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Kämpfer der "Volksrepublik Donezk": Die Separatisten können demnächst auch offiziell auf mehr Autonomie hoffen.
© Reuters

Krieg im Donbass: Ukraine: Ein Fünkchen Hoffnung auf ein bisschen Frieden

Auf Druck der EU beschließt die Ukraine ihre Dezentralisierung. Die Rebellen im Osten wollen nun Waffen von der Front abziehen.

Gibt es fünf Monate nach dem zweiten Vertrag von Minsk tatsächlich eine Chance auf Frieden in der umkämpften Ostukraine? Keine 24 Stunden, nachdem das Parlament in Kiew nach stundenlanger, teilweise hitzig geführter Debatte mit knapper Mehrheit für eine Dezentralisierung des Landes gestimmt hatte, telefonierten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande mit ihrem russischen Amtskollegen Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Die Diplomatie nahm wieder Fahrt auf, nachdem zuletzt vor allem die Waffen gesprochen hatten.

Am Sonntagmittag dann kündigten die Separatisten an, Waffen mit einem Kaliber auch von weniger als 100 Millimetern mindestens drei Kilometer von der Front abzuziehen. Der Abzug würde in enger Abstimmung mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erfolgen, die den Friedensprozess in der Ostukraine begleitet – wenn es denn einen solchen überhaupt gibt. Zu oft haben sich Versprechen als leere Worte erwiesen. „Das ist unser einseitiger Schritt Richtung Frieden. Wir zeigen der ganzen Welt, dass wir die Vereinbarungen von Minsk erfüllen“, sagte nun der Chef der Luhansker „Volksmiliz“, Sergej Koslow, lokalen Medien zufolge. Die Skepsis in Kiew ist trotz dieser Ankündigung nur allzu verständlich. Ebenso glauben die Separatisten nicht, dass die Ukraine es mit der Dezentralisierung ernst meint. Sie kritisieren, nicht an dem Gesetzgebungsprozess beteiligt worden zu sein.

Vor fünf Monaten hatten sich die EU, Russland und die Ukraine in der weißrussischen Hauptstadt Minsk darauf geeinigt, die Kämpfe in der Ostukraine zu beenden. Alle Waffen sollten abgezogen und im Oktober Kommunalwahlen abgehalten werden. Doch Berichte über immer neue Gewalt aus dem Donbass und mittlerweile fast 7000 Tote sprechen eine andere Sprache. Ukrainische Behörden meldeten auch am Sonntag wieder Todesfälle, fünf Menschen starben im Donbass, darunter vier Zivilisten und ein Soldat. Zudem seien sieben Militärangehörige verletzt worden. Beide Seiten warfen sich erneut gegenseitig den massiven Beschuss ihrer Stellungen vor.

Die Ukrainer laufen gegen die Dezentralisierung Sturm

Mit dem kontroversen Gesetz zur Dezentralisierung gesteht Kiew den Kommunen zu, eigene Gerichte, Staatsanwälte und Polizeisapparate zu unterhalten. Sprachliche Selbstbestimmung ist genauso vorgesehen wie eine mögliche engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland sowie die Abhaltung von Wahlen. Das Gesetz wird nun dem Verfassungsgericht vorgelegt und kommt danach erneut zur Abstimmung ins Parlament. Ob Poroschenko dann mit einer Mehrheit rechnen kann, ist keineswegs sicher.

In der Ukraine laufen nicht nur Politiker seit Monaten gegen die Dezentralisierung Sturm. Einige Kommentatoren sprechen von „jugoslawischen Szenarien für die Ostukraine“. Der Kolumnist der Wochenzeitung „Zerkalo Nedeli“, Sergej Rachmanin, schreibt: „Mit dem Gesetz zur Dezentralisierung waschen wir Verbrecher rein und finanzieren ihnen auch noch ihren eigenen Staat.“ Viele pro-westliche Politiker wie die stellvertretende Parlamentssprecherin Oksana Syroid üben ebenfalls Kritik. Sie wirft westlichen Partnern aus Europa und den Vereinigten Staaten vor, massiven Druck auf die Regierung in Kiew auszuüben. Auf Facebook schrieb sie: „Warum versucht die ganze Welt uns davon zu überzeugen, einen Sonderstatus für die Volksrepubliken zu beschließen? Damit der Westen ein extrem unbequemes Thema loswird und man nicht mehr vom Krieg sprechen kann? Haben unsere Partner, die uns 1994 mit dem Budapester Memorandum Versprechen gemacht haben, es auch dieses Mal wieder geschafft, uns ruhigzustellen?“

Neben dem Kriegsschauplatz im Osten haben sich in den vergangenen Wochen neue Unruheherde in der Ukraine gebildet. An der Grenze zu Rumänien und Ungarn, in Transkarpatien, tobt ein Machtkampf zwischen Vertretern des paramilitärischen „Rechten Sektors“ und der ukrainischen Regierung. Regionale Clans und der „Rechte Sektor“ – dessen Anführer Dmitry Jarosch ist seit vergangenem Oktober Parlamentsabgeordneter – tragen einen Machtkampf um lukrative Schmuggelrouten aus. Zuletzt reiste Präsident Poroschenko ins Konfliktgebiet, als Zeichen, dass er dort „aufräumen will“, wie er via Twitter erklärte. Er ernannte einen neuen Gouverneur und entließ die heillos korrupte gesamte Führungsebene von Zoll- und Grenzschutz in der Region.

Auch im Süden der Ukraine, in Odessa, wo seit Anfang Juni der frühere georgische Präsident Michail Saakaschwili als Gouverneur regiert, brodelt es. Für Russland ist der Georgier ein rotes Tuch. Saakaschwili soll die Region komplett umbauen: Polizei, Sicherheitsbehörden, Verwaltung. Alles nach georgischem Vorbild – das heißt: mit starker Unterstützung der USA. Sicherheitsexperten aus Kalifornien bilden Polizeianwärter und Soldaten aus. Die Gehälter einiger Mitarbeiter Saakaschwilis werden nach Angaben des US-Botschafters in Kiew sogar von den USA bezahlt.

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