Kampf gegen Altersarmut: Union lehnt Heil-Pläne für Grundrente ab
Bis zu 447 Euro mehr für Geringverdiener: Ob das neue Rentenkonzept des Ministers aufgeht, ist fraglich. CDU und CSU kritisieren die milliardenschweren Pläne.
Bis zu vier Millionen Menschen in Deutschland teilen dieses Schicksal: Trotz eines ganzen Lebens voll harter Arbeit, können sie im Alter nicht von ihrer Rente leben – weil sie über die Jahre zu wenig verdient haben. Das will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nun ändern.
Er will Geringverdienern wesentlich mehr Rente als bislang zugestehen, eine sogenannte Grundrente. „Jemand, der jahrzehntelang hart gearbeitet hat, hat das Recht, deutlich mehr zu bekommen als jemand, der nicht gearbeitet hat“, sagte Heil am Wochenende der „Bild am Sonntag“ (BamS). „Das ist eine Frage des Respekts vor Lebensleistung.“
Der Sozialdemokrat besinnt sich damit auf die traditionelle Klientel seiner Partei: die arbeitende Bevölkerung. Dass Heil ausgerechnet jetzt – und dann auch noch massentauglich im BamS-Interview – seine Pläne vorstellt, ist kein Zufall. Als SPD-Arbeitsminister steht er besonders in der Pflicht, das sozialdemokratische Profil seiner Partei zu schärfen. Die kriselnde SPD kann das gut gebrauchen. Die Genossen kommen nicht aus dem Umfragetief, Frust und Resignation haben die einst so stolze Partei fest im Griff. Mit seinem Renten-Versprechen will Heil einen Ausweg aus der Misere aufzeigen.
Drei bis vier Millionen Menschen würden profitieren
In der Tat taugt sein Rentenkonzept, um das sozialdemokratische Herz höher schlagen zu lassen. Falls sich Heil mit seinen Plänen durchsetzt, könnten Rentner ab 1. Januar 2021 bis zu 447 Euro mehr pro Monat auf dem Konto haben. Drei bis vier Millionen Menschen würden profitieren.
Heil hat dabei vor alle Frauen im Blick. Eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die in Teilzeit als Krankenschwester gearbeitet hat, bekomme derzeit 860 Euro Rente, sagte Heil der „BamS“. Geht es nach dem SPD-Mann, dann kommt die Frau künftig „mit der Grundrente auf 1000 Euro“.
Eine Überprüfung der Bedürftigkeit soll es nicht geben. Wer 35 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hat, soll automatisch Anspruch auf Grundrente haben. Auch Kinderziehung oder die Pflege von Angehörigen soll dabei angerechnet werden. Finanziert werden soll die Grundrente aus Steuern. Heil rechnet dafür mit einem „mittleren einstelligen Milliardenbetrag“ pro Jahr.
Der Vorstoß des Arbeitsministers passt zu den derzeitigen Bemühungen der Parteispitze, die SPD zurück zu ihren Wurzeln als starke sozialdemokratische Kraft zu führen. Hubertus Heil präsentiert seine Ideen wenige Tage bevor die SPD-Führung am Wochenende zu einer Klausurtagung zusammenkommt. Bei dem zweitägigen Spitzentreffen im Willy-Brandt-Haus wird es um nicht weniger als die „Erneuerung“ der Sozialdemokratie gehen, um die programmatische und organisatorische Neuaufstellung der SPD. Wenige Monate vor der Europawahl und der Bürgerschaftswahl in Bremen erhoffen sich die Genossen so eine Rückkehr zu ihrer alten Stärke.
Schwesig macht Werbung für das Konzept
Im Mittelpunkt der Vorstandsklausur soll der Sozialstaat stehen. Vor allem das Trauma-Thema Hartz IV wollen die Genossen hinter sich lassen. Parteichefin Andrea Nahles hat bereits versprochen, Hartz IV zu ersetzen – und dafür vor allem vom linken Flügel viel Lob erhalten. Bei der Klausur am Wochenende will die SPD-Spitze nun darüber sprechen, wie der Sozialstaat in 25 Jahre aussehen könnte, heißt es im Willy-Brandt-Haus.
Dazu passt auch Heils Rentenkonzept. Werbung dafür machte am Wochenende bereits Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende SPD-Vorsitzende. Es gehe nicht an, dass „viele Menschen mit nicht mehr als der Grundsicherung auskommen müssen“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Ohne Grundrente stürzen viele in Altersarmut.“
Wie Heil und Schwesig betonen viele Spitzengenossen derzeit, dass die SPD die „Lebensleistung von Menschen“ ins Zentrum ihrer Sozialpolitik stellen will. Nicht zuletzt richtet sich die Botschaft an ehemalige DDR-Bürger mit „gebrochenen Biografien“. Auch das ist kein Zufall: In Sachsen, Brandenburg und Thüringen werden im Herbst neue Landtage gewählt.
Kritik kommt auch von den Arbeitgebern
Mit seinem Ruf nach einer Grundrente geht Heil bewusst auch auf Konfrontationskurs zur Union. Vom Koalitionsvertrag gedeckt sind seine Pläne nicht. Dort ist lediglich von einer „Grundrente zehn Prozent über der Grundsicherung“ die Rede. Heils Pläne sind also auch eine indirekte Distanzierung vom eigenen Koalitionspartner. Deshalb hat die Union die Rentenpläne des Arbeitsministers bereits zurückgewiesen. „Mit der Gießkanne“ wolle Heil das Geld verteilen, kritisierte der CDU-Sozialexperte Peter Weiß. Die Aufstockung der Rentenzahlungen solle sich lieber am „tatsächlichen Bedarf“ der Betroffenen richten. Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe (CDU) forderte: „Wir brauchen jetzt schnell eine Verständigung, wie der Koalitionsvertrag umgesetzt werden soll.“
Kritik an Heils Vorstellungen kam auch von den Arbeitgebern. Steffen Kampeter, der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, sprach von einem „rentenpolitischen Betriebsunfall“. Indes warnte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckhart: „Heils Konzept ist nur dann mehr als ein Luftschloss, wenn es solide finanziert wird.“