SPD billigt Koalitionsvertrag: „Und nun machen wir uns an die Arbeit“
In einem ungewöhnlich emotionalen Auftritt wirbt Olaf Scholz auf dem SPD-Parteitag für das Ampel-Regierungsprogramm. Es zeigt sich: Seine Partei meint es ernst.
Wenn nur die Corona-Pandemie nicht wäre, was hätte es für eine fröhliche Veranstaltung werden können im Willy-Brandt-Haus für die SPD. „Eigentlich würden wir hier gerne mit Hunderten im Saal sitzen und feiern", sagt Generalsekretär Lars Klingbeil am Samstag zum Auftakt des Parteitags, der über den Koalitionsvertrag entscheiden soll.
Mit dem Sieg bei der Bundestagswahl im Rücken und wenige Tage vor der Wahl des SPD-Kanzlers - in anderen Zeiten wäre die Parteizentrale als Tagungsort viel zu klein gewesen. In einer Kongress- oder Versammlungshallte wären sich die Delegierten wohl einander um den Hals gefallen und nach einem fröhlichen Abend sehr spät ins Bett gegangen.
Aber das Virus hat die Republik im Griff. Nur rund 60 Zuhörer haben sich Atrium der Parteizentrale versammelt. Rund 640 Delegierte sind registriert, die meisten davon allerdings digital zugeschaltet.
Nach Klingbeil werben die beiden Parteichefs für das Ergebnis. Saskia Esken, die weitermachen will, und Norbert Walter-Borjans, der sich nach zwei Jahren an der Spitze zurückzieht, fassen sich kurz in ihrem Lob.
„Wir sind wieder mit voller Kraft da, die Sozialdemokratie ist die führende Kraft in diesem Land", sagt der frühere NRW-Finanzminister. Seine Ko-Chefin erhebt den bevorstehenden Machtwechsel zum historischen Ereignis: „Ein neues Kapitel in der Geschichte der Bundesrepublik, ein neues Kapitel in der Geschichte der SPD" werde damit aufgeschlagen.
Mit ihrer Zurückhalten lassen Esken und Walter-Borjans mehr Raum für die Hauptrede, den Kanzler in spe, der ohne Krawatte mit strahlend weißem Hemd unter der dunklen Anzugjacke die Bühne entert und mit minutenlangem Applaus gefeiert wird.
Fast eine halbe Stunde spricht Scholz. Er verschanzt sich nicht hinter dem Pult, bewegt sich über die Bühne, spricht frei und zeigt dabei mehr Leidenschaft, als viele im Saal und wohl auch an den Computern zuhause erwartet haben.
Er wird persönlich: „Das ist ein ganz besonderes Gefühl", sagt er und erinnert an den Parteitag am gleichen Ort im Frühjahr, als die SPD noch bei 15 Prozent lag. „Wir haben uns aufgemacht", meint er: „Und wir haben eine Bundestagswahl gewonnen." Je länger er spricht, umso ausgreifender werden seine Bewegungen, umso häufiger unterstreicht er seine Argumente mit seinen Armen oder ballt die Fäuste .
Auch Scholz spricht von einer historischen Dimension, erinnert an die Regierungsübernahme von Willy Brandt 1969 und Gerhard Schröder 1998: „Ein solcher Aufbruch soll auch wieder gelingen", meint er, bevor er für die Geschlossenheit der Partei im Wahlkampf würdigt: „Danke für eine große Gemeinschaft, wir haben es miteinander hingekriegt."
Dann wird es ernst. Die erste Aufgabe der Regierung sei „dass wir die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger schützen, dass wir dieses Land zusammenhalten, dass wir die Corona-Pandemie bekämpfen mit aller Kraft, die wir haben." Scholz wirbt fürs Impfen, beansprucht für die SPD, Verantwortung übernommen und einen Konsens über mehr härtere Eingriffe verabredet zu haben, bevor er gewählt ist.
Der Kanzler in spe verspricht „eine Regierung von drei Parteien, die mehr Fortschritt für Deutschland wagen wollen". Er will die Chance für einen „Aufbruch für Deutschland“ nutzen und erwähnt, dass ein Aufbruch auch Wagnis bedeute. Das sei aber „erforderlich und richtig, weil wir eine Vorstellung davon haben, wie es gut ausgeht".
Nach 28 Minuten feiert der Saal den Redner mit Ovationen. Und während der sich auf der Bühne immer wieder verbeugt, ist klar, dass der Parteitag mit riesiger Mehrheit den Koalitionsvertrag billigen wird.
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Etwas Spannung kommt auf, als Parteivize Kevin Kühnert ans Pult tritt. Auf dem Juso-Kongress hatte der frühere Chef der Parteijugend vergangene Woche die FDP attackiert und dafür verantwortlich gemacht, dass seine Partei im Bau- und Wohnen-Kapitel Ziele nicht durchsetzen konnte.
Jetzt sagte er über das Regierungsprogramm: „Es fühlt sich gut an.", Er spricht von Defiziten, zeigt sich aber „von Herzen dankbar“, dass die SPD-Verhandler ein eigenständiges Bauministerium herausgeholt haben.
Gleichzeitig fordert er die Delegierten auf, „mutig zu bleiben, als Partei programmatisch auf der Höhe zu sein" und Ziele durchzusetzen, die über den Koalitionsvertrag hinausgehen. In seinem dreiminütigen Beitrag scheint die Doppelrolle auf, die der Parteivize künftig ausfüllen muss: Als Generalsekretär die Ampelregierung zu stützen und doch die eigene Partei unterscheidbar zu halten. Kühnert empfiehlt Zustimmung.
Dass die SPD ihre Ministerinnen und Minister nicht vor der Bestätigung des Koalitionsvertrages bekannt geben will, hat ihr viel Kritik eingetragen. Wegen Corona sei es unverantwortlich, die Chefin oder den Chef des Gesundheitsressorts nicht schnell vorzustellen und in die Krisenbekämpfung schon mit einzubeziehen, hieß der gravierendste Vorwurf. Aber Scholz will seinen Zeitplan nicht umwerfen und trotzt dem öffentlichen Druck.
In seiner Rede erwähnt er die Personalfrage nicht. Am Rande reden viele darüber. Als dann das Ergebnis von 98,8 Prozent bejubelt wird, sagte der Kanzler in spe: „Und nun machen wir uns an die Arbeit.“
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