Ukraine-Krise: Ungeliebter Frieden
Politiker in der Ukraine protestieren heftig gegen das Gesetz zum politischen Sonderstatus des Donbass. Auch in der Bevölkerung ist der Vorgang umstritten.
Das am Dienstag vom ukrainischen Parlament verabschiedete Gesetz über einen Sonderstatus des Donbass hat in der Ukraine jede Menge Kritik provoziert. Nicht nur der Inhalt, sondern auch das Zustandekommen des Gesetzes wird in Kiew kontrovers diskutiert.
Der Gouverneur von Donezk, Sergej Taruta, sprach von einem „Schock“. Er sei entsetzt darüber, dass das Parlament „Teile des Landes einfach so nach Russland weiterreicht“, sagte er in der bis zuletzt umkämpften südukrainischen Hafenstadt Mariupol. Er sei vollkommen überrascht darüber, dass man „den Terrororganisationen Volksrepublik Donezk und Volksrepublik Luhansk so weit entgegenkommt“. Wofür hätten die Menschen in der Ukraine denn seit Monaten gekämpft, wenn nun die Einheit des Landes preisgegeben werde? Der Gouverneur forderte eine „gründliche Überarbeitung“ des am Dienstag von der Werchowna Rada in geschlossener Sitzung verabschiedeten Gesetzes.
Auch Anton Geratschenko, Berater der ukrainischen Regierung, lehnt das Gesetz in der jetzigen Form ab. Er machte „den Druck westlicher Länder für das Zustandekommen dieses Teufelpaktes“ verantwortlich, sagte er der Nachrichtenagentur Unian. Führende EU-Staaten und Teile der US-Regierung würden seit Wochen versuchen, „den Krieg im Osten, den sie Konflikt nennen“, im Dialog zu lösen. „Jetzt sehen wir, was das für die Ukraine bringt.“ Es sei inakzeptabel, dass der russische Präsident Wladimir Putin Truppen in die Ukraine schicken könne, einen Krieg anzettle, und der Westen von der Ukraine verlange, das „ohne mit der Wimper zu zucken zu akzeptieren“.
Es gibt auch Anhänger
Der Sonderstatus und die Amnestie für die Kämpfer haben auch Anhänger. Der frühere Vize-Ministerpräsident Boris Kolesnikow, Industrieller und Mitglied der ehemals regierenden Partei der Regionen, sagte der größten ukrainischen Tageszeitung „Segodna“: „Der Präsident hat die Verantwortung für den Weg zum Frieden übernommen, wir sollten die Minsker Vereinbarungen umsetzen. Wir können diesen Krieg nicht länger führen.“
Die Vorsitzende der Vaterlandspartei, Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, ging wie zuletzt auch in die Offensive. „Meine Partei fordert Präsident Poroschenko auf, sein Veto einzulegen und das Gesetz noch einmal öffentlich zu diskutieren und neu abstimmen zu lassen“, sagte sie dem Tagesspiegel. Timoschenko sprach von einem „Gesetz Putins“, das der Ukraine „aufdiktiert“ worden sei. Timoschenkos Partei plant eine Prüfung des Gesetzes vor dem Verfassungsgericht der Ukraine. Zudem will ihre Partei eine Prüfung der Abstimmung vornehmen lassen. „Wir geben große Teile unseres Landes ab, kennen aber keine Details zum Abstimmungsverhalten der Abgeordneten. Damit kann sich die Ukraine nicht abfinden.“
Selbst aus dem Lager von Präsident Petro Poroschenko hagelte es Kritik. Der Journalist und Parlamentskandidat für die Partei „Block Poroschenko“, Sergej Leschtschenko, sagte der Online-Zeitung „Nowoe Wremja“, die Erfahrungen der letzten Monate hätten gezeigt, dass „unfaire Gesetze keinen langen Bestand haben – so etwas lässt sich unsere Gesellschaft nicht mehr gefallen“. Er verstehe jedoch nicht, wieso die Abgeordneten sich am Dienstag nicht gegen den Gesetzentwurf Poroschenkos „zur Wehr gesetzt und das Minsk-Gesetz stattdessen einfach abgenickt haben“.
Wie ist der rechtliche Rahmen?
Ähnlich scharfe Worte fand der bekannte Journalist und Kolumnist Vitali Portnikow. Er sprach von einer „kriminellen Revolution“ und zieht Parallelen zum 16. Januar 2014. Damals hatte das Parlament in ebenfalls geschlossener Sitzung über die Verschärfung von Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit abgestimmt. „Ich hätte gedacht, dass nach dem Euro-Maidan mit einem demokratisch gewählten Präsidenten, der gerade einmal 100 Tage im Amt ist, solche Ausrutscher nicht wieder passieren. Leider habe ich mich geirrt.“
Juri Jakimenko, stellvertretender Direktor beim Thinktank Razumkow-Zentrum, bemängelt den seiner Meinung nach fehlenden rechtlichen Rahmen der Abmachung. Einzig die Abhaltung der für Anfang Dezember geplanten Kommunalwahlen sei durch ukrainische Gesetze gedeckt. „Bei allen anderen Fragen bewegen wir uns in der Grauzone.“ In Kiew gehen viele Beobachter davon aus, dass Präsident Poroschenko nach seinem USA-Besuch viele dringende Fragen beantworten müssen wird. Das Gesetz zum Sonderstatus des Donbass und der Amnestie für Kämpfer hat Poroschenko bisher noch nicht unterzeichnet.