Assoziierungsabkommen: Ukraine und EU binden sich aneinander
Das Partnerschaftsabkommen mit der EU löste für die Ukraine den Maidan, den Verlust der Krim und den Konflikt mit Russland aus – nun wurde es von beiden Seiten ratifiziert. Der Donbass erhält derweil mehr Unabhängigkeit
An diesem Tag sollte Kiew strahlen, doch am Ende folgte der Kater schon vor dem Fest. Denn bevor die Abgeordneten des ukrainischen Parlaments – zeitgleich mit ihren EU-Kollegen in Straßburg – das so erbittert erkämpfte Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU ratifizierten, hatten sie in einer nichtöffentlichen Sitzung über mehr Autonomie für den Donbass abgestimmt und dem Osten des Landes mehr Eigenständigkeit sowie den Separatisten durch ein Amnestiegesetz Straffreiheit eingeräumt. Nur besonders schwere Verbrechen sollen geahndet werden. Das Gesetz gilt für drei Jahre. Es verbrieft etwa das Recht auf die eigene Sprache für die russischsprachige Bevölkerung in der Ostukraine. Zudem soll die Selbstverwaltung gestärkt werden. Auch Kooperationen mit angrenzenden russischen Gebieten sind möglich. Vorgesehen sind außerdem örtliche Wahlen am 7. Dezember sowie die Gründung einer eigenen Volksmiliz.
Bei dieser Abstimmung votierten 277 von nominell 450 Abgeordneten für den Sonderstatus, jedoch kam es zu einem Eklat. Abgeordnete sprachen hinterher von einer „Kapitulation vor Russland“ und einem „Staatsstreich“. Die Abstimmung soll ihrer Ansicht nach nicht sauber verlaufen sein, kritisierten vor allem Parlamentarier der liberalen Unionspartei und von der Vaterlandspartei der ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko.
So saß Präsident Petro Poroschenko zunächst mit heruntergezogenen Mundwinkeln auf seinem thronartigen Parlamentssitz, bevor er in der Liveschaltung nach Straßburg seine Freude über das Assoziierungsabkommen und seinen Wunsch nach einem baldigen EU-Beitritt der Ukraine zum Ausdruck bringen konnte. Vor dem Parlament protestierten gleichzeitig etwa 500 Bürger gegen die Regierung und warfen ihr Passivität beim Kampf gegen Korruption vor.
Im EU-Parlament ging es harmonischer zu
Deutlich harmonischer verlief der Tag in Straßburg, wo 535 EU-Parlamentarier zustimmten, 127 dagegen waren und 35 sich enthielten. Erweiterungskommissar Stefan Füle sagte, dass Europa auch „unserer mächtigstes Instrument in Betracht ziehen muss, wenn wir es ernst mit der Ukraine meinen“. Gemeint war der Beitritt. „Das ist ein einmaliger Vorgang", sagte der deutsche Parlamentspräsident Martin Schulz, „ein Vorgang, auf den wir stolz sein sollten“.
Das, so der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko via Großbildleinwand an beide Kammern gerichtet, „ist der erste, aber wichtigste Schritt hin zur Perspektive einer EU-Mitgliedschaft“. Keine Nation habe „jemals einen so hohen Preis gezahlt, um europäisch zu werden“, sagte Poroschenko weiter.
Der Abstimmung vorausgegangen waren hektische diplomatische Bemühungen auf höchster Ebene. So hatte der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen in Minsk Ende August das Angebot Poroschenkos angenommen, den Moskauer Bedenken gegenüber dem Handelsvertrag Rechnung tragen zu wollen. Beim Nato-Gipfel in Wales Anfang September kam es – nachdem der Kreml eine mehr als 2000 Punkte umfassende Wunschliste übermittelt hatte – schließlich zu einem Gespräch zwischen Poroschenko, Bundeskanzlerin Angela Merkel, US-Präsident Barack Obama und EU-Kommissionschef José Manuel Barroso.
Ergebnis der Unterredung war, Putin nicht beim bereits verabschiedeten Wortlaut des Abkommens, sondern bei dessen Auslegung entgegenzukommen. In diesem Sinne einigte sich EU-Handelskommissar Karel De Gucht am vergangenen Freitag mit Unterhändlern aus Moskau und Kiew in Brüssel. „Ohne diese Einigung vom Freitag“, so De Gucht am Dienstag vor dem Plenum in Richtung jener Abgeordneten, die sich über die kurzfristigen Änderungen und die zu kurze Zeit zur eingehenden Analyse beschwert hatten, „hätte es heute keine Ratifizierung geben können.“
Der entscheidende Teil des Deals ist, dass der wirtschaftliche Teil des Abkommens erst ein Jahr später zur Anwendung kommt und nicht wie der politische sofort. Gleichzeitig wird die EU die einseitigen Handelspräferenzen für die Ukraine, die seit Juni zu einem Exportanstieg um 15 Prozent geführt haben, bis zum 31. Dezember 2015 verlängern. Das führt im Ergebnis dazu, dass die Produkte des wirtschaftlich schwer angeschlagenen Landes auch weiter quasi zollfrei in die Gemeinschaft eingeführt werden können. „Die Vorteile, die wir der Ukraine jetzt schon gewähren, bleiben erhalten“, betont De Gucht.
Waren aus der EU dagegen werden in der Ukraine noch nicht billiger. „Die Russen hatten Angst, dass wir ihren Markt via Ukraine infiltrieren“, erklärte der SPD-Europaabgeordnete Knut Fleckenstein, der in diesem Fall Verständnis für das Anliegen des Kreml und keines dafür hat, dass solcherlei Bedenken von europäischer Seite erst so spät aufgegriffen wurden.