zum Hauptinhalt
Nordkoreas Diktator Kim Jong Un besichtigt einen nuklearen Sprengkopf.
© Reuters

Nordkoreas Atomtest: Unvernunft macht Angst

Die Logik der Abschreckung im Kalten Krieg hatte immer einen perversen Zug. Aber glaubwürdige Drohungen können Kriege verhindern. Ein Kommentar.

Und nun auch noch die Wasserstoffbombe. Angeblich. Sie löst Urängste aus, zumal in Deutschland, das im Kalten Krieg Opfer einer nuklearen Auseinandersetzung gewesen wäre. Die Atombombe steht für die Apokalypse. Die Wasserstoffbombe mit ihrer größeren Sprengkraft umso mehr. Zur Sprengkraft der Waffe kommt die Sprengkraft der Handelnden. Kim Jong Un und Donald Trump sind Personen, denen man das Schicksal der Erde nicht anvertrauen möchte. Ihnen fehlt der moralische Kompass. Und die Glaubwürdigkeit.

Verantwortung und Berechenbarkeit sind aber entscheidend, um einen Atomkrieg zu verhindern. Die Logik der nuklearen Abschreckung hatte immer einen perversen Zug: Greif mich nicht an – ich kann dein Land vernichten. Zunächst wurde aufgerüstet, damit die Drohung glaubhaft war. Danach konnte auch abgerüstet werden. Diese Logik hat bisher funktioniert. In der Berlin- und der Kubakrise stand die Menschheit am Rand eines Atomkriegs. Er wurde vermieden, nicht durch Zurückweichen, sondern durch glaubhafte Standfestigkeit.

Trump fehlt Glaubwürdigkeit

Kim und Trump katapultieren Europa in eine Schreckenszeit zurück, die überwunden geglaubt war. Einen Rest der Atomwaffen aus dem Kalten Krieg gibt es zwar noch; sie reichen auch nach mehrfacher Abrüstung zur gegenseitigen Vernichtung. Aber wer glaubt ernsthaft, dass sie eingesetzt würden? In Asien ist es plötzlich vorstellbar. Das löst Angst und Empörung aus. Kim und Trump steigern das noch. Kim überschreitet eine „rote Linie“. Die USA hatten neue Atomtests als diese „rote Linie“ definiert, Raketentests nicht. Jedenfalls solange Kim keine Raketen auf die USA oder US-Stützpunkte wie Guam feuert. Trump droht nun mit einer atomaren Antwort. Für die USA ist das nicht ungewöhnlich. Jeder Präsident würde sagen, dass alle Optionen bereitstehen, also auch Atomwaffen. Für Europäer klingt dies schrill.

Was ist zu tun? Und was lässt sich aus den Erfahrungen im Kalten Krieg für den Umgang mit Nordkorea lernen? Die Ängste sind nachvollziehbar. Sie dürfen aber nicht davon abhalten, sich in die Logik des Konflikts hineinzudenken, auch in die pervers wirkenden Aspekte. Die Drohung mit vernichtenden Gegenschlägen ist nicht per se schlecht. Abschreckung und glaubwürdige Drohungen mit Krieg können Kriege verhindern. Das Problem mit Trump ist: Ihm fehlt die Glaubwürdigkeit. Er redet beliebig, mal so, mal so. Zum Glück hat er Berater, die besser sind: Stabschef John Kelly, Verteidigungsminister James Mattis, Sicherheitsberater H. R. McMaster. Die drei Ex-Generäle werden nicht zulassen, dass die USA in einen Atomkrieg stolpern.

China ist im Zwiespalt

Sie werden jedoch sehr weit gehen, um mit Druck Gespräche über eine diplomatische Lösung des Atomstreits zu erzwingen. Ihr erster Adressat ist China, nicht Nordkorea. Peking ist im Zwiespalt. Es will vermeiden, dass Nordkorea als Pufferzone gegen Südkorea wegbricht. Es muss aber auch Krieg vermeiden. Denn dann sinkt das Wirtschaftswachstum, und das würde das Herrschaftssystem gefährden. Unter den Kriegsdrohungen der USA beginnt China, sich zu bewegen und Sanktionen gegen Nordkorea durchzusetzen. Ohne Energie- und Warenlieferungen aus China, ohne Devisen für die Arbeit nordkoreanischer Arbeiter in chinesischen Fabriken ist Nordkorea am Ende.

Kim wirkt größer, als er ist. Kann er Raketen in ein Ziel lenken? Bisher brachen sie in der Luft auseinander. Hat er eine Wasserstoffbombe oder tut er nur so? Nun droht er China. Die Botschaft des Atomtests trotz Warnung aus Peking soll sein: China könne ihn nicht fallen lassen. Nach den ersten Reaktionen war das ein Schritt zu weit. China und Russland erhöhen den Druck auf Kim. Sie erliegen nicht der Versuchung, Trump als leeren Schwätzer vorzuführen. Am Ende wird es nicht zum Atomkrieg kommen, sondern zu Gesprächen über Nordkoreas Atomprogramm. Bis dahin muss die Menschheit die Angst vor der Unvernunft abermals ertragen.

Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.

Christoph von Marschall

Zur Startseite