, sprach in mehreren Schriftsätzen von einem „Verfahrenshindernis“ und verlangte die Einstellung des Verfahrens. Richter glaubt, Vorstände der Partei und er selbst würden von Nachrichtendiensten überwacht. Die Führungsebene sei deshalb nicht „staatsfrei“. Damit knüpft der Anwalt an die Argumentation des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts bei der Einstellung des ersten Verbotsverfahrens im März 2003 an.
Drei der damals sieben Richter waren der Ansicht, die V-Leute des Verfassungsschutzes in Vorständen der NPD seien ein nicht behebbares Verfahrenshindernis. Die vier weiteren Richter wollten das Verfahren fortführen, doch das Votum der drei Kollegen reichte als eine Art Sperrminorität aus.
Um die These von der permanenten Überwachung der Partei zu untermauern, bezieht sich der NPD-Anwalt auch auf den NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. In einem Schriftsatz vom Dezember 2014 beantragte Richter beim Bundesverfassungsgericht, einen ehemaligen V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes als Zeugen zu vernehmen. Der Ex-Spitzel hatte in München ausgesagt, er sei in den 1990er Jahren nach Rücksprache mit dem Nachrichtendienst der NPD beigetreten. Er wurde Besitzer im Landesvorstand und berichtete dem Verfassungsschutz aus dem Innenleben der Partei. Es ist allerdings fraglich, ob die Geschichte für das Verbotsverfahren noch eine aktuelle Bedeutung haben kann. Der V-Mann wurde im Jahr 2000 enttarnt und vom Brandenburger Verfassungsschutz abgeschaltet.
Ramelow: Thüringen bei Abschaltung der V-Leute Vorreiterland
Der Linkspartei kommt die Forderung aus Karlsruhe sehr zupass. Seit jeher kritisiert sie den V-Leute-Einsatz, musste zudem den linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow wegen der thüringischen Pläne verteidigen, als einziges Bundesland alle V-Leute abzuschalten. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau sagte am Montag: „Offenbar laufen die Antragssteller für ein NPD-Verbot in dieselbe V-Mann-Falle, an der das Verbotsverfahren 2001 bis 2003 gescheitert war.“ Das Problem liege ergo nicht beim Bundesverfassungsgericht, „sondern bei der unsäglichen V-Leute-Praxis der Sicherheitsbehörden. V-Leute sind und bleiben vom Staat gekaufte Spitzel und Täter, im konkreten Fall Nazis“.
Erst am Wochenende hatte der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), der Erfurter Landesregierung mit Isolation innerhalb der Sicherheitsbehörden gedroht. Nach der thüringischen Entscheidung stellten sich „grundsätzliche Zusammenarbeitsfragen“ Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden sei „keine Einbahnsstraße“. Caffier, der auch Sprecher der Unions-Innenminister ist, sagte, in Zukunft könnten „im Zweifel bestimmte Informationen nicht an Thüringen weitergegeben werden“.
Thüringens Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) hatte vergangene Woche die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags über die Abschaltung der V-Leute informiert - offenbar soll es, anders im Koalitionsvertrag benannt, auch für den Zweck der Terrorismusbekämpfung keine Ausnahmen geben. Kritik daran gab es nicht nur von unionsgeführten Ländern, sondern auch vom rot-roten Brandenburg und dem grün-rot regierten Baden-Württemberg.
„Wenn das Bundesverfassungsgericht jetzt mehr Beweise anfordert, ist das ein Alarmzeichen“, sagte Ramelow am Montag dem Tagesspiegel. „Diejenigen, die jetzt Thüringen so laut drohen, haben offensichtlich vergessen, dass es beim letzten NPD-Verbotsverfahren die Thüringer V-Leute waren, die das Verbot vereitelt haben.“ Seine Landesregierung räume „jetzt diese Hindernisse für das NPD-Verbot beiseite“ und erwarte ähnliches von allen Innenministern, wenn es ihnen um das NPD-Verbotsverfahren wirklich ernst sei. „Thüringen ist hierbei einfach Vorreiterland. Wir schalten die V-Leute ab, auch weil das Vertrauen einfach weg ist. Das waren keine Vertrauensleute, sondern vielfach staatlich alimentierte Nazis. Ich würde mich freuen, wenn andere Bundesländer jetzt auch ein klares politisches Zeichen setzen würden. Karlsruhe wartet darauf."
Das Verbotsverfahren trifft eine siechende Partei. Bei der Hamburger Wahl im Februar erreichte die NPD lediglich 0,3 Prozent. Außerdem ist sie nur noch in Mecklenburg-Vorpommern im Landtag vertreten. Im August 2014 verlor die Partei nach zehn Jahren die Fraktion im sächsischen Parlament. Ein kleiner Erfolg gelang der NPD hingegen bei der Europawahl im Mai 2014. Der ehemalige Parteivorsitzende Udo Voigt konnte dank des Wegfalls der Drei-Prozent-Hürde in das Parlament in Straßburg einziehen.
Frank Jansen, Matthias Meisner