Zentrale der Linkspartei in Berlin: Ultra-Linke torpedieren Gedenktafel für Stalinismus-Opfer
Der linke Flügel der Linkspartei hat verhindert, dass Opfer des Stalinismus noch vor der Bundestagswahl mit einer Gedenktafel in Berlin geehrt werden. Parteichefin Katja Kipping will an den Plänen dennoch festhalten.
Eigentlich sollte die Gedenktafel für die Opfer des Stalinismus in diesen Tagen aufgehängt werden am Karl-Liebknecht-Haus, der Zentrale der Linken in Berlin. Ihr „ehrendes Gedenken“ wollte die Partei so erweisen Tausenden von Kommunisten und Antifaschisten, „die in der Sowjetunion zwischen den 1930er und 1950er Jahren willkürlich verfolgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf Jahrzehnte verbannt und ermordet wurden“. Doch der im März vom geschäftsführenden Vorstand einstimmig gefasste Beschluss wird vor der Bundestagswahl nicht umgesetzt. Das erzwang der linke Flügel vor wenigen Tagen in einer Parteivorstandssitzung, wie am Wochenende am Rande des Linken-Bundesparteitages in Dresden bekannt wurde.
Hans Modrow, Vorsitzender des Ältestenrates der Linken, hatte sich in der Vorstandssitzung zum Wortführer der Bedenkenträger gemacht. Der vorletzte Ministerpräsident der DDR argumentiert, er sei nicht gegen die Tafel an sich, halte das Karl-Liebknecht-Haus am Rosa-Luxemburg-Platz aber für den falschen Gedenkort. Die Frage, ob nicht der Friedhof Berlin-Friedrichsfelde mit der Gedenkstätte der Sozialisten der bessere Gedenkort sei, habe „nicht ausdiskutiert“ werden können. „Solange der Vorstand das nicht ausdiskutiert hat, werden keine weiteren Maßnahmen getroffen“, berichtete Modrow dem Tagesspiegel. Weil die nächsten Sitzung dem Bundestagswahlkampf vorbehalten sind, ist die Aufhängung der Gedenktafel nun frühestens nach dem Wahltag 22. September möglich.
Zuvor hatte im Mai die Kommunistische Plattform (KPF) in der Linken, deren langjährige Wortführerin die heutige Vize-Parteichefin Sahra Wagenknecht war, ihre Kritik an den Plänen bekräftigt. Die KPF nannte es „ungerechtfertigt“, die Gedenktafel an der Parteizentrale anzubringen. Schließlich würden seit mehr als 22 Jahren „all diejenigen, denen die DDR eine durch sie mitgestaltete Heimat war, alltägliche Verleumdungen“ erfahren. Ehemals loyale DDR-Bürger würden in der veröffentlichten Meinung „annähernd wie ein Stück Dreck“ behandelt. „Und nun sollen - durch die Anbringung der Gedenktafel am Karl-Liebknecht-Haus - Genossinnen und Genossen, Sympathisantinnen und Sympathisanten der Linken auch noch symbolisch Verantwortung für die unter Stalin in der Sowjetunion begangenen Verbrechen übernehmen? Weder die KPD noch die SED hatten darauf einen Einfluss.“ Auch wahltaktisch hielt die KPF das Vorhaben für unklug – und verwies dabei auf die Niederlage der PDS bei der Bundestagswahl 2002, der „ein Entschuldigungssommer“ vorausgegangen sei.
Modrow hatte für seine Forderung nach einem Moratorium Unterstützung von mehreren prominenten Vertretern des linken Parteiflügels bekommen. Dazu gehörten die Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke aus Hessen und Diether Dehm aus Niedersachsen sowie Wagenknecht, die auch stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion ist. Auch Heinz Bierbaum aus dem Saarland, einer der wichtigsten Vertrauten von Ex-Parteichef Oskar Lafontaine, schloss sich den Kritikern an. Die Entscheidung im März im geschäftsführenden Parteivorstand sei „übers Knie gebrochen“ worden, sagte er dem Tagesspiegel. Die Frage, ob das Karl-Liebknecht-Haus wirklich der geeignete Gedenkort sei, werde in der Partei „sehr kontrovers“ diskutiert.
Der Streit um das Thema währt in der Linkspartei seit Jahren. Schon Mitte der 1990er Jahre hatte der damalige PDS-Vorsitzende Lothar Bisky erklärt, es sei „auch Pflicht, jene zu ehren, die von Stalin umgebracht wurden, zumal wir die einzigen sein werden, die den zahlreichen kommunistischen Opfern wenigstens ein geistiges Denkmal setzen werden“. 2010 machte dann ein Arbeitskreis der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BDA) den Vorschlag, an der Linken-Zentrale am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz, dem Ex-Hauptquartier der KPD, eine Tafel anzubringen: „Antifaschisten wurden Opfer eines beispiellosen Verbrechens, begangen im Namen des Kommunismus.“
Für die Gedenktafel am Karl-Liebknecht-Haus hatte sich besonders die Vorsitzende Katja Kipping stark gemacht. Vor drei Monaten hatte sie versichert, sie wolle sich von den Bedenkenträgern nicht bremsen lassen. Jetzt gab sie zu, dass der Vorstand sich verständigt habe, die Aufhängung der in Auftrag gegebenen Gedenktafel zu verschieben. Es sei in dem Gremium nach langer Debatte über das Bundestagswahlprogramm nicht mehr möglich gewesen, das Thema „in fünf Minuten abzuhandeln“. Kipping fügte aber hinzu: „Unser Willen ist klar.“ Die Tafel an der Parteizentrale werde es geben. Auch Parteisprecher Alexander Fischer versicherte, der Beschluss, die Gedenktafel am Karl-Liebknecht-Haus aufzuhängen, gelte nach wie vor. Es gehe lediglich um den Termin der offiziellen Enthüllung.
Entnervt reagierte der Berliner Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich, der die Ehrung schon vor Monaten „mehr als überfällig“ genannt hatte – und die Parteizentrale als den richtigen Ort dafür ansieht: „Jetzt warten wir schon 20 Jahre. Nun kommt es auf sechs Monate auch nicht mehr an.“