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Die Nachricht, die von Bidens Team ausgeht: In Washington haben wieder Erwachsene das Sagen.
© Chandan Khanna/AFP

Genug von Spontaneität, Chaos und „America First“: Unter Biden haben die Erwachsenen wieder das Sagen

Biden und sein Team wissen, wie man regiert. Trump mag blockieren und lügen – das System hat ihn schließlich besiegt. Ein Kommentar.

Vier Jahre lang mussten Amerika und die Welt zusehen, wie Erfahrung, Verantwortungsgefühl und Wissen aus dem Regierungsalltag der Vereinigten Staaten zurückgedrängt wurden. Das stolze Außenministerium erlebte einen Exodus seiner diplomatischen Experten, das mächtige Pentagon einen Ministerwechsel nach dem anderen und eine zunehmende Politisierung.

In vielen anderen Ministerien und ganz besonders auch im Weißen Haus sah es ähnlich aus: Die „Erwachsenen“ suchten das Weite oder wurden gefeuert. Jahrzehntelange Expertise war nicht mehr gefragt – der „Deep State“ war ja der Feind, den die selbsternannten politischen Outsider bekämpfen und zerschlagen wollten.

Dieser tiefe Staat schlägt nun zurück. Die ersten wichtigen Personalien, die der künftige Präsident Joe Biden bekanntgegeben hat, zementieren bereits die Rückkehr des Establishments ins Zentrum der Macht.

Allein der Unterschied zwischen dem designierten Außenminister Tony Blinken und dem derzeitigen Chef des State Departments Mike Pompeo könnte größer kaum sein: Ein in Paris aufgewachsener, an Eliteunis ausgebildeter Weltbürger mit jahrzehntelanger außenpolitischer Erfahrung, der Jazzmusik liebt und einst davon träumte, Filme zu produzieren, ersetzt einen evangelikalen Trump-Getreuen, der Außenpolitik vor allem als Innenpolitik versteht, Diplomatie als Zeichen von Schwäche – und dessen wichtigstes Projekt die Religionsfreiheit war. Womit hauptsächlich die der Christen gemeint war.

Leute wie Blinken oder Thomas-Greenfield werden von Trump-Fans als „Globalisten“ verachtet

Blinken, aber auch der ehemalige Außenminister John Kerry, der als Klima-Beauftragter in Regierungsverantwortung zurückkehrt, oder die erfahrene afroamerikanische Diplomatin Linda Thomas-Greenfield als künftige UN-Botschafterin stehen exemplarisch für das, was das Trump-Lager verabscheut. Leute wie sie nennen dessen Anhänger verächtlich „Globalisten“, die mehr an den Rest der Welt dächten als an das eigene Land. Sie empfinden diese exzellent vernetzten Experten aus der Clinton- und Obama-Ära als Handlanger fremder Mächte, die dazu beigetragen hätten, das eigene Land zu übervorteilen – und zu oft auch in unnötige Kriege verwickelt hätten.

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In Trumps Welt behindern multilaterale Bündnisse und internationale Abkommen die Handlungsfreiheit des eigenen Landes. Im Obama/Biden/Blinken/Kerry-Universum soll die Welt enger zusammenwachsen – weil sie immer stärker vernetzt ist, im Guten wie im Schlechten. Beim Klimaschutz, in Pandemien, über den technologischen Fortschritt.

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Trump trat an, wurde gewählt und regierte als „Disruptor in Chief“. Nach vier Jahren hat die Mehrheit der Amerikaner genug von Spontaneität, Chaos und „America First“. Sie will es mal wieder mit Regeln, Traditionen, Beziehungspflege versuchen. Dass die US-Demokratie zu dieser Kurskorrektur in der Lage ist, sollte die Welt freuen. Auch wenn die Aufgaben der neuen Regierung gewaltig sind.

Trump hat das System nicht kleingekriegt – es hat ihn besiegt

Beruhigend ist vor allem, dass „das System“ selbst Trumps Ausflug ins Autoritäre zu unterbinden in der Lage ist: Sein Versuch, eine legitime Wahl zu unterdrücken, kann spätestens seit Montag als gescheitert angesehen werden. Auch ohne das offizielle Eingeständnis seiner Niederlage beginnt der traditionelle Prozess der Amtsübergabe von einem Präsidenten an den anderen. Es ist faszinierend, zuzuschauen, wie routiniert das Getriebe der Macht sich weiterdreht. Trump hat dieses System nicht kleingekriegt, im Gegenteil: Das System hat ihn besiegt.

Auch hier zeigt sich, wie wertvoll Erfahrung ist. Dass der Wahlverlierer diesen seit fast 60 Jahren vorgeschriebenen Transitionsprozess drei Wochen lang blockiert hat und auch weiter alles tun wird, um das Land zu spalten und seinen Nachfolger zu diskreditieren, haben Biden und sein Team einfach ignoriert. Sie wissen eben, wie Regieren geht. Nein, es wird nicht alles über Nacht „wieder gut“. Der Schaden ist groß, die Herausforderungen gigantisch. Aber die USA senden eine beruhigende Nachricht in die Welt: In Washington haben wieder Erwachsene das Sagen.

Juliane Schäuble

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