Großes Nato-Manöver: Die Ukraine fährt eine Doppelstrategie
Kiew setzt nicht nur auf Dialog – auch militärische Option wird weiter verfolgt. Und im Westen des Landes halten Nato-Staaten ein großes Manöver ab.
In Jaworow, einer sehr ländlichen und abgelegenen Region des Oblast Lwiw im Westen der Ukraine, sind am frühen Montagmorgen 1200 Soldaten aus 15 Ländern, unter anderem aus den USA, Polen, Lettland, Georgien, der Ukraine und Deutschland, zu einem Großmanöver der Nato begrüßt worden. Es soll bis 26. September dauern. Gleich zum Auftakt gab es politische Irritationen: US-Oberst Fred Renzi sagte, er habe nicht nur seine Leute, sondern auch „jede Menge Ausrüstung mitgebracht“, berichtete der ukrainische Dienst von Radio Liberty.
Diese Aussage könnte der Schlüssel sein zu den Worten des ukrainischen Verteidigungsministers Valerie Geletey. Der hatte am Sonntag in einem Interview mit dem TV-Sender 5 Kanal gesagt: „Ich habe auf dem Nato-Gipfel Anfang September in Wales mit einer Reihe meiner Amtskollegen vertrauliche Gespräche geführt, und wir konnten uns teilweise darauf einigen, dass sie uns Waffen liefern. Dieser Prozess hat begonnen.“ Um welche Art von Waffen oder Ausrüstung es dabei geht und welche Länder die Ukraine unterstützen, blieb jedoch bislang unklar.
Es gibt Spekulationen darüber, dass die ukrainische Führung den Konflikt in der Ost-Ukraine nicht nur im Dialog lösen will. Am Wochenende hatte der Vorsitzende der Präsidentenpartei, Juri Luzenko, auf einer internationalen Konferenz in Kiew gesagt, der Weg für ein Ende des Krieges im Donbass sollte aus zwei Teilen bestehen, zum einen aus Dialog, zum anderen aus militärischer Unterstützung.
Wirbel löst auch der Washington-Besuch des Anführers des größten Freiwilligen-Bataillons Donbass, Semen Sementschenko, aus. Zusammen mit einer ukrainischen Delegation werde sich der Kommandant mit Vertretern des US-Senats und Vertretern des Kongresses sowie mit Militärs in West-Point treffen. „Die Delegation wird während des Vier-Tage- Aufenthalts auch Vertreter der US-Industrie treffen“, schreiben ukrainische Medien und berufen sich auf Facebook-Einträge Sementschenkos. Für den 18. September ist ein Besuch Präsident Poroschenkos in den USA geplant, er wird dort unter anderem vor dem Kongress eine Rede halten.
Auch der Blitzbesuch des österreichischen Außenministers Sebastian Kurz am Montagvormittag in Kiew warf Fragen auf. In Wien hat die OSZE ihr Hauptquartier. Die EU will, dass die Organisation eine maßgebliche Rolle bei der Stabilisierung der Lage in der Ostukraine übernimmt. Minister Kurz hatte sich zu einem knapp 90-minütigen Gespräch mit Präsident Petro Poroschenko und Außenminister Pawlo Klimkin getroffen. Im Anschluss sagte Kurz dem Tagesspiegel: „Wir sind uns einig, dass die Rolle der OSZE gestärkt werden muss. Wir werden die 300 Mann starke Mannschaft auf 800 erhöhen.“ Zudem werde die OSZE zehn Aufklärungsdrohnen in den Donbass schicken, die ersten zwei würden in dieser Woche eintreffen. Als Grund für seinen überraschenden Besuch nannte der Minister die „extrem angespannte Lage in der Ostukraine“. Es bestehe Gefahr, dass der brüchige Waffenstillstand wieder in einen bewaffneten Konflikt übergehe. „Ein solches Szenario muss verhindert werden“, sagte Kurz.
Wie berechtigt die Befürchtungen sind, zeigen aktuelle Meldungen aus der Konfliktregion. Die Stadtverwaltung von Donezk meldete am Montag, dass am Sonntag sechs Zivilisten beim Beschuss der Stadt getötet worden seien. Bei den Kämpfen sei auch die Wasserversorgung erneut beschädigt worden. Der schwer umkämpfte Flughafen der Stadt sei wieder in die Hände der Rebellen gefallen, sagte der Sprecher des Nationalen Verteidigungsrates der Ukraine, Andrej Luzenko. Die Kämpfe dort dauerten aber an.