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Machtdemonstration. Der türkische Präsident hat seit Anfang Februar 5000 Soldaten nach Syrien geschickt.
© Bakr Alkasem/AFP
Update

Kampf um Idlib: Türkei und Russland sind in Syrien auf Kollisionskurs

Moskau versucht, Ankaras Vormarsch in Idlib stoppen. Erdogan will aber keinen Rückzieher machen – jetzt sollen ihm der Westen und Angela Merkel helfen.

In der Konfrontation zwischen der Türkei und Russland in der syrischen Provinz Idlib erhöht Moskau den Druck auf Ankara. Die russische Regierung warf dem Natomitglied erstmals öffentlich vor, militante Gruppen in Idlib direkt zu unterstützen.

Dennoch hält die türkische Regierung an ihrem Ziel fest, sich mit ihrer Militärpräsenz in der syrischen Provinz ein Mitspracherecht bei Entscheidungen über Idlibs und Syriens Zukunft zu ertrotzen. Wegen des Konflikts mit Russland wandte sich Ankara hilfesuchend an Deutschland und Frankreich. Die militärischen Spannungen verschlimmern zugleich das Leid von fast einer Million Flüchtlingen.

Obwohl die Türkei in Syrien die Gegner von Baschar al Assad unterstützt und Russland der wichtigste Partner des Machthabers ist, hatten Ankara und Moskau in den vergangenen Jahren ihre Differenzen ausgeblendet und im Bürgerkriegsland kooperiert.

Erdogan hat seit Anfang Februar 5000 Soldaten in Marsch gesetzt

Assads Angriff auf Idlib, die letzte Bastion der vorwiegend islamistischen Aufständischen nach fast neun Jahren Krieg, hat die Gegensätze zwischen Türkei und Russland jedoch offen zutage treten lassen. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat seit Anfang Februar mehr als 5000 Soldaten und schwere Waffen nach Idlib geschickt, um Assads Offensive zu stoppen und eine neue Massenflucht in die Türkei zu verhindern.

Seitdem sind bei Gefechten mindestens 15 türkische Soldaten ums Leben gekommen. In den vergangenen Tagen starteten die Rebellen mit türkischer Unterstützung einen Gegenangriff, um die strategisch wichtige Kleinstadt Sarakib von den syrischen Einheiten zurückzuerobern. Russische Kampfflugzeuge bombardierten darauf die Verbände der Opposition.

Ob die zuletzt getöteten zwei türkischen Soldaten bei diesen Bombardements ums Leben kamen, ist unklar; Ankara macht die syrische Luftwaffe verantwortlich. Verteidigungsminister Hulusi Akar betonte im Nachrichtensender CNN-Türk, sein Land wolle keine direkte Auseinandersetzung mit Russland – doch die Gefahr einer solchen Konfrontation wächst.

Russlands Präsident Putin (r.) ist mit seinem türkischen Amtskollegen Erdogan immer häufiger über Kreuz.
Russlands Präsident Putin (r.) ist mit seinem türkischen Amtskollegen Erdogan immer häufiger über Kreuz.
© lexander Zemlianichenko/Reuters

Das Verteidigungsministerium in Moskau warf der Führung in Ankara vor, die Rebellen in Idlib mit Artillerie unterstützt zu haben. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana meldete, türkische Soldaten hätten islamistische Kämpfer mit Fahrzeugen und Raketenwerfern ausgerüstet.

Erdogan hat einen Angriff der Armee für den Fall angekündigt, dass sich die syrische Armee bis Ende kommender Woche nicht aus Idlib zurückzieht. Der Angriff könne jederzeit beginnen, sagte Erdogan diese Woche. Einen russischen Plan zur Entschärfung der Lage lehnt Ankara ab.

Erdogan telefoniert mit Putin

Dieser sieht nach Angaben syrischer Aktivisten vor, dass sich Rebellen und Flüchtlinge in Idlib in einen sechs Kilometer breiten Korridor entlang der türkischen Grenze zurückziehen sollen. Im Rest der Provinz würde demnach Assads Armee das Kommando übernehmen.

Am Freitagabend telefonierte Erdogan mit Kremlchef Wladimir Putin. Der türkische Präsident forderte von Putin, die Streitkräfte des syrischen Machthabers „in die Schranken zu weisen“. Der Kreml betonte, weiter mit der Türkei intensiv über „die Verringerung der Spannungen“ und eine Waffenruhe sprechen zu wollen.

Savas Genc, Türkei-Experte an der Universität Heidelberg, sieht das türkisch-russische Bündnis in Syrien unter erheblichem Druck. Ankara sei von Moskau abhängig, sagte Genc dem Tagesspiegel. Um aus der Zwangslage herauszukommen, könnte die Türkei versuchen, sich nach Jahren der Krise wieder dem Westen anzunähern. „Erdogan ist ein Pragmatiker“, sagte Genc. „Er kann heute mit Russland kooperieren und übermorgen wieder mit der Nato.“

In einem Telefonat mit Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron rief Erdogan laut dem türkischen Präsidialamt zu „konkreter“ Hilfe gegen die „Aggression“ der syrischen Regierung in Idlib auf. Erdogans Verteidigungsminister Akar brachte die Stationierung amerikanischer Patriot-Raketen an der türkischen Grenze zu Idlib ins Gespräch.

Russland kontrolliert große Teile des syrischen Luftraums

Das Flugabwehrsystem könnte nach Presseberichten dazu dienen, türkischen Kampfjets den Luftraum über Idlib zu öffnen. Bisher ist das Gebiet für die Militärflugzeuge tabu, weil Russland den Luftraum kontrolliert.

Für die Menschen im Nordwesten Syriens wird die Lage wegen der Gefechte immer dramatischer. Die Helfer sprechen von der schlimmsten Flüchtlingskrise seit dem Beginn des Aufstands gegen Assad im Jahr 2011. In den vergangenen drei Monaten haben mehr als 900.000 Menschen ihr Zuhause verlassen müssen. Sie alle versuchen, sich in Richtung Türkei durchzuschlagen.

Nach Angaben der UN müssen rund 170.000 Frauen, Kinder und Männer ohne jeden Schutz vor Kälte, Schnee und Regen ausharren. Bei eisigen Temperaturen lebten die Schutzsuchenden „unter freiem Himmel oder in unfertigen Behausungen“, heißt es. Jene, die Zuflucht in Notlagern gefunden hätten, lebten unter katastrophalen Umständen.

Viele Syrer wollen an die türkische Grenze. Dort hoffen sie, Schutz zu finden.
Viele Syrer wollen an die türkische Grenze. Dort hoffen sie, Schutz zu finden.
© Uncredited/AP/dpa

Der Krieg in Idlib und anderswo im Land wirkt sich bereits lange verheerend auf den Alltag von Millionen aus – die Folgen reichen weit über die unmittelbare Bedrohung durch die Kämpfe hinaus. „Die Wirtschaft liegt am Boden“, sagt Mirna Abboud, Projektmanagerin für Syrien bei "Help – Hilfe zur Selbsthilfe". Die Lebensumstände seien katastrophal.

„Die Leute wissen nicht, wie sie den nächsten Tag überstehen sollen. Den Menschen mangelt es einfach an allem. Sie können sich einfach nichts mehr leisten.“ Denn die Währung verliere dramatisch an Wert, die Armut breite sich mit großer Geschwindigkeit aus. „Eine Durchschnittsfamilie muss heute mit 75 Dollar im Monat über die Runden kommen. Den Glücklichen stehen 100 Dollar zur Verfügung. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.“

170.000 Menschen sind fast schutzlos der Kälte ausgeliefert.
170.000 Menschen sind fast schutzlos der Kälte ausgeliefert.
© Aaref Watad/AFP

Das liegt auch an fehlenden Jobs. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. „Und ein Job allein reicht ohnehin nicht aus, um den Alltag zu meistern“, sagt Abboud. So haben viele kleine Läden der 29-Jährigen zufolge geschlossen, weil sich die Inhaber den Betrieb wegen ausbleibender Kundschaft nicht leisten können – oder weil sie aus ihren Heimatstädten vertrieben wurden.

Um die Gesundheitsversorgung ist es ebenfalls dramatisch schlecht bestellt. „Ein riesiges Problem ist das fehlende medizinische Personal“, sagt Nothelferin Abboud. Und von einer Grundversorgung mit Medikamenten könne schon lange keine Rede mehr sein. „Ganz abgesehen davon, dass Kliniken immer wieder gezielt angegriffen und zerstört werden.“

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