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Der Initiator der Armeinien-Resolution, Cem Özdemir, wurde mehrfach beschimpft und bedroht.
© ADEM ALTAN/AFP

Nach der Armenien-Resolution: Türkische Gemeinden suchen das Gespräch

Der Vorsitzende der türkischen Gemeinden in Deutschland, Gökay Sofuoglu, berichtet von aufgeheizter Stimmung und lädt Politiker zu einem Treffen.

Von Antje Sirleschtov

Dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan deutschen Parlamentariern mit türkischen Wurzeln nach der Armenien-Resolution offen gedroht hat, davon hatte sich Gökay Sofuoglu sehr rasch distanziert. Sofuoglu ist der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinden in Deutschland und darf von sich sagen, für eine große Zahl türkischstämmiger Mitbewohner zu sprechen.

„Abscheulich“ hatte er Erdogans Aufforderung zu einem „Bluttest“ genannt, aber gleichzeitig darauf hingewiesen, dass rund 80 Prozent der in Deutschland lebenden Türken kein Verständnis für den Beschluss des Bundestages zum Völkermord an den Armeniern hätten. Nun, nachdem die deutsch-türkischen Abgeordneten, die die Resolution mit getragen haben, bedroht werden und um ihre Sicherheit bangen müssen, sieht Sofuoglu seine Aufgabe darin, eine weitere Eskalation zu verhindern. Am Ende der vergangenen Woche habe er Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und die Fraktionsvorsitzenden aller im Parlament vertretenen Parteien in einem Brief zu einem Treffen aufgefordert, sagte er dem Tagesspiegel am Sonntag.

„Nach dem Armenien-Beschluss im Bundestag ist die Stimmung in den deutsch-türkischen Gemeinden aufgeheizt“, berichtete Sofuoglu. Im Vorfeld des Bundestagsbeschlusses habe man die in Deutschland lebenden Türken weder angehört noch sich mit ihren Auffassungen auseinander gesetzt. „Die in Deutschland lebenden Türken fühlen sich von der deutschen Politik nicht ernst genommen.“ In dem gemeinsamen Gespräch hoffe er auf Verständigung und Deeskalation.

BKA stellt Abgeordnete unter Polizeischutz

Nach zahlreichen Morddrohungen und Beleidigungen wegen ihrer Zustimmung zur Armenien-Resolution erhalten derzeit elf türkischstämmige Bundestags-Abgeordnete verstärkten Polizeischutz. Eine Sprecherin des Bundeskriminalamts (BKA) sagte, es werde „alles Notwendige veranlasst, um die Sicherheit der Mandatsträger jederzeit zu gewährleisten“. In Parlamentskreisen wurden Meldungen bestätigt, wonach es Gespräche der Sicherheitsbehörden mit den Abgeordneten und ihren Mitarbeitern gegeben habe, danach seien die Maßnahmen verstärkt worden.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, die Bedrohungen gegen türkischstämmige Abgeordnete seien nicht zu akzeptieren. Nachdem die elf Parlamentarier von CDU, SPD, Grünen und Linken nicht gegen die Armenien-Resolution gestimmt hatten, hatte sie der türkische Präsident Erdogan scharf angegriffen und unter anderem Bluttests gefordert. Danach brach ein Sturm von Drohungen und Diffamierungen gegen die Abgeordneten los. In der Resolution werden die Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord bezeichnet.

Grünen-Chef Cem Özdemir berichtete als Initiator der Resolution von Drohungen gegen ihn wie: „Irgendwann werden Deine deutschen Freunde das vergessen haben – wir nicht“. Oder: „Wir finden Dich überall.“ Dies müsse man ernstnehmen, dürfe sich aber nicht einschüchtern lassen, sagte Özdemir. Die CDU-Abgeordnete Cemile Giousouf berichtete, Beleidigungen richteten sich auch gegen ihre Eltern und Familie.

Der Sprecher der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib), Murat Kaymann, sagte: „Beschimpfung und Bedrohung von Parlamentariern sind nicht hinnehmbar, sondern entschieden zu verurteilen.“ Dazu gebe es „kein Wenn und kein Aber".

Auch Bundestagspräsident Lammert kritisierte erneut, dass Abgeordnete „in einer bislang beispiellosen Weise persönlich bedroht“ und ihre Angehörigen in Mitleidenschaft gezogen würden. Zudem führten die Ereignisse dazu, dass die Zweifel in der deutschen Öffentlichkeit an der Verlässlichkeit von Erdogan als Partner „vorsichtig formuliert nicht ausgeräumt sind“.

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