Gastbeitrag zum Ukraine-Konflikt: Europa braucht nicht die OSZE für einen Frieden in der Ukraine
Die EU, die Ukraine und Russland sollten sich auf eine gemeinsame Friedensmission in der Ostukraine verständigen. Das passende Instrument dafür vernachlässigen die Europäer aber bislang, schreiben Ronja Kempin und Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik. .
Die Europäische Union ist in besonderem Maße im Ukraine-Konflikt engagiert. Die Mitgliedstaaten setzen auf die außenpolitischen Instrumente Wirtschaftssanktionen und Diplomatie. Mit der Unterzeichnung der Minsk-II-Vereinbarung übernehmen die beiden Schlüsselmächte der EU, Deutschland und Frankreich, zudem politische Verantwortung für den Waffenstillstand und den Abzug schwerer Waffen aus dem Donbass. Um ein Instrument machen die EU-Staaten bislang aber einen weiten Bogen: die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP).
Genau diese aber brachte der ukrainische Präsident nach dem Fall von Debalzewe ins Gespräch. Petro Poroschenko forderte eine UN-mandatierte EU-Polizeimission. In Deutschland rief der Vorschlag große Skepsis hervor. Fraktionsübergreifend wurde betont, die einzig richtige Institution für die Überwachung der Minsk-Vereinbarung sei die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE). Nur sie bindet Russland ein.
Alternative zur OSZE
Dieses Argument übersieht, dass der Vorteil der OSZE zugleich ihr Nachteil ist. Durch seine Mitgliedschaft hat Russland ein Vetorecht auf alle Belange einer OSZE-Mission. Es ist kaum vorstellbar, dass Moskau der OSZE erlaubt, die russisch-ukrainische Grenze zu kontrollieren. Kiew wiederum müsste die bittere Pille schlucken, dass russische Sicherheitskräfte völkerrechtlich mandatiert auf ukrainischem Territorium tätig sind.
Vor diesem Hintergrund macht es durchaus Sinn, einen Blick auf die Möglichkeiten der EU zu richten. Das Instrument der EU zur Krisenprävention und -bewältigung ist die GSVP, die friedenschaffende und -erhaltende Einsätze ermöglicht. Seit 2003 hat sie diverse Polizei-, Beobachtungs- und Grenzüberwachungsmissionen durchgeführt. In 2005 überwachte sie etwa die Umsetzung eines Friedensprozesses in der indonesischen Provinz Aceh. Im gleichen Jahr begann sie, die Ukraine und Moldau bei der Überwachung ihrer Grenze zu unterstützen. Seit dem Ende der Kampfhandlungen zwischen Russland und Georgien im August 2008 überwacht die EU mit Zustimmung Moskaus die Einhaltung des Waffenstillstands.
Die zahlreichen Einsätze der EU dürfen jedoch nicht den Blick dafür verstellen, dass selten mehr als 200 Menschen entsandt wurden. Auf dem Papier steht der EU gleichwohl mehr Personal zur Verfügung. Danach können bis zu 5.700 Polizisten in den Einsatz gebracht werden, 1.400 davon binnen 30 Tagen. Deutschland hat sich verpflichtet, bis zu 900 Polizisten für internationale Missionen bereit zu stellen.
Zudem kann Brüssel auf die Europäische Gendarmerietruppe (EGF) zurückgreifen. Die von Frankreich, Italien, den Niederlanden, Portugal und Spanien ins Leben gerufene EGF soll innerhalb von 30 Tagen 800 schwer bewaffnete Gendarmen in den Auslandseinsatz verbringen können. Diese Zahl kann um 1.500 Gendarmen erhöht werden. Militärisch wurde vereinbart, dass der EU pro Halbjahr je zwei Battlegroups zur Verfügung stehen. Diese schnellen Eingreiftruppen umfassen insgesamt 3.000 Soldaten.
Eine reine EU-Mission ist nicht denkbar
Eine internationale Friedensmission in der Ukraine müsste in der Lage sein, nicht nur die Waffenstillstandslinie effektiv zu überwachen, sondern auch die russisch-ukrainische Grenze zu kontrollieren. Dabei geht es vorrangig darum sicherzustellen, dass über den circa 400 km langen Grenzabschnitt, den die Rebellen kontrollieren, kein Nachschub an Waffen und Personal zu den Separatisten gelangt. Zudem müssten die ukrainischen Grenzschützer befähigt werden, auch den Rest der Grenze zur Russland zu überwachen. Dies wäre ein Beitrag zur Krisenprävention.
Hierfür wären mehrere tausend Polizisten, Gendarmen und Soldaten nötig – eine Größenordnung, die die EU noch nie mobilisiert hat. Ein weiteres Hindernis besteht darin, dass eine EU-Friedensmission unter einem robusten internationalen Mandat operieren müsste. Diesem dürfte Moskau die Zustimmung im UN-Sicherheitsrat verweigern, betrachtet es die EU doch als Konfliktpartei. Eine reine EU-Mission ist daher nicht gangbar. Sie könnte sogar konfliktverschärfend wirken. Das damit verbundene Risiko für die EU-Kräfte wäre nicht vertretbar.
Gemeinsame Mission vonnöten
Der gordische Knoten könnte jedoch zerschlagen werden, wenn EU und Russland kooperierten. Grundsätzlich ist eine Beteiligung von Drittstaaten an GSVP-Missionen möglich. Konkrete Erfahrungen der Zusammenarbeit mit Moskau hat die EU 2007 im Tschad gesammelt. Damals beteiligte sich Russland durch die Bereitstellung von vier Transporthubschraubern inklusive Personal an der EU-Operation EUFOR Tschad.
In Bezug auf den Konflikt um die Ukraine ist indes ein völlig anderes Format gefordert. Auf Einladung der Ukraine müssten sich EU und Russland auf eine gemeinsame Operation verständigen – von der Planung bis zu Führung. Zweifelsohne sind die Hürden hoch. Diese beginnen bei praktischen Stolpersteinen wie der Fähigkeit zur Zusammenarbeit unterschiedlich standardisierter Sicherheitskräfte und enden bei der Frage, ob Russland an einer Konfliktlösung wirklich interessiert ist.
Russland wäre einbezogen
Dennoch lohnt es sich, dieses Format in Betracht zu ziehen. Für Moskau hätte es den Vorteil, dass es weiterhin entscheidend an der Konfliktlösung beteiligt ist, bei der weder die USA noch die NATO eine prominente Rolle einnehmen würden. Den Spannungen im EU-Russland-Verhältnis wäre ein konkretes Projekt der Zusammenarbeit entgegengestellt. Die 28 EU-Staaten könnten unter Beweis stellen, dass sie als sicherheitspolitischer Akteur handlungsfähig sind. Die EU würde beweisen, dass sie unabhängig von Washington Verantwortung für die Länder der östlichen Partnerschaft übernimmt.
Für die Ukraine dürfte es zwar schwer sein, eine substantielle russische Beteiligung an einer Friedensmission zu akzeptieren. Gleichzeitig hätte die ukrainische Führung einen Teil ihres Vorschlags realisiert, indem die EU wesentlich stärker in die Umsetzung von Minsk II und die Stabilität und Prosperität der Ukraine investiert.
Ronja Kempin und Margarete Klein sind Expertinnen für europäische Außen- und Sicherheitspolitik bzw. für Außen- , Sicherheits- und Militärpolitik Russlands bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".