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Präsident Erdogan spricht am Mittwoch zu seiner Partei AKP.
© Adem ALTAN / AFP

Eskalation zwischen Ankara und Damaskus: Erdogan will ganz Syrien zum Schlachtfeld machen

Der türkische Präsident stellt Syriens Diktator in Idlib ein Ultimatum. Von einer „Kriegserklärung“ ist die Rede. Der Kreml kritisiert Erdogans Vorgehen scharf.

Die Türkei zieht in den Syrien-Krieg: Ab sofort müssten syrische Regierungstruppen „überall“ im Land mit Angriffen der türkischen Armee rechnen, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch. Wenn den türkischen Soldaten in Syrien auch nur ein Haar gekrümmt werden sollte, „werden wir zuschlagen“, drohte Erdogan in einer Rede vor der Parlamentsfraktion seiner Regierungspartei AKP in Ankara.

Trotz des Todes von 13 türkischen Soldaten in der syrischen Provinz Idlib seit Anfang des Monats und trotz seines Bündnisses mit Russland in Syrien setzt Erdogan auf die militärische Karte. Eine „Kriegserklärung“ sei die Rede gewesen, sagte Kerim Has, Experte für die türkisch-russischen Beziehungen, dem Tagesspiegel in Istanbul. Das Verhältnis zwischen Türkei und Russland steht auf der Kippe.

[„Wenn die Bomben fallen, rennen die Kinder in den Keller“ - Einwohner aus dem umkämpften Idlib berichten von ihrem Alltag.]

Erdogan warnte, die Türkei werde „am Boden und in der Luft“ reagieren, wenn sich die syrischen Regierungstruppen nicht bis Ende des Monats aus den zuletzt eroberten Gebieten in Idlib zurückgezogen hätten. Der türkische Präsident warf Syrern und Russen vor, gezielt zivile Einrichtungen in Idlib zu bombardieren, „um die Menschen in der Region an unsere Grenze zu treiben“.

An der Grenze von Idlib zur Türkei suchen hunderttausende Zivilisten Schutz vor den Kämpfen in der Provinz. Erdogan hatte Anfang Februar tausende türkische Soldaten nach Idlib geschickt, um den Vormarsch der syrischen Truppen aufzuhalten und eine Massenflucht von Syrern in die Türkei zu verhindern. Idlib ist die letzte Bastion der syrischen Rebellen nach fast neun Jahren Krieg.

Der türkische Präsident machte in seiner Rede deutlich, dass es ihm nicht nur um Idlib geht: Er bekräftigte das Ziel, den syrischen Staatschef Baschar al-Assad zu stürzen. Der Freiheitskampf des syrischen Volkes sei auch eine „Überlebensfrage“ für die Türkei, sagte er. Erdogans politischer Partner, der türkische Nationalistenchef Devlet Bahceli, hatte am Vortag verlangt, die türkische Armee solle nach Damaskus marschieren, um Assad zu entmachten.

Erdogan signalisiert Grenzen für Zusammenarbeit mit Russland

So weit ging Erdogan am Mittwoch nicht. Doch der Präsident signalisierte, dass er Grenzen für die Zusammenarbeit mit Assads Partner Russland in Syrien sieht. Seine Drohung mit türkischen Luftangriffen in Syrien war eine indirekte Kampfansage an Russland, das den syrischen Luftraum kontrolliert. Erdogan sagte auch, ab sofort könnten sich Kampfjets bei Angriffen auf zivile Ziele in Idlib „nicht mehr frei bewegen“ – die Angriffe werden von syrischen und russischen Flugzeugen geflogen.

Türkisch unterstützte Rebellen in Idlib hatten am Dienstag einen syrischen Hubschrauber abgeschossen. Weil die Rebellen die dafür nötigen modernen Boden-Luft-Raketen bisher nicht hatten, gibt es Spekulationen über neue türkische Waffenlieferungen an die Assad-Gegner.

Damit gefährdet die Eskalation in Idlib das türkisch-russische Bündnis in Syrien, das in den vergangenen Jahren eine enge Zusammenarbeit zwischen Ankara und Moskau erlaubte. Obwohl die Türkei die Assad-feindlichen Rebellen stützte und Russland dem syrischen Präsidenten half, konnten beide Staaten lange Zeit ihre Meinungsverschiedenheiten ausblenden. In Idlib versagt dieses Modell jedoch. Erdogan hielt seine Brandrede nur wenige Stunden nach einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, das die Differenzen zwischen beiden Staaten nicht ausräumen konnte.

Nach Erdogans Ansprache kritisierte der Kreml die türkische Syrien-Politik scharf. Ankara halte sich nicht an Vereinbarungen, erklärte Putins Sprecher Dmitry Peskow. Die Türkei hatte zugesagt, radikale Gruppen in Idlib zu zähmen. Das sei aber nicht geschehen, sagte Peskow. Militante Gruppen in Idlib griffen weiter syrische und russische Truppen an. Vorige Woche waren nach Moskauer Angaben vier russische Soldaten in Syrien bei einem Angriff umgekommen, der aus dem türkisch kontrollierten Gebiet in Idlib kam.

Erdogan könnte sich wieder Washington annähern

Russland-Experte Has sagte, Russland werde die syrische Armee gegen türkische Angriffe unterstützen, eine direkte Konfrontation mit der Türkei jedoch vermeiden wollen. Stattdessen könnte Moskau auf anderem Wege Druck auf Ankara machen, etwa durch wirtschaftliche Sanktionen oder einen Tourismus-Boykott wie schon in der letzten großen Krise zwischen beiden Ländern im Jahr 2015.

Nach Einschätzung von Has geht es Erdogan vor allem darum, sich mit dem kriegerischen Kurs in Syrien aus innenpolitischen Problemen zu befreien. Allerdings lehnen zwei von drei türkischen Wählern laut einer aktuellen Umfrage die derzeitige Syrien-Politik ihres Landes ab.

Außenpolitisch könnten die Spannungen mit Russland eine Wiederannäherung zwischen der Türkei und den USA ermöglichen. Der US-Syrien-Beauftragte James Jeffrey hielt sich am Mittwoch zu Gesprächen in Ankara auf. Erdogans Verteidigungsminister Hulusi Ankara forderte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP den Beistand der NATO für die Türkei ein.

Auch die noch in Syrien verbliebenen US-Truppen lieferten sich ein Gefecht mit regierungstreuen syrischen Kämpfern, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte. Im nordostsyrischen Kamischli griffen die US-Militärs demnach eine syrische Stellung an, nachdem eine US-Patrouille unter Beschuss geraten war. Ein syrischer Kämpfer starb.

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